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17 Ekim 2022 Pazartesi
Tödlicher Mai: Leben und Tod im türkischen Widerstand
Tödlicher Mai: Leben
und Tod im türkischen Widerstan
Nihat Behram
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Es war in den letzten Tagen des September. September
1973 ... Der in Schmerz gehüllte Herbst eines Jahres, dessen Frühling wir schon
in Schmerzen begegnet waren, dessen Sommer wir in Schmerzen durchlebt hatten.
Ich war in Istanbul und
gleichzeitig ganz woanders. Ein Teil von mir
war in Istanbul, ein anderer Tausende von Jahren entfernt. Istanbul war eine Stadt, von der wir gerade eben
aus der Ferne den Himmel sehen
konnten. Und auch das nur zwischen Metallgittern hindurch, wenn wir
bis dorthin kamen ...
Mitten
in der Stadt waren wir, doch zwischen Istanbul und uns lagen dicke Steinmauern. Seit Monaten schon saß
ich in einer Zelle des Militärgefängnisses Davutpasa ein. Voller Sehnsucht nach
einer Welt, in der jeder Mensch frei sein durfte, zählten wir in dieser finsteren,
wie eine Wunde mitten in die Stadt gemeißelten Höhle die Herbsttage des Jahres 1973. Was unsere Sehnsüchte
aufrechterhielt, war das Bemühen, an einem menschenwürdigen Leben
festzuhalten.
Einer der letzten Tage im September: Wir besitzen ein
kleines, batteriebetriebenes Radio, das wir Teil für Teil zwischen Kleidungsstücken
hereingeschmuggelt und wieder zusammengebaut haben. Wie eine Geliebte, die uns Nachrichten bringt von der Außenwelt,
halte ich das Radio in meinem Arm.
Tagesanbruch: Ich liege in meinem Bett, presse das
Radio an mein Ohr und versuche, etwas zu verstehen. Zwischen Rauschen und
Pfeifen bekomme ich Bruchstücke einer Nachricht mit: »In Chile ... Pablo Neruda
... Nachricht vom Tod ... die
versammelte Menge ...« Es ist ja kein Buch in deiner Hand, daß du deine Augen darauf richten und es wieder und wieder lesen
kannst, auf daß du es begreifst beim zehnten Mal. Nein. Nur ein kleines,
improvisiertes Radio. Es ist ja nicht das Stöhnen des Menschen, der geschunden von der Folter im Bett nebenan liegt,
ein Wort von ihm, damit ich fragen kann: »Was ist? Brauchst du
etwas?« Nein. Nur die leichten Schläge
unserer Herzen auf der anderen Seite der Welt.
So schnell ich die Nachricht
gehört hatte, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Das Radio, dem ich
zuhören mußte, wie um Schritt zu halten mit der Zeit draußen, der Zeit, die in diesem Gefängnis totgeschlagen und zum Stillstand gebracht war,
schien plötzlich fremd an meiner
Brust. Kaltes, gefühlloses Metall...
Unruhig wälzte ich mich im Bett hin und her, kam mir
vor, als sei ich lebendig begraben. Was die Nachricht bedeutete, war, daß der, der allein unsere Schmerzen lindern konnte,
jetzt in seinem eigenen traurigen Strom von uns zog. Dieses Licht, dessen Atem
wie eine Panflöte unsere Herzen den Freuden und Sehnsüchten der
Menschheit entgegenwehte und ihnen Ausdruck verlieh, war jetzt erloschen...
Bei Tagesanbruch stand ich auf und trug meinen
Freunden die Gedichte Nerudas vor, die mich am meisten berührt hatten. Mit
Worten von ihm, die mir im Gedächtnis geblieben waren, gab ich die Nachricht von seinem Tod weiter. Dann
schrieben wir eines seiner
Gedichte, »Gesang für die Mütter toter Republikaner«, auf ein Blatt Papier und
befestigten es an der Zellenwand. Einige von uns hatten schwere
Folterwunden. Andere waren nah am Tod vorbeigegangen
und hatten gesehen, wie ihre besten Freunde starben. Da waren gerade erst von den Folterkammern
Zurückgekehrte und andere, die jeden Moment der Weg dorthin erwartete.
In einer solchen Atmosphäre, in Istanbul,
in dieser steinernen, in die Stadt gemeißelten Höhle, erhielten wir die
Nachricht vom Tode Pablo Nerudas aus einem anderen Teil der Erde. Es
war an einem Herbsttag, an einem der
letzten Tage im September 1973. Tage, in denen in Chile die Geschichte mit Bajonettspitzen auf
die Haut der Menschen geschrieben
wurde (sie haben noch kein Ende gefunden, diese Tage). Tage, in denen auch in der Türkei Blut vergossen wurde (und
auch sie haben noch kein Ende gefunden).
Am 12. März 1971 war es zu einem
Militärputsch gekommen; in ganz Anatolien bliesen die Putschisten zur
Menschenjagd. Was sie auf den Füßen zu
halten schien, war ihre Blutgier.
Junge Menschen, noch nicht einmal dem Kindesalter
entwachsen, wurden in die Zelle im Militärgefängnis eingewiesen, in der auch ich einsaß. Jeder von ihnen war durch
monatelange Folter gegangen. Man
überließ sie dort ihren Wunden; andere wurden mitgenommen. Die ersten Ansätze
dessen, was ich später schrieb - einen Teil davon gibt dieses Buch
wieder - sammelten sich in jenen Tagen in mir. Begleitet hat mich
der »Gesang für die Mütter toter Republikaner«.
Ich saß im Gefängnis als ein junger Dichter, dessen erster Gedichtband von den
Putschisten verboten worden war.
Der Enthusiasmus der 68er griff auf der ganzen Welt um
sich und zog auch die Türkei in seinen
Bann. Wie überall, fand die Bewegung
um 1966/67 Anhänger besonders unter der akademischen Jugend.
Forderungen bezogen sich sowohl auf die akademischen Institutionen als auch auf
den politischen Aufbau des Landes. Tag für Tag fanden Massenaktionen der
Studenten und Jugend statt. Die
Sicherheitskräfte des Staates gingen mit Waffengewalt dagegen vor.
Als es Tote in den Reihen der jungen Menschen gab, begannen einige sich zum Schutz ebenfalls zu
bewaffnen.
Es gab einen grundsätzlichen
Unterschied zwischen der 68er Bewegung in Europa und der in der Türkei: Der Kampf in der Türkei beinhaltete auch antiimperialistische und
antifaschistische Forderungen. So waren
Aktionen gegen die amerikanische Flotte, die vor Istanbul vor Anker
lag, gegen die NATO-Basen im Land und gegen die faschistischen Organisationen
wesentliche Momente der Bewegung. Von
der akademischen Jugend geführt, entstanden politische Organisationszusammenhänge, die sich dem Aufstand gegen die Gesellschaft verschrieben.
Als diese Bewegung mit der
tiefen ökonomischen Krise zusammentraf, in der das
Land sich befand, begannen demokratische Forderungen auch unter den breiten
Volksschichten aufzukommen. Was die 68er
Studenten mit den Universitätsbesetzungen vorgeführt hatten, griff auf
die ländlichen Gegenden über; es kam zu Landbesetzungen mit der Forderung nach
einer Landreform und zu Fabrikbesetzungen
in den Industriegebieten. Am 15. und 16. Juni 1970 wurde Istanbul Schauplatz
zahlreicher Aktionen der Arbeiter. Zehntausende verließen die Fabriken
und füllten die Straßen. Über Barrikaden hinweg, die die Militärs mit Panzern
aufgebaut hatten, führten die Arbeiter ihren Zug. Die akademische Jugend der 68er bewegte sich innerhalb der
Volksbewegungen in den Industriegebieten und ländlichen Gegenden.
Einige der jungen Menschen wurden zu Führern der Bewegung. Regierungskräfte
und von der Regierung unterstützte
zivile faschistische Kräfte machten Jagd auf sie. Viele junge
Menschen wurden getötet...
Am Morgen des 12. März 1971
erlebte die Türkei einen Militärputsch. Die
Putschisten ordneten den Ausnahmezustand an und verfügten ein ganztägiges Ausgangsverbot. Tausende von Regimegegnern
holten sie aus ihren Häusern und verhafteten sie. Listen wurden veröffentlicht, Listen von Menschen, die
für vogelfrei erklärt wurden, wenn sie sich nicht ergaben. Die Militärs
umzingelten Fabriken und Universitäten
und unterwarfen sie ihrer Kontrolle.
Alle fortschrittlichen Veröffentlichungen wurden verboten, alle nonkonformistischen
Organisationen geschlossen. In dieser Zeit zogen viele junge Menschen aus den
großen Städten nach Anato-lien. Einer von ihnen war Ibo, ein Kind des Volkes,
der seinen Platz gefunden hatte in der akademischen Jugend der 68er.
Hinrichtungen und Massaker fanden statt: Am Morgen des
6. Mai 1972 richtet man Deniz Gezmis, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan, drei Vorkämpfer der Bewegung, entsprechend
dem Urteil der Militärgerichtsbarkeit
hin. Zehn junge Menschen, auch sie zu den Vorkämpfern dieser Zeit gehörend,
wurden in Kizildere am Schwarzen
Meer von den Militärs aufgebracht und mit Panzerfeuer und schweren
Waffen derart zusammengeschossen, daß nicht einmal mehr ihre Leichen zu erkennen waren.
Bis 1974 dauerte dieser brutale
Terror an. Nach den Wahlen von 1974 wurde eine
allgemeine Amnestie für politisch Verfolgte erklärt. Durch diese Amnestie wieder freigekommen, begann ich, bei einer
Tageszeitung zu arbeiten. Das Durchlebte aufzuschreiben, empfand ich als meine vorrangige Pflicht gegenüber
meinem Volk und den Menschen, von deren Schmerz ich Zeuge geworden
war. Trotz der relativen Freiheit, die die Amnestie von 1974 mit sich brachte, war es verboten, die Wahrheit
aufzudecken, das System zu kritisieren.
So gab es beispielsweise in bezug auf Ibos Tod außer einem knappen Satz im Protokoll keine einzige
offizielle Verlautbarung: »Verübte während seiner Untersuchungshaft am
18. Mai 1973 Selbstmord«.
Dieses Verbot mußte umgangen, die Menschheit
angesprochen werden. Die Veröffentlichung dieser dokumentatorischen Erzählung in der Zeitung führte 1976 dazu, daß mir eine
Reihe von Verfahren gemacht wurden. Nur kurze Zeit konnte die Buchveröffentlichung
im Handel bleiben. Die mehrmaligen hohen Auflagen brachten die
Sicherheitskräfte in Rage; die Polizei überfiel die Druckerei und den Verlag
des Buches, bemüht, alles zu zerstören und
zu vernichten, was mit dem Buch in Verbindung stand.
Am
12. September 1980 wurde die Türkei abermals Schauplatz eines Putsches. 1971
wiederholte sich in noch schlimmerer Form.
Jahre später, 1988, wurde diese dokumentatorische
Erzählung von einem mutigen Verleger
in der Türkei erstmals veröffentlicht. Und wieder erfolgte sofort
das Verbot und der Befehl, die ganze Auflage
zu vernichten. Der Verleger und ich wurden zu schweren Strafen
verurteilt. Und was für ein Zusammentreffen: Da heißt es doch in einem Absatz des Strafantrages, den der
Staatsanwalt stellte: »In dem Buch
wird mit dem Gedicht von P. Neruda, beginnend mit >das einzige
Licht, das uns weckte<, sowie mit der Zeile »sie wendeten ihre Blicke dem Licht zu, suchten ihren
Wegs der Kommunismus als das
einzige Licht des werktätigen Volkes beschrieben und entsprechend Kommunismuspropaganda
betrieben.« Das heißt, der Staatsanwalt beschuldigte Neruda der »Kommunismuspropaganda«, ein »Vergehen«, auf das in der Türkei
7 ein halb Jahre Gefängnis stehen!
Im Mai 1989 las ich in einer türkischen Zeitung eine
kurze Nachricht: »Eine im 8. Monat
schwangere Lehrerin wurde festgenommen, nachdem sie ihren Schülern erzählt
hatte, daß sie Kurdin sei. Am folgenden Morgen wurde sie in dem Bett, an das
sie angekettet worden war, tot
aufgefunden.«
Inzwischen gehört diese Art von kurzen, zu wenigen
knappen Zeilen zusammengepreßten
Nachrichten zur alltäglichen Realität in den Zeitungen der Türkei.
Die Türkei lebt unter einem Regime, das
die Folter systematisiert hat. Unter diesem Regime wird Neruda jeden
Tag ermordet, wird Ibo jeden Tag von neuem gefoltert. Schmerzen werden normalisiert. Der Mensch soll
möglichst sogar nach ihnen
verlangen - so will es das Regime. Und anstatt die Geschichte der Freiheit zu
schreiben, schaut die Menschheit unbeteiligt zu, wie der Schmerz sich in immer dramatischeren Dimensionen
wiederholt. Ist der pompöse Empfang, der Kenan Evren, dem Chef des faschistischen Militärputsches von 1980
in der BRD bereitet wurde, nicht
ein Beweis dafür? Wenn ja, so ist es schon von daher wichtig, daß
dieses Buch in deutscher Sprache veröffentlicht wird.
Ich
lebe seit neun Jahren in Europa im Exil. Nach meinen Erfahrungen weiß man hier nicht viel mehr als
Allgemeinheiten über das, was die Menschen in
der Türkei durchmachen. Abgesehen vom Bild des »eingewanderten Arbeiters« sind
die Menschen aus der Türkei eine unbekannte Größe. Das Wissen beschränkt sich
auf das wenige, was die Tagespresse
druckt. In der Überzeugung, mit der ich das Buch in der Türkei
veröffentlichte, verstehe ich auch die deutsche Veröffentlichung: Wenn es einen
Schmerz gibt, der Menschen angeht, so
muß dieser Schmerz an die Öffentlichkeit gebracht werden. Denn der
Schmerz von Menschen ist der Schmerz der
Menschheit. Wie Dostojewski sagte: »Gibt es irgendwo auf der Welt einen
Schmerz, so müssen wir ihn zu unserem machen.«
Eine andere Beobachtung von mir
ist, daß es in Europa über das, was sich in der 68er
Zeit außerhalb von Europa abgespielt hat, nicht viel Informationen gibt. Im Rahmen des 20. Jahres nach 1968 wurden
letztes Jahr Analysen zuhauf aufgestellt. Alle aber beschränkten sich auf
Europa und waren aus diesem Grund unvollständig.
Das Buch, das Sie nun in der Hand halten, versucht einen Eindruck von der mit
demokratischem Elan bewegten 68er Generation der Türkei zu vermitteln,
einen Eindruck von dem Leben, das diese
Generation gezeichnet, von dem Erbe, das diese Generation hinterlassen hat.
Das ist der Boden, auf den Ibo
seinen Fuß gesetzt hat: die Berge und der Kerker. Er
steht auf, wo er angeschossen und totgeglaubt ist und steigt hoch in die
verschneiten, gewaltigen Berge. Für ein Märchen könnte man diese Erzählung
halten, deren Sprache als Märchensprache verstanden werden kann. Doch das
Erzählte ist nüchterne, gelebte
Wahrheit.
Ibo war eine politische
Persönlichkeit und befand sich in einem politischen Kampf. Entsprechend gibt es auch
theoretische Überlegungen und
klare politische Überzeugungen von ihm. Darum ging es mir aber nicht, als ich über sein Leben schrieb.
Politische Überzeugungen kann man befürworten, man kann sie ablehnen,
man kann über sie diskutieren. Was man
nicht befürworten kann, worüber man
nicht diskutieren kann, das ist die Folter. Gegen die Folge gibt es nur
Kampf. Dieser Mensch, der jedes nur erdenkliche Leid durchmachen mußte, hat als
Erbe das Beispiel eines Widerstandes
hinterlassen.
Jedesmal, wenn mein Buch in meiner Sprache erschien,
wurde esverboten. Indem der Peter Hammer Verlag dieses Buch
verlegt, drückt auch er seine Solidarität mit dem Kampf gegen die Folter aus.
Was für ein Leben haben die politischen Flüchtlinge
hinter sich, die Sie seit Jahren auf den
Straßen sehen, an deren Anblick Sie sich inzwischen wohl gewöhnt haben, deren
Flucht in Ihr Land Ihre Regierung mit immer
neuen Gesetzen zu verhindern sucht, die man als »unerwünschte Personen« abstempelt? Haben Sie sich diese Frage schon einmal gestellt? Und wenn Sie sich diese
Frage schon gestellt haben, wie
haben Sie sie beantwortet?
Während
ich diese Zeilen als Vorwort schreibe, wird mir vom Verlag mitgeteilt, daß mein Buch zum September
dieses Jahres erscheint. Ja,
September 1989. So komme ich zu meinen einleitenden Zeilen zurück.
Und wenn es schon September ist, dann Ehre der unvergeßlichen Erinnerung an
Pablo Neruda.Gruß denen, die von Chile bis zur Türkei den Schmerz der Menschheit in sich fühlen und dabei nicht stumm
bleiben.
Nihat Behram Wuppertal, Juli 1989
»... Helden leiten mich, deren Reihen nur mit Liebe zu
erreichen.
Helden,die Zähne ausgespuckt
Helden,die Hoden zerquetscht,..«
A.Arif
1973. Es war im Mai. Am 19. Mai. Wie
hatte sich dieses Jahr der Himmel erwärmt, wie war die Erde ergrünt, wie hatte
sich der Schnee zurückgezogen in die Höhen; wie hatte sich das Eis von den Hängen gelöst, wie war es dahingeflossen
...?
Ali Kaypakkaya, der sonst so verbunden war mit der
Erde, seinem Dorf, hatte dieses Jahr weder
an den Frühling noch an den Segen
gedacht, den sich Frühling und Erde vom Himmel erhoffen ...
Seitdem sein Sohn Ibrahim einsaß,
pochte ein Schmerz zwischen seinen Brauen, wanderte von seinen Schulterblättern
bis zu den Ellenbogen durch seinen ganzen
Körper.
Er arbeitete in einer Fabrik,
verdiente sein Brot mit der Kraft seiner Arme. Kurzum: ein
armer Werktätiger ...
Seitdem Ibrahim einsaß, waren auch die Tage am
Arbeitsplatz fad geworden. Er war ein
Arbeiter, der nicht begreifen konnte, daß das Leben so sinnlos verging, daß Schweiß, Energie und Arbeitskraft
einfach so vergeudet waren. Das erzürnte ihn, er wollte, daß diese dunkle Welt sich änderte. Ein ehrenhafter,
gerader Mann aus dem Volk, das war er ...
Aber schon das reichte denen, die ihn von weitem aus
den Augenwinkeln beobachten. Und dann hieß es jetzt auch noch, daß sein Sohn »die Flagge gehißt, sich gegen den Staat
erhoben« hätte. Mit den ersten Morgenstrahlen stand er auf, ging an
seinen Arbeitsplatz und arbeitete bis zum Sonnenuntergang. Immer wieder mußte er an Ibrahims Stirn denken, an seine
blonden Haare und seine grünen
Augen. Ein bitteres Gefühl überkam ihn, als würde sein Sohn ihn zu Hilfe rufen, er aber könne nicht
zu ihm eilen. Sein Herz war verwirrt von einer Unruhe, die ihm
keine Zeit ließ...
Es war im Mai. Am 19. Mai.
Er würde zu ihm gehen, um ihn zu sehen.
Am Morgen war er wieder in aller
Frühe aufgestanden, hatte noch einmal den Brief durchgelesen. Am 9. Mai 1973 hatte Ibo aus seiner Zelle an seinen Vater
geschrieben:
Verehrter Vater,
die Papiere, die mir die Leitung
der Pädagogischen Hochschule geschickt hat, habe ich erhalten. Ich habe darauf eine Antwort geschrieben
und sie ihnen geschickt. Doch die Papiere des Oberverwaltungsgerichts habe ich noch nicht bekommen.
Deswegen weiß ich auch nicht, auf welchem Stand die beiden Verfahren sind, die wir beim
Oberverwaltungsgericht
eröffnet hatten. Auch die Urteile der beiden Verfahren, die ich unten erwähne, sind mir nicht
bekannt. Ihr Ergebnis kann das Ergebnis der beiden Verfahren beim
Oberverwaltungsgericht positiv oder negativ beeinflussen.
Wenn die oben erwähnten Verfahren
für uns positiv verlaufen sind, wird es für sie schwieriger werden, mich von der
Schule zu werfen. Wenn Ihr die Ergebnisse herausbekommen könntet, wäre das sehr gut.
Viele Grüße, ich küsse Eure Hände.
Auch meiner Oma, meiner Mutter
küsse ich die Hände und jedem einzelnen der Kinder die Augen.
Macht Euch keine Sorgen um mich.
Mir geht es gut, und ich brauche nichts. Bis bald
Euer Sohn Ibraham
Dieser Brief von Ibo hatte Ali
Kaypakka etwas beruhigt und ihm die Hoffnung gegeben, er könne endlich mit seinem Sohn zusammentreffen, den er seit Monaten
nicht sehen durfte. »Das heißt, die Folter hat nun ein Ende gefunden; Ibrahim
ist wieder der alte Ibrahim«, sagte er sich voller Erleichterung..
Sein Sohn wurde wegen schwersten
Beschuldigungen vernommen; seit Monaten schon hatte es
keine Nachricht von ihm gegeben. »Lebte er oder nicht?« Nicht mal von weitem
durfte man ihn sehen. Sein Sohn, der
durch Tod und Kämpfe gegangen war, interessierte sich jetzt wieder bis in
Details für alles, wollte Nachrichten haben. »Das heißt, Ibo geht
es gut...«
Ali
Kaypakkaya faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Tasche. Er ging
Ibos Bestellungen und was er für ihn zusammengestellt hatte eins nach dem
anderen durch und kontrollierte alles.«
Es soll nichts fehlen«, sagte er sich. Dann faltete er die Papiere
sorgfältig zusammen und steckte sie in die Taschen. Er war aufgeregt, voller Unruhe; am liebsten wollte er
sich gleich auf den Weg nach Diyarbakir machen.
Doch vor einer Woche hatte er seinem kleineren Sohn
ein Versprechen gegeben. Am Morgen als er aus dem Haus ging,
hatte er sie wieder daran
erinnert. »Vergeßt nicht, zu kommen, um mir zuzuschauen!« hatte er
gesagt. Er wollte, daß seine Mutter und sein Vater ihm bei den Paraden zum 19.
Mai* zuschauten.
Ali Kaypakkaya hatte dem Wunsch
seines Sohnes nachgegeben und versprochen: »Deine Mutter und ich werden
kommen, dir zuzuschauen.«
Dann gingen sie hin.
Auf den Tribünen verfolgten Tausende von Eltern die
Vorführungen, suchten aufgeregt nach ihren
Kindern und zeigten sie sich gegenseitig.
Ali Kaypakkaya und seine Frau hatten von weitem wie
einen Punkt, wie eine Schneeflocke ihr
Kind entdeckt. Eine Weile schaute er
versunken auf seinen Sohn. Eine Hand lag auf seiner Brusttasche, auf den Schreiben, die er Ibrahim bringen
wollte. Ein saurer, herber Geschmack hatte sich in seiner Kehle
breitgemacht, beim Sprechen legte er
sich unwillkürlich auf seine Stimme.
Dann hielt er es nicht mehr aus und begann zu weinen.
Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Während er so still und heimlich in
sich hinein weinte, stieß ihn seine Frau an:
»Mußt du immer so sein? Blamier
das Kind doch nicht!«
»Mir kommt Ibrahim in den Sinn«, hatte Ali Kaypakkaya
seiner Frau mit gepreßter, halb verschluckter Stimme geantwortet. »
Es
gab einmal eine Zeit, da ging er in der gleichen Kleidung zu solchen Umzügen.
Jetzt sind ihm die Füße verkrüppelt, die Knochen gebrochen; keiner weiß, ob er
laufen kann, ob er angekettet ist oder nicht; in der dunklen Zelle
eingeschlossen ... Daran muß ich denken ...«
Später verließen sie das Stadion.
Voller widerstreitender Gefühle durchquerten sie die engen Straßen Ankaras in
Richtung auf die ärmeren Häuser...
Noch einen 19. Mai hatten sie hinter sich gebracht,
noch einen Tag, an dem in ihrer Heimat Tausende von jungen Menschen in Ketten
gelegt, Hunderte ermordet wurden.
Mit anbrechender Dunkelheit
verließ Ali Kaypakkaya allein das Haus. Er erreichte den Busbahnhof und stieg in einen Bus, der ihn nach
Diyarbakir bringen sollte. Die Straßenlaternen waren gerade angegangen und der Bus schlängelte sich durch den Verkehr
aus der Stadt. Diesmal ging Ali
Kaypakkaya mit einem anderen Vorgefühl
als sonst auf die Reise. Bis heute hatte man jeden seiner Versuche, seinen Sohn zu sehen, zurückgewiesen. Diesmal
sollte er seinem Sohn wirklich nahe sein können. An bergigen Abhängen,
an neu ergrünenden Feldern vorbei zog der Bus dahin.
»Vielleicht lassen sie uns nur ganz wenig Zeit«,
dachte er und legte in seinem Kopf
noch einmal alles zurecht, was er sagen wollte, ordnete alles nach Wichtigkeit und wählte aus.
»Allein schon all die Grüße zu
bestellen, dauert zehn Minuten.« Soweit er gehört hatte, war die Besuchszeit auf zehn Minuten begrenzt. »Es geht auch, wenn ich keine Grüße bestelle«,
dachte er. »Hauptsache, ich kann ihm das erzählen, was er wissen wollte.«
Hoffnung kam in ihm auf: »Vielleicht geben sie uns etwas mehr Zeit, weil ich ihn seit Monaten nicht sehen
durfte.«
Dann erinnerte er sich an
vergangene Tage, und mit den Gedanken daran gab er sich
schon fast damit zufrieden, seinen Sohn nur von weitem zu Gesicht zu
bekommen. »Hauptsache ich sehe, daß er
gesund ist.«
Derweil führten ihn seine Gedanken fort. Es war im
Jahr 1949; Ibrahim war gerade geboren, und er ging, um ihn nach Hause zu holen. Warm eingewickelt legten sie ihn in seine
Arme. Er schaute ihm ins Gesicht, legte ihn in die Wiege und machte
sich auf den Weg in das Cafe des Dorfes, um von seinem neugeborenen
Sohn zu erzählen.
Der Bus glitt wie ein Lichtpfeil
durch die nächtliche Dunkelheit auf Diyarbakir zu;
der Motorenlärm entfernte sich immer mehr und überließ seinen Platz einem Lächeln in Ali Kaypakkayas Augenwinkeln,
das das Aussehen von Ibo trug...
Brief an seinen Vater, aus der
Zelle geschrieben
»... Von den Toten komme ich,
singend, um zu leben
komme ich. Laß eine
glänzende Wunde mir ihre Stimme leihen. Auf meiner Wunde zu laufen lehrte mich das Messer des Henkers. Zu laufen, zu laufen, ohne zu
ermüden. Zu
widerstehen lehrte es mich. Zu widerstehen...« M. Dervis
Ibo war gerade erst 2-3 Jahre alt, als seine Eltern
sich trennten. Ali Kaypakkaya heiratet eine andere Frau aus seinem Dorf.
Seine neue Frau ließ Ibrahim zu keiner
Zeit seine eigene Mutter vermissen.
Ibrahim bekam noch mehr Geschwister. Das tägliche Brot des armen
Hauses wurde statt in drei erst in fünf und dann in sechs Teile geteilt.
Bis zu seinem neunten Lebensjahr hütete Ibo im Dorf
Schafe und Ziegen. Er hatte ein
starkes Wesen, in dem sich Widerspenstigkeit und Kampflust mit Besonnenheit und Hilfsbereitschaft mischten.
Alles um ihn herum versuchte er mit großer Wißbegierde zu verstehen. Welche
Aufgabe man ihm auch übertrug, er war bereit und kam nicht zurück, ohne seine
Arbeit erledigt zu haben.
Als Ibo neun Jahre alt wurde,
schickte Ali Kaypakkaya ihn in das Dorf Karamahmut, das
zwanzig Kilometer entfernt lag. Dort ließ er ihn bei seiner Schwester und
schrieb ihn in die Schule ein. Die erste und zweite Grundschulklasse besuchte
Ibo in diesem Dorf. Nach der zweiten
Klasse brachte sein Vater ihn zu der Schule des Dorfes Ortakisla. Dort
verbrachte Ibo ein weiteres Schuljahr.
Schon in diesen Tagen liebte er
die Wettkämpfe mit Gleichaltrigen und lag meist
vorne. Doch zu keiner Zeit verfiel er deswegen in Selbstgefälligkeit, und nie
zog er deswegen seine Freunde auf. Oft zeigte er gar nicht, daß er einen
Wettkampf hätte gewinnen können. Er
wollte, daß andere sich für besser hielten und sich freuten. Die
vierten und fünften Klassen besuchte er in dem Dorf Alacaköy.
Er war verwurzelt in seinem Dorf.
Als wenn er eingehen würde, wenn man ihn umpflanzte. Gleichzeitig hatte er
einen bemerkenswerten Drang zu lernen. Wenn er zum Viehhüten loszog,
hatte er Stift und Heft bei sich und ackerte das Schulbuch unzählige Male von
vome bis hinten durch.
»Ich werde Lehrer«, sagte er zu seinem Vater, als er
die fünfte Klasse beendet hatte. Ali
Kaypakkaya unterstützte diesen Wunsch seines Sohnes. Er schickte
Ibo zur Prüfung für das Internat. Die Familie war ziemlich arm. Ibo bestand die
Prüfung und wurde als Internatsschüler
in die Hasanoglan-Lehrerschule aufgenommen.
Sechs Jahre seines Lebens
verbrachte er in dieser Schule. In den Ferien
kam er in sein Dorf und half seiner Mutter, seinen Schwestern, seiner Familie;
er packte an, wo auch immer Arbeit 'anfiel.
Er schien einfach nicht zu
ermüden, wenn er mit der Sense arbeitete und versetzte
andere, die viel älter waren als er, in Erstaunen. Während seine Schulkameraden sich von den Dorfbewohnern fern hielten und sich nicht an der Arbeit beteiligten,
war Ibo immer dabei. Er zog Kreise auf dem Dreschplatz, arbeitete mit
der Sense, holte das Getreide ein,
erledigte, was immer im Haus zu erledigen war...
Seine ersten revolutionären Gedanken begann er
selbständig in Hasanoglu zu entwickeln. Er las und las und die gewonnenen Erkenntnisse
veränderten sein Verhalten und seine Beziehungen zu den anderen.
Sobald er aber aus der Schule zu
den Dorfbewohnern kam, wurde er „einer von
ihnen", ging von Haus zu Haus bei den Ärmsten des Dorfes vorbei, fragte
nach ihrem Wohlergehen, hörte ihren Sorgen
zu.
Ali Kaypakkaya arbeitete zu dieser Zeit als
Maurermeister. Er war ein Arbeiter; mal hungrig, mal satt. Wenn Ibo ins Dorf
kam, war der erste, zu dem er ging, um sich nach dessen Wohlergehen zu
erkundigen, ein Mann, der das Vieh der armen Leute hütete. »Vater«, sagte Ibo, »solche Leute wie Onkel Hasan
sind eigentlich diejenigen, die es verdienen, daß man ihnen die
Hände küßt...«
Er
war 16 oder 17 Jahre alt geworden, und es gab selbst in den umliegenden Dörfern keinen, der nicht seinen
Namen gehört hatte. »Wenn Allah uns ein Kind gibt, möge es wie Ibo
sein!« hieß ein frommer Wunsch.
Da er nicht nur wegen seiner Stärke, sondern auch
durch seine Gedanken unter den
Altersgenossen auffiel, zog er die Aufmerksamkeit der Reaktionäre auf sich.
Über einen Aufsatz, mit dem Titel
»Ich mag kein Grün«, den er in der Schule schrieb, regte sich einer seiner Lehrer fürchterlich
auf. »Du magst wohl Rot lieber?!« hatte er gesagt und
begonnen, ihn zu schikanieren.
Ibo bestand die Abschlußprüfung
in Hasanoglu »mit Auszeichnung«. Er kam auf die Kandidatenliste für die
Capa-Lehrerschule. Istanbul eröffnete seinem Leben eine neue Welt.
Er kam nach Capa mit noch sehr
primitiven revolutionären Gedanken, die er selbst in sich hatte keimen lassen. Schon im ersten Jahr wurde aus dem Keim ein Sprößling, aus dem
Sprößling eine starke Pflanze.
Seine Entwicklung schien
unaufhaltbar. Er begann, die hellsten und
für revolutionäre Gedanken offensten Köpfe der Schule um sich zu sammeln. Innerhalb kurzer Zeit baute er
eine Gemeinschaft mutiger und
fortschrittlicher Studenten auf. Tag und Nacht diskutierte er mit ihnen
und bemühte sich ununterbrochen, die Gruppe zu vergrößern und zu stärken.
Eine seiner herausragendsten Eigenschaften war, daß er
seine Beziehung zum Dorf nie abbrach.
Er nutzte jede Möglichkeit, sein Dorf zu besuchen, brachte dabei
Zeitschriften und Bücher mit, wanderte in die umliegenden Dörfer und redete mit
den Bewohnern.
Bald tauchte Ibos Name in den »Akten« auf. Der
Polizei »flogen« ständig Hinweise zu. Man
war verunsichert von diesem Studenten,
der in kein Schema paßte.
Es war das Schuljahr 1966-67. Ein
Jahr, das in bezug auf studentische Aktivitäten eher ruhig verlief. Linke Gedanken verbreiteten sich unter der akademischen
Jugend - abgesehen von einigen wenigen Höhepunkten -
eher in ruhigen Wellen.
Und einer
dieser »Höhepunkte« war Ibo. Er war eine der Personen, die Capa innerhalb kurzer Zeit zu einem
Mittelpunkt der studentischen
Bewegung werden ließen.
Seine erste öffentliche Aktion begann mit einem
Flugblatt, das er geschrieben
hatte. Der Schriftsteller und Journalist Cetin Altan war auf einer Vortragsreise von Reaktionären angegriffen
worden. »Wenn revolutionäre Kräfte auf
derartige Angriffe nicht sofort antworten,
dann geben sie ihnen Raum, sich heimtückisch auszubreiten. Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis
Blut fließt«, sagte er und forderte seine Freunde auf, aktiv zu
werden. Es kam zu einer großen
Unterschriftenkampagne.
Dies war die
erste öffentliche Aktion in seinem Leben, die seinen Namen trug. Seine revolutionäre Energie hatte Gestalt
angenommen und entwickelte sich von Tag zu
Tag. Wo immer ein Seminar, eine
Podiumsdiskussion oder eine andere Veranstaltung stattfand, da war Ibo zu sehen. Er saß irgendwo in der Ecke,
hörte zu, machte sich Notizen und stellte Fragen. Obwohl er sich für das
Studium selbst nur sehr wenig Zeit ließ, war er ein erfolgreicher
Student. Insbesondere in Mathematik war er so gut, daß er auch anderen
Studenten helfen konnte. Doch den Großteil seiner Zeit nutzte er, um im Rahmen
seiner Überzeugungen gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.
Das Schuljahr 1967-68 begann
bewegter als das vorangegangene. Ein Teil dieser umfassenden Bewegung war um Ibo herum entstanden. Er hatte sich zu einem Sprecher entwickelt,
und seine Freunde von der Notwendigkeit überzeugt, sich zu organisieren.
Und Ibo gründete den »Fikir
Kulüp«s" der Capa-Hochschule für Lehrer,
der an die »Fikir-Kulüp-Föderation« angeschlossen war. Die Freunde, die mit ihm zusammen zu den
Gründungsmitgliedern des Klubs
gehörten, wählten ihn zum Vorsitzenden.
Für Ibo begann nun eine neue Periode, denn als
Sprecher hatte er noch größere Verantwortung. Er schrieb die Gründungserklärung des Vereins und verteilte sie mit seinen
Freunden in der Schule. So rief er in aller Öffentlichkeit alle
fortschrittlichen und revolutionären Studenten der Schule zur Einigkeit
und zum gemeinsamen Kampf gegen
reaktionäre und faschistische Elemente auf.
Die Schulleitung wurde durch die
aufkommenden Ereignisse unruhig. »Diese Bewegung muß noch im Keim
erstickt werden, bevor sie Wurzeln treibt und sich nicht mehr ausrotten läßt«, hieß es. Die Schulleitung handelte schnell,
nutzte die Ferien im Februar für einen Beschluß. Gegen zehn
Gründungsmitglieder des Vereins wurde ein einmonatiges Hausverbot ausgesprochen. Aber damit begnügten sie sich nicht - sie
zeigten Ibrahim und seine Freunde bei der Staatsanwaltschaft an.
Einen Monat lang hielt sich Ibo
in Wohnungen von Freunden, in anderen Schulen und in Gemeinschaftsräumen auf. Tagsüber war er aktiv, wo immer er
gebraucht wurde. Sein ganzes Verhalten drückte die »Bescheidenheit eines
normalen Militanten« aus. Da er nicht dem geringsten bourgeoisen Verhalten nachhing, konnte ihn das Hausverbot weder schrecken
noch verunsichern, noch von seinen Ideen abbringen.
Er verstand es als eine
selbstverständliche Antwort der Reaktionäre.
Und es kam zu dem Punkt, an dem sich die sanfte
Wellenbewegung der politischen Arbeit in
aufgewühlte Seen verwandelte. Die Revolutionäre begannen mit Besetzungsaktionen an den Universitäten.
Ibo hielt bei diesen Besetzungen
bis zum Morgen Wache. Er diskutierte am Feuer über die Aktionen, warf sich bei Schlägereien
in die vorderste Reihe und war mit
Herz und Seele dabei...
»... Die Worte eines Marsches,
sie sind das Licht der Hoffnung,
der Kraß und des
Widerstandes... Die Worte eines Marsches,
sie nähren sich auf der Stirn,vor den Augen, aus
dem Stoff des
Herzens... Die Worte eines Marsches,
haben unbeugsame Arme, haben
unbeugsamen Willen...
Kraß, die ihnen Stimme
verleiht springt auf
wie eine Knospe,
dort, wo der Zweig zu den Sternen
reicht...« N. Bebram
Schließlich begann er, Artikel für Zeitschriften zu
verfassen. Während seiner Studentenzeit erschienen nacheinander in Zeitschriften wie Forum, Am, Türk Solu, Aydmlik
Sosyalist*, Artikel von ihm.
Am. 2. Kongreß der Fikir
Klub-Föderation (FKF) - dieser Kongreß ist historisch wichtig, da hier zum
ersten Mal deutliche Meinungsverschiedenheiten
in der Bewegung zum Ausdruck kamen -nahm Ibo
als Delegierter von capa teil. Er hatte sich inzwischen zu einer
der wichtigsten Personen bei den revolutionären Aktivitäten entwickelt.
Im Studienjahr 1968-69 nahm die Intensität der
Aktionen zu. Die Spannung hatte sich erhöht. Innerhalb der linken Bewegung war
die Diskussion um den demokratischen Kampf entflammt. Auch Ibo und seine Freunde hatten in capa alle
Hände voll zu tun.
Ibo war auf der einen Seite bemüht, seine Freunde
ständig »in Aktion« zu halten, auf der anderen Seite war er ihnen ein
Vorbild in dem ständigen Bemühen um
ihre Bildung. »So«, sagte er, »werden
sie in der Hitze der Aktion reifen und gleichzeitig mit dem wissenschaftlichen
Sozialismus konfrontiert«.
Um ihn zu behindern und
anzugreifen, dachten sich seine Gegner alle möglichen Methoden aus. Auch die reaktionär-fundamentalistischen Kräfte an der Schule hetzten sie auf....
Am 29. Oktober und am 10. November bereitete Ibo
Flugblätter des FKF vor, die in capa verteilt
werden sollten. Er selbst hatte sie geschrieben und geholfen, sie zu verteilen.
Dies nahm der Disziplinarausschuß der Schule zum Anlaß
für eine erneute Konfrontation. Die Nähe des Schulleiters zu rechten Kreisen
war bekannt. Er war vom Ministerium in capa eingesetzt worden.
Die Begründer der FKF an der
Schule wurden »auf Beschluß des Disziplinarrates hin« bestraft. Sie durften
nicht mehr im Studentenwohnheim
wohnen.
Ibo und seine Freunde erklärten,
daß sie sich »gegen diese Strafe wehren und den Beschluß nicht anerkennen«
würden. Mit Verstärkung von
außen versammelten sich die faschistischen und die reaktionär-fundamentalistischen
Elemente der Schule vor dem Eingang. Sie
bereiteten sich darauf vor, den revolutionären Studenten den Eintritt in die Schule zu verwehren.
Ibo und seine Freunde ließen sich
von diesen Drohgebärden nicht einschüchtern. So begann ein erbarmungsloser Kampf. Die Gegner benutzten bei diesem Ereignis zum
ersten Mal Feuerwaffen. Ein reaktionärer Student namens sefik feuerte mit seiner Pistole auf die protestierenden Studenten;
mehrere wurden in diesem Kampf verletzt. Ibo gab nicht auf, auch als er von Ketten und Schlagstöcken schwer verletzt worden war. Sie
erreichten, daß die Fundamentalisten sich zurückzogen. Daraufhin rief der Rektor der Schule Polizeieinheiten. Die Revolutionäre
wurden von der Schule geworfen und durften das Studentenwohnheim nicht mehr
betreten.
Für diese Studenten - alle stammten aus armen Familien
- war der Hinauswurf aus dem Wohnheim ein schwerer Schlag. Ibo kämpfte gegen Anflüge von Depression oder Aufgabe
bei den Studenten, die mit ihm aus der Schule geworfen worden waren. Er erläuterte ihnen die »politische Bedeutung dieser
Vorgänge im Rahmen der allgemeinen Bedingungen in der Türkei«. Er versuchte zu erreichen,
daß seine Freunde sich von »revolutionären Inhalten« und nicht von bourgeoisen leiten ließen. »Um zu
siegen, dürfen wir uns von den
Niederlagen nicht kleinkriegen lassen«, sagte er.
Einige fortschrittliche
Studenten, die in der Schule blieben, zeigten in dieser Zeit eine beispielhafte Solidarität mit
ihren hinausgeworfenen Freunden. Heimlich
halfen sie ihnen, brachten ihnen Essen aus der Mensa
mit, teilten ihre Betten mit ihnen ...
Ali Kaypakkaya hatte gehört, daß sein Sohn von der
Schule gewiesen worden war und war ziemlich traurig darüber.Er wollte, daß er so schnell wie möglich die
Schule beendete. Er hatte ihn unter schwersten Bedingungen, in
Armut großgezogen und sich jeden Bissen abgespart...
Er machte sich auf nach Istanbul. Er wollte mit seinem
Sohn sprechen, ihn überzeugen. Er hatte einen Bekannten in Istanbul, jemanden,
auf den man hörte. Sein Name war Sevki Bey. Er war DP*-Provinz-Vorsitzender gewesen, inzwischen war er Inhaber eines Lagerhauses. Ali Kaypakkaya suchte ihn auf
und erzählte ihm ausführlich von
dem »Schlamassel«, im dem Ibo steckte.
»Ich kann das regeln«, sagte
Sevki Bey, »aber unter einer Bedingung! Dein Sohn soll ein Schreiben
aufsetzen, in dem er seine Reue über das ausdrückt,
was er getan hat, und verspricht, sich nicht mehr an solchen Aktivitäten zu beteiligen, und ab jetzt weder über die
Leitung der Schule noch über die Regierung der Türkei zu reden. Das
soll er unterschreiben, und du bringst es mir her!«
Ali Kaypakkaya kannte Ibrahims Charakter. Trotzdem
ging er zu ihm: »So und so sieht es
aus, mein Sohn«, sagte er. »Wir sind eine arme Familie. Wenn sie an einem Faden ziehen, dann fallen unsere ganzen Flicken auseinander. Sevki Bey hat es
versprochen. >Ich krieg das
klar<, hat er gesagt, aber du hör" auf mit deinen Sachen!«
Ibo hatte seit jeher einen unendlich großen Respekt
vor seinem Vater. Nie hätte er es ertragen können, daß sein Verhalten ihn in
irgendeiner Weise verletzt. Als sein Vater nun dies von ihm verlangte, schwieg er erst eine Weile. Schließlich
antwortete er:
»Vater, das ist jetzt nichts
gegen dich. Deine Armut ist auch für mich der größte Schmerz; aber genauso wie
du, ist das ganze Volk arm, es gibt sogar
tausendfach Schlimmeres ... Nur eins möchte ich sagen: Wenn du eine Waffe bei dir hast, erschieß mich; ich werde
mich nicht wehren. Aber bitte mich nicht, meine Überzeugungen zu verleugnen
...
«So sehr sich Ali Kaypakkaya auch bemühte, Ibo ließ
sich nicht erweichen.
»Warum macht ihr euch zum
Kugelfang?« sagte er, »sieh doch, was für tapfere
Freunde von euch schon gefallen sind!« Ohne ihn zu verletzen, versuchte Ibo, geduldig und immer wieder von neuem mit
lebendigen Beispielen, seinen Vater aufzuklären.
Ali Kaypakkaya hatte viele solcher Gespräche
geführt mit Ibo. Wenn Ibo mit Menschen aus
dem Volk sprach, dann wählte er jedes
seiner Worte mit Bedacht aus.- Wenn er Fehler kritisierte, die eigentlich
aus gutem Willen entstanden waren, wurde er niemals scharf. Wenn sein Sohn mit
ihm sprach, sah er sich manchmal als einer, der »seine eigenen Unrichtigkeiten
zu verteidigen« suchte und es kam ihm vor,
als würde er »eine Sünde begehen«. Dann verstummte er und hörte nur noch Ibo zu, um >etwas von ihm zu lernen<
Nachdem Ibo
von der Schule geworfen worden war, arbeitete er in einem Hotel. Nach einem
Streit mit dem Chef ging er. Eine Zeit lang gab er Nachhilfeunterricht in Mathematik. Hatte er gerade genug zum Sattwerden verdient, so reichte es ihm. Lieber
wollte er seine Energie und seine Zeit für
den Kampf einsetzen.
Einmal hörte er, daß es im Dorf
Gerede über ihn gab und fuhr geradewegs hin. Gewisse reaktionäre Elemente
hatten, nachdem Ibos Name im Zusammenhang
mit studentischen Ereignissen gefallen war, das Gerücht in Umlauf
gebracht, Ibo »bereite den Umsturz des
Staates vor«.
Ibo ging eine Weile in die
Gegend, sprach mit den Dörflern, hörte sich
ihre Sorgen an. Er erläuterte ihnen die wirklichen Gründe ihres Leids und
sprach von Auswegen.
Nächtelang
sprach er mit ihnen, sagte, daß »die Machthaber sich immer mehr auf Gewalt umstellen« und erzählte ihnen
aus dem Leben der Freunde, die im Kampf
gefallen waren.
Wo
immer er auch hinging, er wurde mit Liebe empfangen. Wenn er ging, wünschten
die Menschen ihm Glück und waren stolz auf diesen »beherzten jungen Mann aus
ihren eigenen Reihen«.
Wenn Ibo mit den Dörflern sprach,
spielte er nie deren Probleme herunter und redete nie >einfach so daher«.
So wie er in aller Offenheit von dem
redete, was möglich war, so sagte er auch, was alles nicht möglich war: Dies stärkte das Vertrauen, das man in ihn setzte.
Er kannte die Besonderheiten jedes Dorfes, in das er ging. Weder in der Kleidung noch in seiner Art, sich zu
bewegen, seiner Achtung vor Sitten
und Gebräuchen, seiner Sprache und Redeweise, unterschied er sich von
den Dörflern. Sein Verhalten kam von innen, und er ließ die Dörfler sofort
spüren, daß er keiner von
»draußen« war, sondern einer von
ihnen, der ihre Sorgen zu den seinen machte.
Er brachte den Dörflern Freude und Leid zum Greifen
nah, sie konnten sie mit ihren eigenen Augen sehen, ihren eigenen Ohren hören.
Er spielte auf der Saz, sang Volkslieder und tanzte
bei Hochzeiten mit ihnen Volkstänze, die er schon seit seiner
Kindheit liebte.
Wenn
er aus den umliegenden Dörfern zurückkam, schloß er sich zu Hause ein und war
bis zum Morgengrauen im schwachen Eicht der
Lampe mit Lesen beschäftigt. Wenn sich die Gelegenheit ergab, las er seinem Vater aus Romanen vor, die
von revolutionären Ereignissen in anderen Ländern erzählten.
In der Zeit um 1968-69 begannen bestimmte aktive Teile
der politischen Jugend, Beziehungen zu
Arbeiter- und Bauernkreisen zu knüpfen. Sie hatten
bei Zwischenfällen erste Opfer. Von Tag zu Tag wütete der Faschismus stärker
und mit immer neuen Methoden. In solch
einem Umfeld erreichten die Anstrengungen revolutionärer Organisationen
neue Dimensionen; die fortschrittlich revolutionären
Kräfte vereinigten sich mit den aufkommenden Arbeiter- und Bauernbewegungen.
Ibo
war einer der Revolutionäre der vordersten Reihen bei Ereignissen wie der Bewegung gegen die »6. Flotte*«
der amerikanischen Marine, die im Bosphoros vor Anker lag, und dem »Blutigen
Sonntag*«, bei dem während einer revolutionären Kundgebung das Militär
ein Massaker gegen das Volk verübte. Gleichzeitig war er einer der wenigen Revolutionäre, die in jener
Zeit in Fabriken und Dörfern arbeiteten.
Um 1969-70 war Ibo schließlich nur noch selten bei der
studentischen Jugend zu sehen. Meist schrieb er in der »Türk
Solu Dergisi*« Nachrichten und Artikel über
proletarische und bäuerliche Aktivitäten und beteiligte sich immer
wieder an Aktionen der Massen. Wenn er in der Redaktion saß, übernahm er jede
Arbeit, die anlag. Er arbeitete freiwillig, hielt Wache, klebte Briefmarken und faltete Zeitschriften.
Der
Schulverweis Ibos wurde vom Oberverwaltungsgericht als ungerechtfertigt wieder aufgehoben. Sie mußten die von der Schule geworfenen Studenten wieder aufnehmen. Die
Schulleitung führte diesen Beschluß nur teilweise aus - neun der
Studenten wurden wieder aufgenommen, Ibo
nicht.
»...Mich leiten die Kämpfe
der Guerilla, Halsschlagader
meines Volkes
eine gewaltige und ehrenhafte
Leidenschaß ist die Beständigkeit
und nicht nur das
wie der Traum von der Geliebten
ist sie auch...
zierend
fügsam
zart
wissend
wir, Meister der Heimat liehe,
Hoffnung
unsterbliche Flagge in unserem
Versteck
rot in rot
Welle für Welle...«
A.Arif
1970 war ein Jahr, in dem viele
junge Menschen ihr Leben gaben, ein Jahr, in dem sich
die Revolutionäre mit aller Kraft gegen Gewalt
und Grausamkeit wehrten. Aber es zeichneten sich auch deutlicher Spaltungen in den Reihen der Linken ab. Ibo
machte sich in dieser Zeit Gedanken über den Revisionismus und diskutierte mit
seinen Freunden darüber. Er forderte sie auf, sich mit dem Revisionismus zu
beschäftigen, ihn ebenso zu bekämpfen, wie
sie ihre Feinde bekämpften. Ibo wurde in dieser Zeit zweimal von der Polizei festgenommen und beide
Male brutal zusammengeschlagen. Das eine Mal nahm man ihn in Untersuchungshaft
und hielt ihn fast einen Monat lang fest.
In diesem Jahr stärkte sich der Kampfwille der
Bevölkerung, es gab sowohl auf dem Land als auch in den Städten, in
Dörfern und auch Fabriken Massenaktionen.
So
kam es zu dem Aufstand der armen Bauern von Degirmen-köy in Thrakien. Sie nahmen sich ihr Land zurück, das sich Großgrundbesitzer angeeignet hatten. Ibo war dabei;
zwischen den Bauern. Und noch ein
unaufhaltsamer Revolutionär war dort zwischen den Revolutionären von Degirmenköy: Cihan Alptekin*.
Cihan
und Ibo gaben hier ein herausragendes Beispiel für die Lenkung und Führung einer revolutionären Massenbewegung.
Die Bauern hörten den Regierungsbeamten nicht einmal
zu, die gekommen waren, um sie umzustimmen und lange Reden zu halten. Ibo und Cihan waren es, die
auf dem Dorfplatz mit der Bevölkerung des Dorfes sprachen. Die Dörfler hatten
beide als wahrhafte Freunde des Volkes erkannt und
durch sie hatte sich ihr Vertrauen und ihre Liebe zu
den Revolutionären gefestigt. Die Regierungsbeamten
wollten zunächst die beiden jungen Leute durch die Gendarmerie verhaften
lassen. Doch mußten sie dieses Vorhaben aufgeben,
als sie sahen, daß die Bauern sich auf Widerstand vorbereiteten und es
deutlich wurde, daß sie solche Verhaftungen nicht zulassen würden. Die Bauern stellten sich in aller Öffentlichkeit auf die
Seite der beiden jungen Leute und erklärten, daß sie sie nicht ausliefern würden.
Dann aber stellte man ihnen eine Falle. Sie nahmen Ibo
und Cihan fest. Sie folterten sie. Doch
die beiden verließen die Folterkammer, in denen ihnen Brust und Arme gequetscht wurden, noch bewußter als vorher ... Tag für Tag verstärkten sich die
sozialen und ökonomischen Unruhen unter der Bevölkerung. Sie verwandelten sich zu einer demokratischen Massenbewegung. Der
immer intensivere Kampf fand seinen Ausdruck am 15 bis 16. Juni"' auf den
Straßen Istanbuls.
An
diesen Tagen, an denen immer wieder in allen Teilen der Stadt Massen von
Menschen zusammenkamen, war Ibo zwischen den
Arbeitern und einer von ihnen. Er hatte kleine Komitees eingerichtet;
nachts druckte er bis zum Morgengrauen Flugblätter und war tagsüber auf den
Straßen, dort, wo der Kampf am heftigsten war. Arm in Arm mit den Arbeitern
überwand er die Barrikaden.
Sein
monatelanges Zusammensein mit den Arbeitern sicherte ihm die Liebe und
Anerkennung der engagiertesten Teile der Arbeiterschaft. Hunderte kannten Ibo
wie ihren eigenen Bruder. Die Arbeiter der
Eisengießereien, Sungurlar, Horoz (civi, Pertriks, Ege Sanayi, EAS Akü, Gislaved, Gamak, Singer, Derby... Sie alle kannten
diesen jungen Mann. In jeder bestreikten Fabrik war auch etwas von Ibos Energie wirksam.
Anfang 1971 besuchte er Corum und die umliegenden Dörfer. Er hatte
vor, eine Untersuchung über diese Gegend und die Dörfer zu schreiben.
Seine Abfahrt nach Corum fiel in die Zeit, in der
sich der Faschismus in der Türkei offen zu zeigen
begann. Die Imperialisten waren entschlossen, den aufkommenden Kampf der
Massen, die Unruhe, die sich in allen
Kreisen der Bevölkerung ausgebreitet hatte, mit Blut und Schüssen niederzuschlagen. So sollten gleichzeitig auch die fortschrittlichen Elemente der
Gesellschaft aus dem Weg geschafft
werden.
Die Faschisten krempelten die Ärmel hoch.
Der Ausnahmezustand* wurde ausgerufen.
Streiks in den Fabriken, Aktionen der Massen in den
Dörfern, Zusammenkünfte, Demonstrationen - all dies wurde
verboten. Fortschrittliche Zeitungen und
demokratische Massenorganisationen
wurden geschlossen. Die Presse wurde mit Zensur belegt. Man blies zur
Jagd auf Revolutionäre. Als erster Schritt wurden in den Wohnungen Tausender
von Revolutionären und demokratischer Menschen
Hausdurchsuchungen durchgeführt. Viele wurden verhaftet. Andere ermordet. Angsthasen und Feiglinge
zogen sich zurück. Schmerzhaft
wurde deutlich, daß eine starke politische Massenorganisation fehlte.
Viele Revolutionäre verbargen sich in
verschiedenen Gegenden Anatoliens.
Zusammen mit einem engen
Freund hielt Ibo sich seit drei Monaten im Bezirk Corum auf. Nach dieser
langen Arbeitsphase verfaßte er eine Studie unter dem Titel »Eine Analyse der
Klassenstruktur im Bezirk Corum«.
In diesem Gebiet, in das
er sich mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes zurückgezogen hatte, lasen und
arbeiteten er und sein Freund
unentwegt. Gleichzeitig besuchten sie die Dörfer und erläuterten die wirklichen Gründe für die Ereignisse, die
sich im Land entwickelten. Von Zeit zu Zeit
nahmen sie Kontakt zu Freunden in anderen Bezirken auf und tauschten
Informationen aus. Ibo entwickelte einen
neuen Vorschlag für eine Organisierung.
Später entschloß Ibo sich, diese Gegend wieder zu
verlassen. An dem Tag, an dem er sich auf den
Weg in einen anderen Teil Anatoliens machen wollte, war er in dem Haus seines Vaters. An den Füßen trug er
Plastiksandalen, sein Aussehen war ärmlich und unter dem Arm hielt er ein Bündel.
»Ergib dich, mein Sohn!« versuchte AK Kaypakkaya Ibo
zu überreden. »Du wirst noch zum Opfer ihrer Kugeln werden; wer ist nicht schon
alles erschossen worden!« »Auch die Sterbenden sind deine Söhne«, antwortete Ibo und sagte seinem Vater, daß er wegen ihm nicht traurig sein sollte, daß ihm
seine Verbindung zum Volk wichtiger
sei als seine eigene Haut.
Einmal
kam es Ali Kaypakkaya in den Sinn, Ibo festnehmen zu lassen,
um sein Leben zu retten. Er wußte, wie draufgängerisch er war, wußte, wie viele ihm
gegenüberstanden und zu welchen Methoden sie griffen. Aber Ibo würde sich bei
einer Festnahme wehren. Dann wäre es, als hätte er seinen Sohn mit den eigenen Händen
getötet. So gab er seinen Gedanken auf.
Als
letztes vor dem Weggehen fragte Ibo seinen Vater nach einer Adresse. Wie immer war er entspannt und zu Scherzen
aufgelegt. Als er merkte, daß sein abgemagertes Aussehen
seinen Vater traurig stimmte,
versuchte er ihn aufzuheitern und erzählte ihm einen Witz: »Ein Kommandant im
Krieg sagte: Ach wäre ich doch eine Maus und könnte in jedes Loch kriechen!«.
Als
Ibo gehen wollte, fragte sein Vater noch, ob er Geld bei sich hätte. »Ich hab soviel ich
brauche«, antwortete Ibo. Die Antwort überzeugte
den Vater nicht und er durchsuchte die Taschen seines Sohnes. Dabei
fanden sich gerade eben 10 Lira. Ali Kaypakkaya lief sofort aus dem Haus und
kehrte mit 100 Lira zurück, die er sich von
Nachbarn geborgt hatte.
Ibo sah seinem Vater
nachdenklich und traurig hinterher, dann verabschiedete
er sich, trat über die Türschwelle und ging still davon.
Nach seinem Verschwinden
hielt Ibo sich bis zum 24. Januar 1973 zumeist in den Sommerlagern der
Hochebenen und Dörfer der Kreise Silvan, Nazimiye und Kürecik, in den Bezirken Tunceli, Malatya
und Antep, und auch in Haydaran, in Nurkaklar und in den Düzgün-Bergen auf. Ab
und zu auch, war er in Ankara oder Istanbul.
Fast
24 Stunden am Tag zog er umher, redete, hörte zu, diskutierte.
Sein großes Ziel war, in organisierter Form die Sorgen des Volkes zum Ausdruck zu bringen. Die Genossen, die
ihm am nächsten standen,
beauftragte er mit Arbeiten in Anatolien, besonders im Südosten.
Zur Auswahl und Schulung neuer Kräfte kam er hin und wieder nach Istanbul.
Nach einiger Zeit wählte er als Wohn- und
Arbeitsgebiet für sich selbst den
Bezirk Malatya. Monatelang leistete er hier Aufklärungsarbeit in den Dörfern. Er legte besonderen Wert
darauf, mit engagierten Teilen der Bevölkerung zusammenzukommen.
Er zog umher, kontrollierte die Arbeit der
Genossen, die er in den verschiedenen Gebieten
eingesetzt hatte, hörte sich ihre Arbeitsberichte an und sagte ihnen, in
welcher Richtung sie weiterarbeiten sollten.
Den Herbst dieses Jahres verbrachte Ibo in den Dörfern von Malatya.
Wenn es Abend wurde, machte er sich auf und
besuchte Haus für Haus. Die Bauern erwärmten sich für den jungen
Mann, der ihnen voller Aufmerksamkeit zuhörte. Sie gewöhnten sich an ihn und sprachen lang und ausführlich mit
ihm.
Mit größter Vorsicht
begegnete Ibo reichen Dörflern, die sich revolutionär
gaben. Wenn sie auf das Volk herabschauten, zeigte er sich ihnen gegenüber besonders abweisend.
Ibos Persönlichkeit und Benehmen waren
natürlich und zeigten, daß er das Volk kannte.
Die Mittelständler im Dorf ließ er aus ihrem
eigenen Leben erzählen, wie sie Tag für Tag noch mehr verarmten,
führte ihnen dann die Gründe dafür vor Augen und schulte sie. Mehr noch aber,
baute er Beziehungen zu den armen Dörflern auf und ließ sich von ihnen berichten. Ihnen maß er am meisten Bedeutung zu; dem, was sie sagten, schenkte er am meisten
Vertrauen.
»...Patrouillen auf den Straßen Neue Befehle für die Divisionen bezogen auf die Dörfer Paarweise Polizisten vor den
Fabriken Neben Hunger Unterdrückung Finsternis eine neue Wunde: der VERRA T.«
N. Bebram
Unerschrocken und unermüdlich
wanderte er in unwegsamem Gelände von Dorf zu Dorf. Den Bauern erzählte er mit
Begeisterung von der Oktoberrevolution, von
China, von Vietnam, erzählte ausführlich
vom Leben und Kampf anderer Völker. Wie schon die Bewohner von Ibos Dorf, so
hörten jetzt auch diese Bauern mit ganzem Herzen zu, ließen sich von der
Begeisterung mitreißen und brannten danach
darauf, ihm aus ihrem eigenen Leben zu erzählen.
Ibo ließ sich insbesondere von den Alten die
Geschichte des Gebietes erzählen, von Aufständen
und Sorgen, deren Wurzeln in alte Zeiten
zurückreichten. Danach notierte er sich die erhaltenen Informationen, um sie später in Aufsätzen über diese
Gebiete zu verwerten, in denen das wirklich Gelebte als Grundlage für
die Entwicklung polioscher Lösungen dienen
sollte.
Wo er auch hinkam, er interessierte sich selbst für
die geringsten Probleme der Genossen, mit denen er zusammenarbeitete.
Ihre Sorgen machte er sich zu eigen, und mit
aller Kraft war er bemüht, Lösungen zu finden. Kritisierte er einen
Genossen, so tat er dies mit Bedacht nach dem Prinzip „die Krankheit behandeln,
um den Kranken zu retten" und versuchte Hindernisse aus dem Weg zu räumen, ohne jemanden zu verletzen.
Kollektive
Arbeit war ihm wichtig. Neue Pläne, die er hatte, wandte er zuerst selber an. Immer wieder fragte er seine Genossen nach
seinen Fehlern und legte großen Wert auf ihre Kritik. Sobald er sah, daß er bei einer Arbeit etwas
falsch gemacht hatte, gab er es sofort in aller
Offenheit zu und übte Selbstkritik, um nicht noch einmal in diese
Verhaltensweise zurückzufallen. Auf keinen Fall ließ er sich von kleinbürgerlicher Empfindsamkeit leiten, wenn seine Genossen ihn kritisierten.
Diese Tugenden, die er sich anerzogen hatte,
erwartete er auch von den Menschen um ihn herum. Wenn einer seiner Genossen sich kleinbürgerlich verhielt, seinen Stolz nicht unterdrücken
konnte und sich einer Selbstkritik
entzog, so beschimpfte Ibo ihn nicht, sondern brachte ihn
meisterhaft dazu, sich zu schämen, ohne daß er
ihn verletzte.
Seine Persönlichkeit und seine
Gedanken entwickelten sich in den Beziehungen zur Bevölkerung. Ihn ekelte die
Besserwisserei der Intellektuellen bis zum Erbrechen, ihre passive Geschwätzigkeit, ihre Gebundenheit und Kühle, die keine
Begeisterung kannte, ihre Unentschlossenheit und Schwerfälligkeit. Alles
an ihm selbst war natürlich wie ein Zweig, ein Gebirgsbach. Insbesondere die letzten Monate seines Lebens festigten in ihm die
vom Volk stammenden Tugenden.
Innerhalb kurzer Zeit hatte er gelernt, sich recht
und schlecht auf kurdisch zu verständigen. Trotzdem nahm er, wenn
er über die Dörfer zog, einen Genossen mit, der gut kurdisch
sprach. Einem ärmlichen Haus näherte er sich
mit einer Wärme, als sei es sein eigenes, grüßte schon von weitem, und
noch bevor die Tür geöffnet wurde, war zwischen Ibo und den Bewohnern eine Nähe
hergestellt.
Unmerklich brachte er das
Gespräch auf die politischen Hintergründe der Probleme. Und er klärte sie über ihren
Hunger, ihre Blöße, ihre Armut so auf, daß seine Worte ihnen unvergeßlich in den Gedanken blieben.
Die Bauern, die im
allgemeinen gewohnt waren, früh schlafen zu gehen, vergaßen, wenn Ibo bei ihnen weilte, was Müdigkeit
bedeutete. Als würde ein von Vätern ererbtes Gefühl in
ihnen knistern. Sie wurden mutig, wütend,
ungeduldig.
Ibo legte besonderen Wert
darauf, daß seine Freunde bei Aktionen selbst die Initiative
ergriffen. Ging er in irgendein Gebiet, um die
Arbeiten dort zu verfolgen, so diskutierte er die richtigen und die problematischen Seiten der Aktionen. Immer war
er noch offen für Veränderungen, die
durch die Praxis entstehen konnten und zog für weitere Aktionen Lehren aus
unerwarteten positiven und negativen Folgen.
Unter den fortschrittlichen Kreisen im Bezirk
Malatya baute er innerhalb kurzer Zeit
Lesegruppen auf, wo er die meiste Zeit verbrachte.
Es war das Jahr, als in
der Türkei ein Revolutionär nach dem
anderen getötet wurde und die
Folter im ganzen Land Terror verbreitete. Tausende von
Menschen wurden aufgrund ihrer Gedanken verurteilt. Der staatliche Terror
lauerte hinter jeder Tür, hinter jeder Straßenecke. Angst und Wankelmut kamen
auf, auch in den Reihen der Linken gab es
Umfaller.
Sie, die sich für Wankelmut, Duckmäusertum und
Aufgabe entschieden, nahmen ihren Platz in der Gegenbewegung ein.
Sie schauten darüber hinweg, daß sich über dem Volk eine schwere Last zusammenzog, sahen nicht die Blutsauger der
Unterdrückung in den Adern des
Volkes. Über ihre Selbstaufgabe hinaus begannen sie auch noch unter dem Namen einer »Kritik an den Fehlern« eine niedrige Schmutzkampagne gegen den revolutionären
Kampf. Sie brachten durcheinander, was zu verteidigen und was zu kritisieren war.
Sie griffen mit den Mikrofonen der Konterrevolutionäre die grundlegenden
revolutionären Tugenden hinterhältig an. Und so begingen sie Sünden, um sie gleichzeitig zu beichten!
Es gab aber auch viele,
die Widerstand leisteten, die ihren Kopf nicht beugten, die mit Geduld und Entschiedenheit die
Folgen auf sich nahmen ...
Daran mußte Ibo denken, als
er in den Zeitungen auf die Fotos von Omer
Ayna* schaute, der die Folterkammern der Ausnahmezustandskommandanturen
durchlaufen hatte. Was in Ömers Blik-ken
geblieben war, empfand Ibo wie einen heißen Gruß. »Eine der ersten Bedingungen revolutionären Verhaltens ist
es, die Folter auszuhalten«, sagte er zu seinen Freunden und forderte
sie auf, sich ein Beispiel an Omer zu
nehmen.
Ömers
Blicke aus den Folterkammern hatten die Begeisterung und Erregung in Ibos
Herzen getroffen.
»Wir dürfen nicht bis zur Folter warten«, sagte er zu
seinen Genossen. »Wir müssen leben, als würde sie in jedem Moment angewandt werden, so können wir sie von vornherein
besiegen...!«
Und dieses Bewußtsein war in jedem Moment seines
Lebens wirksam.
Eines
Tages wollten Ibo und zwei seiner Freunde aus ihrem Gebiet in ein anderes überwechseln Sie waren zu dritt.
Sie zogen aus dem Tal herauf. Je höher sie kletterten, desto mehr stellten
Schnee und Wind sich ihnen in den Weg. Schließlich wurde der Berg unüberwindlich.
Stundenlang kämpften sie. In der rabenschwarzen Dunkelheit konnten die Lampen
in ihren Händen gerade drei Schritte gegen den gewaltigen Schneesturm
anleuchten. Von weitem hörte man Wolfsgeheul. Mit den Fingern am Abzug
kletterten sie stundenlang am Rand bodenloser Abgründe, am Fuß schroffer
Felsen. Dann begann der Abstieg. Ihre Gesichter waren vereist. Nach einem
endlos langen Abstieg erschienen in der Ferne die Lichter des Dorfes. Als sie
sich dem Dorf zuwandten, bemerkten sie, daß
sie an dem gleichen Abhang standen, von dem aus sie Stunden vorher aufgestiegen
waren.
Die Genossen schlugen Ibo
vor, nicht gleich wieder loszuziehen. Doch Ibo gab mit einer Stimme, in der
Entschiedenheit und Schärfe lag, den
Befehl, sich wieder auf den Weg zu machen. Gegen Morgen erreichten sie die
Genossen auf der anderen Seite des Berges ...
Ibo pflegte zu sagen, daß »Durchhaltekraft und
Entschiedenheit eine wichtige Grundlage für den Sieg« seien. Beispiele,
Schwierigkeiten zu begegnen, lieferte er selbst. Seine Geduld und Zähigkeit
und sein monatelanges Leben in den Widrigkeiten der Natur ließen Ibo zu einem
Teil der Natur werden.
Eines Tages hatten sie sich
auf den Weg in einen anderen Bezirk gemacht. Nachdem sie den ganzen Tag in
unwirtlichem Gelände gelaufen waren, begannen sie
sich nach einem Platz für die Nacht umzusehen. Zwischen den Felsen des
Berghanges fanden sie eine kleine Höhle.
Sie war sehr eng, und man konnte nur schwer hineingelangen, aber sie
mußten sich vor Wind und Regen schützen. Die Freunde schlugen Ibo vor, einen
anderen Platz zu suchen, doch Ibo war schon in die Höhle hineingekrochen und
hatte begonnen zu arbeiten. In kurzer Zeit weitete er die Höhle. In dieser
Nacht hatten sie alle Platz.
In dem Gebiet hatte sich der
Winter von den Bergspitzen bis tief in die Ebenen ausgedehnt. Nachdem Mahir und
die anderen* ausdem Gefängnis
von Maltepe geflüchtet waren, verstärkten sich die Sucharbeiten der
Sicherheitskräfte. An Straßenkreuzungen auf dem Weg von Antep nach Malatya
waren Kontrollen aufgebaut. Ibo jedoch ließ sich nicht aus der Ruhe bringen
und zog gleichmütig vorbei.
Mit Sandalen an den Füßen, einem
alten Mantel über dem Rükken, seiner Schlägermütze und der für diese Gegend
typischen Hose hatte er
das Aussehen eines hart arbeitenden bäuerlichen Proletariers. Ibo verlor bei
Durchsuchungen nie seine Kaltblütigkeit. Zumeist erregte er sowieso keine
Aufmerksamkeit, wenn er an Kontrollpunkten vorbeikam.
|
».. .Natürlich haben sie etwas zu
sagen
Die kurdischen Frauen, die einem Flüchtling Tee
reichen
Stumm und schroff sind die Berge
Doch der Tag wird kommen, da werden auch sie etwas zu
sagen
haben
und wenn sie einmal anfangen zu
reden, die Berge, die
menschenleeren Ebenen,
Dann vestummen sie nicht mehr, dann werden sie das
Wort
haben...«
A. Behramoglu
Eine Weile später kehrte er
zusammen mit Bora Gözen* nach Malatya zurück. Bora war zu dieser Zeit schwer
krank; er hatte Gelbsucht. Ibo brachte ihn bei Freunden unter und zog nach Tunceli weiter. (Als seine Krankheit sich zum
Besseren wendete, verließ Bora den Bezirk Malatya und ging nach
Palästina. Don wurde er während eines
Übergriffs der Israelis zusammen mit einer Gruppe türkischer
Revolutionäre durch israelische Einheiten getötet...) Ibo blieb nur kurz in Tunceli, ließ sich die Berichte über die Arbeiten
in den Bezirken vorlegen und fuhr weiter nach Istanbul. Dort wertete er die Berichte aus und verarbeitete
einige zu Aufsätzen.
Als Freunde, die zur Ausbildung nach Palästina
gegangen waren, nach Malatya zurückkehrten, zog auch Ibo wieder
dorthin.
Inzwischen kannten ihn weite Kreise der Bevölkerung in
diesem Gebiet - wenn auch nicht mit seinen wirklichen Namen - und liebten ihn von Herzen.
Oft sagte er seinen Freunden, daß sie ihre Beziehungen
zu Menschen, zu denen, die sie liebten, nicht vernachlässigen dürften. Soweit möglich versuchte er, gegenüber den Schönheiten
der Natur und in den Beziehungen zu Menschen nicht zu verhärten. Er erzählte von der Liebe, die er seiner alten und
armen Amme gegenüber empfand, von der Sehnsucht, die er nach ihr hatte,
und von der Achtung, die er seinem Vater entgegenbrachte.
Seinen Ausweis, der
auf den Namen >Ibrahim Kaypakkaya< ausgestellt war, hatte er schon längst zerrissen und weggeworfen.
Er besaß jetzt einen anderen
Ausweis, und nur wenige Genossen um ihn herum kannten ihn als >Ibrahim<.
Die große Bedeutung, die er den Beziehungen zu Menschen beimaß,
war ein wichtiger Grund, warum er von der Dorfbevölkerung so anerkannt wurde.
Diese Menschen, denen er immer zu helfen bereit war, würden auch ihm beistehen,
wenn er in Bedrängnis käme.
Eines Tages waren sie gegen
Morgen in ein Dorf gekommen, in einem Haus aufgenommen worden und hatten sich
zum Ausruhen zurückgezogen. Sie waren gerade
eingeschlafen, da wurden sie plötzlich durch lautes Geschrei geweckt. »Das Dorf
wird überfallen«, schrie die Frau des Hauses auf kurdisch. Ibo und seine
beiden Genossen verließen das Haus durch die Hintertür und verschwanden in
Richtung der Berge. Ibo beruhigte seine Genossen mit einem Lied, das er zu
ihren schnellen Schritten sang, und machte ihnen Mut. Wie sonst auch ließe er
die Gefahr hinter sich, indem er den Menschen um sich herum Kraft gab und
selbst nicht die geringste Spur von Furcht aufkommen ließ.
Wenn er sprach, so konnte man
schon seiner Stimme seinen festen Glauben an ihre Sache anmerken. Sprach er
von den Feinden des Volkes, brannte sie wie ein Vulkan, sprach er von der Liebe
und der Sehnsucht, wurde sie sanft.
Ergab sich zwischen seinen
Arbeiten freie Zeit, so nahm er sein kleines Heft und zog sich entweder in eine
Ecke zurück oder kletterte auf einen
Felsen und setzte sich. Dort machte er sich Notizen und entwickelte neue Ideen.
Manchmal schrieb er auch kurze Kampfgedichte und las sie seinen Freunden vor.
Ein
Gedicht von Ibo lautete so:
Für die gefallenen Genossen
Ihr, die Ihr euer Leben gegeben habt für unser Volk
Ihr, die ihr alles gegeben habt im Namen dieses Kampfes,
Ihr seid es, die der Fahne des Kampfes die rote Farbe gegeben habt,
die ehrenvoll in unserer Brust weht
Ey ihr, die ihr für unser
unsterbliches Volk gefallen seid
Ey ihr, erhabene Söhne unseres
Volkes
Hört jetzt, stolz und geduldig;
Eure Genossen fuhren ihn weiter,
euren Kampf...
Es war noch
im Monat Mai, der zwölfte Tag, nachdem Deniz und die anderen* ihr Leben am
Galgen gegeben hatten. Die Nachricht ihrer Hinrichtung kam aus Ankara. Die
letzten Momente von Deniz, Yusuf und Hüseyin* hatten sich in Ibos Brust
festgesetzt und dort eine Weite, eine seltsame Melancholie und Wut
hinterlassen...
Ibo bereitete in diesen Tagen die Durchführung eines
Plans vor, der ihn schon seit längerer Zeit
bewegte.
In einer solchen Jahreszeit waren in diesem Gebiet
einige junge Leute, die zu THKO* gehörten, von den Sicherheitskräften
aufgegriffen worden. Im Schußwechsel starben Sinan Cemgil*, Kadir Manga und
Alparslan Özdogan.
Ibo hatte danach eine Untersuchung in den Dörfern der
Umgebung durchgeführt und sich über das Ereignis, das sich in der Gegend des
Dorfes Inekli abgespielt hatte, Informationen bei Dorfbewohnern eingeholt.
Dann hatte er sich einige Notizen gemacht: „Mustafa
Mar-deniz, Dorfvorsteher von Kähyali im
Kreis Kürecik von Akcadag in
Malatya".
Ibo sagte, daß Mustafa Mardeniz ein Spitzel sei. Nach
einer langen Vorbereitungszeit legten er und sein Freund einen Hinterhalt und
nahmen den Dorfvorsteher fest. Sie brachten ihn in eine Höhle, die sie vorher
ausfindig gemacht hatten, verhörten ihn dort und erschossen ihn später...
Danach verließ Ibo den Bezirk wieder für eine Weile
und zog nach Tunceli. Aus den Haydaran-Bergen kamen auch Ali Hay-dar Yildiz und
Muzaffer dorthin. Sie trafen sich und kehrten zu
den Sommerlagern in den Hochebenen der Haydaran-Berge zurück.
Hier erklärte Ibo ihnen den Vorfall mit dem
Dorfvorsteher Mustafa Mordeniz:
»Bis jetzt haben die Faschisten in unserem Land nahezu
100 Revolutionäre umgebracht. Die meisten von ihnen haben sich leidenschaftlich
gewehrt und sich für den Befreiungskampf des Volkes hingegeben. Das Blut
dieser Kinder hat den Groll unseres Volkes gegen die Tyrannei anwachsen lassen.
Unsere Aufgabe im Leben ist es,
den mutigen und entschiedenen Kampf unserer Genossen und aller patriotischen
Menschen fortzuführen.
Heute ist es das erklärte Ziel
der Faschisten, die organisierten Kräfte unseres Volkes in Blut und Feuer zu ersticken.
Um dieses Ziel zu
erreichen, setzen sie alle möglichen Mittel ein. Sie benutzen das Elend des Volkes; mit
Geldversprechen ermuntern sie reaktionäre
Elemente, die ihr Gewissen und ihre Würde für Münzen hingeben, um Spitzeldienste zu verrichten.
Sie haben versucht, die
revolutionäre Gruppe um Sinan Cemgil mit Hilfe solcher Spitzel zu vernichten, doch es ist
ihnen nicht ganz gelungen. Die
Gruppe hat sich mit ihrer geringen Kraft in den Göl-baji-Bergen heldenhaft
gewehrt.
Um das Volk einzuschüchtern,
haben die Faschisten ihre Leichname entkleidet und nach Gölbasi geschafft. Die
bourgeoise Presse ist ihrem Geschäft mit
Fotos nachgekommen. Einige Tage später
wurden die Spitzel und die Angreifer mit Geld belohnt. Doch die Waffe in der
Hand der Faschisten hat sich gegen sie selbst gewendet. Das
schwergeprüfte Volk der Türkei, allen voran
die Bewohner jener Gegend, haben diese Bluttat verachtet.
Da ich in dieser Gegend
arbeitete, habe ich die Reaktion des Volkes aus der Nähe miterlebt. Das Volk wollte, daß
die Tyrannen und
diejenigen, die sich zu ihrem Werkzeug machten, bestraft wurden.
Ich beschloß, dem Willen des Volkes nachzukommen, und nahm deshalb die Bestrafung des
Dorfvorsteher-Spitzels, der in erster Linie für die Bluttat verantwortlich war,
in meine eigenen Hände.
Mitte Mai informierte uns das
Volk, daß der Spitzel versuche, sich
zum Herrscher im Gebiet aufzuspielen, daß er anstrebe, sich Helfer zu mieten und andere schmutzige Geschäfte plante.
Wir stellen fest, daß der Dorfvorsteher-Spitzel
1. nicht aus
Überzeugung, sondern für Geld
Hauptverantwortlicher für den Tod
dreier Revolutionäre war,
2. um persönliche
Rachegelüste zu befriedigen, die unwahre Behauptung aufgestellt hat, daß einige Dorfbewohner
Beziehungen zu den Revolutionären
unterhielten.
3. in Cafes und
auf den Straßen die
Revolution und die Märtyrer der
Revolution offen beschimpft hat und Dorfbewohner, die ihn daraufhin ermahnte, drohte, sie anzuzeigen...«
Ibo sagte, daß sie - wie auch aus den
Gerichtsakten zu ersehen ist - den Dorfvorsteher Mardeniz aus den angeführten
Gründen bestraft und dies den Bewohnern des Gebietes erklärt hätten.
Ibo
hielt sich einige Zeit für Ausbildungsarbeiten auf den Hochebenen von Haydaran im Bezirk Tunceli auf. Er
diskutierte mit seinen Genossen
über neue Pläne, hörte sich ihre Kritik an, machte sich Notizen.
Zur gleichen Zeit
durchsuchten Sicherheitskräfte,
die gehört hatten, daß Ibo und seine Freunde sich in dem Bezirk aufhielten,
Dorf für Dorf, Stein für Stein. Alles wurde überfallen, schon bei dem geringsten Verdacht führten sie mit allen
möglichen Methoden Befragungen durch. Nicht wenige Menschen wurden bei diesen Überfällen als »verdächtig« eingestuft und
mitgenommen. Keiner wußte, wohin
diese Menschen kamen und wann sie zurückgebracht werden würden.
Der
Oberleutnant Fehmi, der davon redete, daß ein Mitglied seiner Familie beim Aufstand von
Dersim von den Aufständischen* ermordet
worden sei, hegte nicht die geringsten wohlwollenden Gefühle für die Bewohner des Gebietes. Die Methoden, die er anwendete,
machten ihn innerhalb kurzer Zeit »berühmt«. Er bekam den Namen »Menschenjäger«.
Hatte
er irgendeine Spur der Revolutionäre gefunden, so stellte er in den Häusern der Gegend alles auf den Kopf und
füllte die Zellen der Polizei mit Menschen.
Oberleutnant Fehmi und seine
rund 260 Soldaten zählende
Truppe bedrohten im Bezirk Tunceli selbst die Luft zum Atmen. Ein Lächeln, eine Freundschaft, eine Nachricht,
ein Gast, ein Brief - über alles mußte Rechenschaft abgelegt werden.
In den
Straßen von
Tunceli ließen sie Parolen wie »Führer« oder »Nieder mit den Kommunisten« an
die Wände schmieren, auf den Polizeirevieren wüteten Prügel, Bastonade und jegliche Art von Folter.
Hunderte von Dorfbewohnern wurden verhört.
Ibo war mit einer Gruppe von Freunden in diesem
Gebiet. Sie hatten >Drohaktionen<
gegen einige Großgrundbesitzer
durchgeführt, von denen die ärmere
Bevölkerung tyrannisiert wurde. Diese Aktionen sprachen sich gleich herum, man
flüsterte sie von Ohr zu Ohr. So waren sie von einer Woge von Sympathie umgeben.
Man sprach sogar davon, daß
in das Quartier von Oberleutnant Fehmi eine
»Warnbombe« geworfen worden sei.
Die
Suchtrupps in dem Bezirk Tunceli wurden verstärkt.
Die Unterdrückungsmaßnahmen weiteten sich
noch mehr aus und wurden immer intensiver.
»Das einzige
Liebt,
das uns
weckte,
war diees Licht auf dieser Welt! Ich betrat ihr Haus,
sie saßen am gedeckten Tisch, waren zurückgekehrt,
ohne zu
arbeiten,lachten oder
weinten,
ähnelten alle
einander drehten den
Blick zum Licht suchten nach ihren Wegen...
« P.Neruda
Ibo kehrte zwischendurch
zurück nach Istanbul. Dann fuhr er kurz nach Malatya und weiter nach
Tunceli. Von dort aus zog er in die Düzgün Berge. Den Freunden dort brachte er verschiedene Veröffentlichungen, Nachrichten,
Landkarten und Ausrüstungen mit. Er wollte, daß seine Freunde noch aktiver wurden. Sie diskutierten eine Zeitlang über
allgemeine Probleme, und Ibo übermittelte ihnen Nachrichten aus anderen Gebieten.
Da er seit Monaten umherzog,
kannte er inzwischen einen großen Teil Anatoliens von Flußufern zu Berghängen, von Wäldern zu Dörfern, von Quellen bis zu den
Abhängen wie seine eigene Hand.
Ibo konnte meisterhaft
einen Ort finden, den er suchte. Wenn er eine Adresse beschrieb, war er penibel
wie ein Zeichner. Wer von Ibo eine Wegbeschreibung bekommen
hatte, konnte sicher sein, daß er den gesuchten Ort auf dem direktesten und
sichersten Weg finden würde. Wenn er selber
einen Ort suchte, fand er ihn mit verblüffender Sicherheit.
Einmal suchte er nach
einer Gruppe von Freunden, hatte zwar das Gebiet, in dem sie sich
aufhielten, herausgefunden, nicht aber den Ort, wo sie lagerten. Er kam
in das Dorf, fragte nach kurzer Plauderei einige Dorfbewohner,
denen er vertraute.
Man gab ihm keine Antwort.
Sie wüßten von niemanden, sagten die Dorfbewohner. Aber Ibo ließ nicht locker. »Bindet
mich fest, sagt ihnen Bescheid, und wenn sie mich nicht kennen, dann tötet
mich!«, sagt er. Aber einer der Dorfbewohner hatte den jungen Leuten, die sich in einer Höhle versteckt
hielten, Bescheid gegeben. Ihnen war sofort klar, daß es Ibo war, der
nach ihnen suchte.
So freuten sich auch die Dorfbewohner, daß Ibo seine Freunde gefunden
hatte. Ibo sprach ihnen ein großes Lob dafür aus, daß sie einem
Unbekannten nichts preisgegeben hatten und baute eine freundschaftliche Beziehung zu ihnen auf.
In den Dörfern, in denen er sich
aufhielt, beschäftigte er sich besonders mit den
Kindern; freundete sich mit ihnen an, spielte mit ihnen. Auch die Kinder
gewöhnten sich sofort an Ibo und riefen »Ez ji devrimcime!« (Ich bin auch ein
Revolutionär!) hinter ihm her, wenn er
ging.
Ibo sagte immer: »Die
Zukunft der Türkei hängt von unserem Kampf ab. Vielleicht wird es uns nicht
mehr geben, aber diesen Kampf wird man
niemals vergessen können!«
Wie früher half er den Dorfbewohnern
bei allen möglichen Arbeiten, wenn er in einem Dorf
war. Besonders die Arbeit mit der Sense beherrschte er meisterhaft. Dabei war
in dieser Gegend die Sense nicht sehr
verbreitet. Auf den bergigen Feldern benutzte man eher eine Sichel. Die Dorfbewohner schauten
staunend zu, wie Ibo rasch und unermüdlich mit der Sense arbeitete.
In einem anderen Dorf führte er ein Werkzeug ein, das
bis dahin unbekannt gewesen war.
»Ayakfak« (Fußhebel) hieß dieses Gerät. Er fertigte es
aus Gras, schnallte es sich an den Fuß und
schob damit den Weizen zu großen Bündeln zusammen.
Die Dorfbewohner waren über dieses neue Gerät erstaunt und erfreut, sie
umarmten Ibo, machten mit ihm Spaße darüber und machten sich daran, für jeden
von ihnen ein »Ayakcak« anzufertigen, das eine Besonderheit mittelanatolischer Dörfer ist.
In einem anderen Dorf
hatten sie sich nach einem langen und ermüdenden Arbeitstag in einem der ärmlicheren Häuser zum
Essen niedergesetzt. Ibo und seine Freunde hatten seit
längerer Zeit nur Brot und Käse gehabt. Jetzt stand heißes und gekochtes Essen
auf dem Tisch und ließ ihnen das Wasser im
Munde zusammenlaufen.
Kurz bevor
sie anfingen zu essen, beugte Ibo sich zu seinen Freunden und sagte: »In diesen armen Haushalten kommt
meistens alles auf den Tisch, was zubereitet worden ist; eßt bloß
nicht alles auf, denn was wir übrig lassen,
ist für sie; und wenn wir alles aufessen, denken sie auch noch, daß sie uns nicht satt bekommen haben und werden
traurig ...«
In
diesen Tagen verstärkten die Sicherheitskräfte ihren Druck und verengten immer
weiter den Kreis um den Bezirk. Keine der Spuren,
die der Oberleutnant Fehmi bis zu dem Tag verfolgt hatte, hatte aber
bisher zu einem Ergebnis geführt. Die Dorfbewohner versteckten Ibo und All Haydar unter ärmlicher Kleidung und teilten
Ihre Nahrungsmittel mit ihnen.
Die, die sie suchten, begannen jetzt, eine neue Taktik
zu verfolgen. Personen in ziviler Kleidung
und mit einem »revolutionären« Aussehen, gingen bei
Anbruch der Dunkelheit in die Dörfer. Sie klopften bei ärmeren Leuten an die
Tür und baten um Einlaß: »Macht auf, wir
sind Revolutionäre; wir möchten eine Nacht bleiben und gehen dann wieder!« Je
nachdem, wie sie sich diesen Personen gegenüber verhielten, wurden die
Bewohner dann traktiert. Es war nie klar, was wem wann zustoßen konnte.
Am 13. 1. 1973 zogen die Sicherheitskräfte in Richtung
auf das Dorf Bostanlar von Nazimiye,
nachdem sie einen Hinweis bekommen hatten, daß Ibo
und seine Freunde sich dort aufhielten. In dem
Bericht von Oberleutnant Fehmi über diese »Operation« wurde darüber folgendermaßen berichtet: »Sofort
stellte ich einen Verfolgungstrupp zusammen, der unter meinem Kommando
loszog. Zusätzlich wurde die Einheit noch
um einen Polizeibeamten erweitert.
Wir kamen zu dem Ort, der uns beschrieben worden war; unglücklicherweise
vereitelte ein Schuß, den der Polizeibeamte aus Unachtsamkeit abfeuerte, unser
Unternehmen. Wir kehrten ohne Ergebnis zurück ...«
In
Wirklichkeit gab es ein »Ergebnis«. Man flüsterte sich von Ohr zu Ohr, was im Dorf Bostanlar von Nazimiye
vorgefallen war: Ein in Zivil
gekleideter Polizeibeamter hatte an die Tür des armen Bauern Süleyman
Nakis geklopft und gesagt: »Macht auf, ich bin Revolutionär, ich bin allein zurückgeblieben!« Und schon war das Haus
umzingelt, und die »Unachtsamkeit«, von der der Oberleutnant gesprochen hatte, passierte:
Die Kugel,
die der Beamte abgefeuert hatte, fügte Süleyman Nakis
eine schwere Rückenverletzung zu und durchschlug dann den Kopf seiner vierjährigen Tochter von hinten. Die
Frau von Süleyman Nakis, floh
voller Angst und Verwirrung in die Berge und entkam gerade noch dem
Kältetod.
Gab es nun den Ausnahmezustand per Gesetz in dieser
Gegend? Darüber nachzudenken, schon das
stand niemandem zu. Nach den offiziellen Verlautbarungen, gab es in diesem
Bezirk keinen Ausnahmezustand. Die Praxis aber sah
anders aus. Die Unterdrückung wurde von Tag zu Tag
schärfer. Die einzigen in der Gegend, die aus dem Zustand Profit zogen, waren
die Großgrundbesitzer. Für die ärmere
Bevölkerung kam eins zum anderen. Nicht nur die Revolutionäre, sondern alle,
die sich den Revolutionären auf die eine oder andere Art verbunden
fühlten oder Sympathie zeigten, wurden in
unvorstellbarer Art und Weise behandelt.
Ibo war gegen Mitte Dezember durch Tunceli gezogen und
hatte sich in den Düzgün-Bergen mit seinen Freunden aus dem Gebiet getroffen.
Ausführlich sprach er mit ihnen über die Lage. Entsprechend
den Arbeitsberichten der Freunde wurden Entscheidungen gefällt. Eine und die
wichtigste davon war, »die Unterdrückung und Tyrannei gegen das arme Volk von
Tunceli anzuprangern«.
»Wir müssen aktiver und dynamischer werden, wir müssen
uns der Unterdrückung des Volkes mit ganzer Kraft
entgegenstellen; vielleicht sind unsere Kräfte zu gering und wir zerbrechen.
Doch gegenüber dem Wehklagen des Volkes
kann ein Revolutionär nicht stumm bleiben!«, sagte Ibo.
Die Härte der Maßnahmen in Tunceli stellte alles
andere in den Schatten. Folter und Schläge
gehörten zum Alltag der Bevölkerung. Es kam so weit, daß
ein aus der Haft Entlassener mit den Spuren schwerer
Folter auf seinem Körper sich an die Gesundheitsbehörde wandte, um die
Tyrannei mit einem Gutachten belegen zu lassen. Man munkelte, daß daraufhin die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung
gegen den Polizeipräsidenten von Tunceli und den Leutnant der Gendarmerie
eingeleitet habe.
Nachrichten
über Unterdrückung und Terror, denen das Volk ausgesetzt
war, sickerten trotz der Zensur des Ausnahmezustandes bis in die Hauptstadt
durch und wurden zum Thema im Parlament.
Im Juli 1973 forderte H. Yenipazar,
Tunceli-Abgeordneter im Parlament, in seiner Parlamentsrede die Versetzung des Polizeipräsidenten sowie des
Gendarmerieleutnants aus diesem Gebiet: »Gegen
diese beiden Personen müssen rechtliche Mittel angewandt werden. Ihr Verhalten im Amt basiert auf nichts
anderem als völliger Willkür!«, waren seine Worte.
Tunceli
war nahezu umzingelt von Militärkommandos. Durch die Straßen der Stadt exerzierten und liefen sie mit nacktem Oberkörper
und sangen Märsche wie »Die Kommandos haben die Berge umzingelt, jetzt sind sie dran!«
Im
wahrsten Sinne des Wortes wehte der Wind des Terrors durch die Stadt.
Ali Haydar Yildiz hatte freiwillig übernommen, »die
Unterdrük-kung anzuprangern«. Er stieg am 2. Januar um
Mitternacht von den Bergen nach Tunceli hinunter und legte Bomben in das Polizeiamt
und die Quartiere ...
Danach verwischten sie ihre Spuren in den Hängen der
Düzgün-Berge. Nachdem sie sich einige Zeit versteckt gehalten hatten, zogen sich Ibo, Ali Haydar und Hüseyin nach Nazimiye
zurück, während Muzaffer und Süleyman zu den Haydaran-Dörfern gingen.
Bevor sie
sich trennten, einigten sie sich auf eine einsame Scheune
nahe Mirik bei Vartinik als Treffpunkt.
»...Den Todesbefehl führten sie
aus
In Blut tauchten sie
den blauen Dunst des Berges
und den eben erwachenden Wind der
Morgendämmerung
Dann stellten sie die Gewehre zur
Seite
untersuchten vorsichtig unsere
Brust
prüften ihr Werk...«
A.Arif
Nachdem Süleyman und Muzaffer 15 Tage in den Haydaran-Dörfern geblieben waren, nahmen
sie ausreichend Magerkäse (Cö-kelek) mit und zogen zur Scheune bei Vartinik. Ibo und Haydar-waren in den Dörfern von Karakocan. Sie
sprachen mit den Dorfbewohnern der
Gegend, hörten sich ihre Sorgen an.
Die Dörfler hatten sich bei diesen zwei jungen Leuten beklagt,
hatten von einem Unteroffizier dieser Gegend erzählt, der unvorstellbar folterte und die
Menschen quälte.
»Er rupft den Alten die Barte aus, er plündert uns
aus, wer ihm kein Schmiergeld gibt, den
schlägt er; er belästigt unsere Bräute und unsere Töchter...«, sagten sie.
Die armen Dörfler erhofften sich Hilfe von den jungen
Leuten, die von den Bergen gekommen waren. Ali Haydar und Ibo jagten diesem Unteroffizier, der den
Dörflern ein Dorn im Auge war, einen gehörigen Schrecken ein. Er verschwand, und die Dorfbewohner konnten Luft holen.
Vier bis fünf Tage später kam Ibo mit Ali Haydar und
Hüseyin zu der Scheune bei Vartinik. Sie
entschieden, sich eine Zeitlang hier versteckt zu halten. Am folgenden Tag
verließen Süleyman und Ali Haydar die Scheune, um Brot und andere Nahrungsmittel zu besorgen. Gegen Abend wollten sie
zurückgekehrt sein. Der Tag ging vorbei, der Abend brach an. Dunkelheit senkte
sich herab, es wurde spät...
Ibo, Muzaffer und Hüseyin teilten die Wache im
Zweistunden-takt. Ibo hielt die erste Wache. Dann stand Muzaffer
auf. Nach weiteren zwei Stunden trat
Hüseyin seine Wache an.
Da die Wege völlig zugeschneit und unbegehbar waren,
verspätete sich die Rückkehr von Ali Haydar und Süleyman.
Erst gegen Morgen kamen sie bei der Scheune
an. Von nicht allzuweit pfiffen sie
die Parole. Keine Antwort aus der Scheune. Ali Haydar wiederholte die Parole. Wieder kam nichts. Als sie von
der anderen Seite nichts hörten, wurden sie mißtrauisch und begannen,
die Umgebung zu untersuchen. Sie sahen Gendarmerie — die Scheune war umzingelt.
Die
Dunkelheit hatte sich noch nicht gelichtet, der Tag sich noch nicht von der
Nacht gelöst. Es war der neblige Morgen des 24.
Januar 1973.
Ali Haydar und Süleyman eilten auf die Scheune zu. Ali
Haydar trat als erster ein. Die Freunde schliefen, und er weckte sie. Sie flohen, Ali Haydar sprang als letzter hinaus.
Die
Sicherheitskräfte hatten das Feuer eröffnet. Ali Haydar schleuderte die Handgranate, die er in der Hand hatte, in Richtung der
Angreifer und schoß.
Er
mußte zuerst über den Erdwall, der um die Scheune herum lag. Er kauerte sich
zusammen, sprang dann vor. Gerade war er über den Wall, da traf ihn das Feuer.
Es traf ihn im Sprung, in der Luft, er fiel...
Die
Angreifer hatten sie in einem Halbkreis umstellt. Der Befehlshabende war Oberleutnant Fehmi. Sie
belagerten die Scheune von der
Ovacik-Seite her.
Unter
dem Feuerhagel flüchteten sich Ibo und seine Freunde in alle Richtungen. Halb
kriechend, halb laufend versuchte Ibo, sich aus
dem Schußfeld herauszuarbeiten. Aber er rutschte aus und fiel hin. Noch bevor
seine Knie das Eis berührten, traf ihn eine Kugel. Ohne noch einmal
hochzukommen, fiel er in sich zusammen. In der Hand hielt er seine Pistole ...
Während
die Wunde am Kopf Ibo jede Kraft aus dem Körper sog, kamen ihm die Adressen in
seiner Hosentasche in den Sinn. Mit letzter Kraft, kurz bevor ihm schwarz wurde
vor Augen, zog er die Adressen aus der
Tasche und schob sie in den Mund. Er verlor das Bewußtsein.
50
Muzaffer, Süleyman und Hüseyin verschwanden
in der Dunkelheit und wurden vom Nebel
verschluckt.
Als kein Ton mehr von der
Scheune kam, war die Gendarmerie sofort da. Zwei waren getroffen worden. Hüseyin Güngör, der die Scheune verraten hatte, hielt
eine Pistole in der Hand. Er schoß auf Ibo, und 40 bis 50
Schrotkugeln fuhren in Ibos Körper und Kopf.
Die Gendarmen durchsuchten die Taschen von Ibo und
Ali Haydar und nahmen ihre Ausweise an
sich. Dann ließen sie die
beiden Verwundeten liegen und nahmen die Verfolgung der
anderen drei auf, die in Richtung der
verschneiten Berge geflüchtet waren.
Muzaffer entfernte sich
zunächst ein ganzes Stück und ließ
sich dann einen steilen Abhang zu einem Bach hinunter. Dort
grub er sich in den Schnee ein. Seine
Verfolger durchsuchten zunächst die Gegend über der Schlucht und warfen eine
Handgranate hinunter, konnten jedoch nicht hinunterkommen.
Eineinhalb Stunden rührte sich Muzaffer nicht vom
Fleck. Dann kam er heraus und zog in einer anderen Richtung über
den Berg. Zwei Nächte blieb er oben, bevor er sich zu den Mazgirt-Dörfern aufmachte. Dort hielt er sich zwei Monate lang
versteckt. Etwa im März kam er nach Istanbul und kehrte bald wieder nach
Malatya zurück. Dort hörte er, daß die
Freunde, die er suchte, verhaftet waren
und ging wieder nach Istanbul.
Süleyman hatte sich
kriechend aus dem Gewehrfeuer gerettet, dann in den Bergen seine Spur verwischt
und war hinabgestiegen nach Tunceli. Hier
versteckte er sich eine Weile und ging anschließend nach Instanbul.
Ibo war schwer verletzt worden, doch er lebte. Er
lag auf dem Bauch, und der Schnee wurde rot
von dem Blut, das aus ihm heraussickerte.
Nach längerer Zeit kam er zu sich. Mühsam richtete er sich
auf und untersuchte seine Wunden.
Als er aufstand, floß überall aus seinem Körper Blut.
Er war regelrecht durchlöchert worden. In seinem Hals steckten
Schrotkugeln. Am Kopf hatte er eine
Schußwunde. Der Adressenzettel war immer noch in seinem Mund. Er nahm
ihn heraus und atmete tief durch. Dann
schaute er sich um und versuchte, langsam zu sich zu kommen.
Etwas weiter entfernt
sah er Ali Haydar lang ausgestreckt im Schnee. Er trat zu
ihm, beugte sich vor, doch konnte er ihn nicht aufheben. Er ließ sich nieder zu
Ali Haydar und murmelte etwas. Er schwor Rache. Stolpernd und fallend entfernte
er sich von der Scheune.Nach einigen Stunden kauerte er sich in einem
Versteck nieder.
Er war in Barikbasi Mezara. Das Blut auf seiner Haut
war gefroren. Wenn er eine Wunde berührte, durchfuhr ihn
brennender Schmerz.
Er
konnte es nicht ertragen, Ali Haydar dort so liegen gelassen zu haben. Ob
dieses mutige Kind des Haydaran-Gebietes, dieser tapfere Genosse wohl nur
verwundet war, ob er noch lebte? Oder hatten
die Kugeln ihm das Leben genommen?
Ibo
spürte ein bitteres Gefühl in sich aufsteigen. Ali Haydars Bild erschien ihm vor Augen; er mußte an seine
Augen denken, die halbgeöffnet
waren, als er ihn verließ.
Es war, als wollte er sagen „nimm
mich auch mit". Ibo verfluchte seine Schwäche. Ali Haydar war jetzt in ihren Händen. Ibo konnte irgendwie nicht fassen, daß er
nichts tun Konnte; das Gesicht seines Genossen vor seinen Augen ließ sich nicht verscheuchen. Seine blutigen gekräuselten Haare hatten wie rote Flecken
ausgesehen, die gefroren an seinen Schläfen
klebten. Seine eine Hand war mit ver-krümmtem Handgelenk zur Faust
geballt, sein einer Arm bis zum Schultergelenk
blutig.
Dann
dachte Ibo an Muzaffer und Süleyman. Hatten sie flüchten können? Oder waren sie von Kugeln durchlöchert worden und hatten diese Welt verlassen?
Jeder
seiner Genossen, mit denen er vor wenigen Stunden noch dicht an dicht
geschlafen hatte, um nicht zu frieren, war jetzt irgendwo anders, zwischen Wölfen und Vögeln, im Mündungsfeuer von
Gewehren, hinter den Bergen ...
Zusammengekauert
in der Morgenkälte dachte Ibo nach und lauschte
seinen Herzschlägen. Der Himmel hatte sich geöffnet und die weißen
Wolken waren am Horizont verschwunden.
Die
Stimme von Ali Haydar klang in seinen Ohren. Er schaute um sich. Es war, als
würde er ihn erblicken können.
»... .Ich bin getroffen
In einer abgelegenen Schlucht der Bergr
Zur Zeit eines Morgengebetes
liege ich hier
blutend, lang ausgestreckt... Ich bin getroffen
Mein Traum, dunkler als die
Nächte
niemand zur guten Tat bereit
Sie nehmen mir das Leben, ohne Aufschub
Das kann ich in Büchern nicht unterbringen
Ein Pascha hat die Weisung ausgegeben
Ich bin getroffen, ohne Verhör, ohne Urteil...«
A. Arif
In Ibos Leben und politischer Arbeit
hatte Ali Haydar einen wichtigen
Platz. Ali Haydar symbolisierte für Ibo den Genossen aus dem Volk. Hinter jeder seiner Eigenarten lagen
Ansichten des ana-tolischen Menschen. Als hätte das Leben eines Volkes in ihm
eine besondere Form gewonnen. Diese
Eigenschaften machten Ali Haydar zu
einer Art Leitfigur. Er lernte viel von ihm. Nächtelang hörte er ihm zu, ließ ihn von seiner Kindheit, seiner
Jugend und den Entbehrungen der
Menschen in seiner Heimat erzählen. Der
Vater von Ali Haydar war arm, stammte aus dem Dorf Rusnik im Bezirk Tunceli. Er wuchs als Waise auf und
fand später Aufnahme bei dem Geistlichen Molla Yusuf (Erdoganlar), der
in dem Dorf Ricik (Gecitveren) im Kreis Mazgirt wohnte. Man trug ihn als sein Kind ins Dorfregister ein. Nachdem Molla
Yusuf das Dorf Ertuhan bei Palu zugewiesen wurde, zog er mit ihm
gemeinsam dorthin.
Er arbeitete an der Seite seines
Ziehvaters und verdiente sich darüber hinaus noch als Wasserverkäufer oder
Aushilfsarbeiter bei der staatlichen Eisenbahn etwas dazu. So kam er gerade
durch.
Während
der Tage des Aufstandes von Dersim 1938 kam der größte Teil seiner Verwandten
und Freunde ums Leben. In diesen Tagen
wurde er Zeuge von schrecklichen Ereignissen; er sah Verwandte vom
Bajonett erstochen, vom Maschinengewehr durchlöchert, tot schwimmend im
Mungur-Fluß. Auch er selbst erlitt unendlich
viele Qualen.
Zwei
Jahre nach dem Dersim-Aufstand wurde er zum Militärdienst eingezogen und nach
drei Jahren Militärdienst heiratete er Güzel aus dem Dorf Kil in Nazimiye.
Ali Haydar kam als viertes Kind dieser Familie in dem
Dorf Er-tuhan-Palu zur Welt.
Er war gerade ein Jahr alt, als seine Familie nach
Elazig auswanderte. Die Grundschule beendete
er in dem Dorf Hüsenik, Provinz Elazig. Schon in
diesem Alter fiel er unter den Gleichaltrigen und auch den Größeren durch seine
Energie und Intelligenz auf.
Die Mittelschule und das Gymnasium besuchte er in
Elazig. Seine Freunde liebten und achteten ihn, weil er selbstlos war, sich Ungerechtigkeiten widersetzte und
den Schwachen beistand.
Schon während der Zeit in der Mittelschule hatte Ali
Haydar begeistert Romane gelesen und nach
Wegen gesucht, die Schmerzen, die er selbst gesehen hatte, zu erzählen. Romane, die er gelesen hatte, gab er sofort seinen Freunden weiter; er steckte
sie mit seiner Begeisterung und dem Wissen,
das er in sich aufgesogen hatte, an und freute sich, wenn sie seine
Gefühle teilten. Für viele seiner Freunde war er der erste, der ihnen Orhan
Kemal und Sabahattin Ali* näherbrachte.
Zu diesen gefühlsmäßigen Protesten gegen
Ungerechtigkeit kam in den Jahren der höheren Schule
der Wille zum Widerstand. Er hatte noch
kein ausgereiftes politisches Verständnis, doch innerhalb seiner kleinen Welt
hatte er schon manchen Kampf für die Gerechtigkeit gekämpft.
Im Schuljahr 1969—1970 schloß er das Gymnasium ab und
kam nach Istanbul. Innerhalb kurzer Zeit gehörte er mit
zur revolutionären akademischen Jugend. Die
Gefühle und Wünsche, die er seit seiner Kindheit in sich trug, bekamen
eine politische Dimension. Die Hartnäckigkeit in seinen Anschauungen
beschleunigte seine polirische Entwicklung.
Im Februar des gleichen Schuljahres
nahm ihn in Laleli Zivilpolizei unter falschen Anschuldigungen fest. 48 Stunden
blieb er in den Folterkammern. Danach kam er in Untersuchungshaft und
blieb fast einen Monat im Gefängnis.
Nach seiner Endassung begann seine Freundschaft mit
Ibo, und er wurde einer der Kampfgenossen Ibos.
Bereitwillig nahm er schwere Arbeiten auf sich, war
geduldig, beweglich, nutzte seine Zeit gut aus, las immerzu,
führte alle ihm übertragenen Aufgaben aus,
stellte sich Kritik, konnte agitieren, opferte sich auf und konnte sich
selbstverständlich und einfach mit Menschen
aus dem Volk anfreunden, war kampflustig und konnte Geheimnisse für sich
behalten ... Mit all diesen Eigenschaften war er ein Vorbild für seine
Kampfgenossen.
In
einem Versteck, in dem Ibo sich nach der Flucht aus der Scheune in den verschneiten Bergen aufhielt, kamen ihm nun immer
wieder die Tugenden seines geliebten Freundes Ali Haydar in den Sinn.
Bei dem Gedanken, daß Ali Haydar dort verletzt im Schnee verblutete, war es Ibo, als würde ihm sein rechter Arm genommen werden.
Über all diese Hänge hier hatte Ali Haydar ihn
geführt. Die Geschichte des Haydaran-Gebiets
hatte er ihm erzählt. Die Geschichte dieser Berge ...
Von
dem Einmarsch der Truppen in Haydaran 1938, der Bucht aller Bewohner zwischen 7 und 70 in die Berge, den Schüssen, die schon
seit Jahren in diesen Bergen erklingen, vom Denemen-Ge-biet, davon, daß im
Lac-Fluß statt Wasser Blut fließt... Ibos geliebter
Genösse, der ihm all das erzählt hatte, war nun eins geworden mit Bergen und
Steinen.
Der an Schmerzen gewachsene Ali Haydar war keiner, den
man so leicht ersetzen konnte. Er war
aufgewachsen mit den Geschichten der Alten, die von endlosem Leid erzählten.
Er hatte das Schicksal, das die Bevölkerungen der
Täler Har9ik und Kil, des Dorfes Cukur, der Halis-Berge und von Mazgirt erleben mußten, fest in seinem Herz
verankert. Er war auf diesem Boden groß geworden,
der vom Zilan-Tal bis hoch in die Gipfel des Ararats
voll war von Blut.
Die Trupps, die hinter den Flüchtigen her waren, gaben
nach einer Weile die Spurensuche auf und kehrten zur Scheune
zurück. Dort sahen sie, daß von den zwei Getroffenen nur noch einer zurückgeblieben war. Der lag, wo er
getroffen worden war, in seinem Blut; der andere aber hatte sich, eine Blutspur hinter sich lassend, entfernt und war in den Bergen
verschwunden. Oberleutnant Feh-mi fluchte ärgerlich vor sich hin.
Eine Zeitlang suchten sie
die Umgebung ab. Dann kehrten sie zu Ali Haydars Leichnam zurück. Sie banden ihn fest und
schleiften ihn von Varrinik bis hinunter ins
Kutu-Tal hinter sich her. Einer der Soldaten, die an der Operation teilgenommen hatten, teilte dem Staatsanwalt mit, daß sie »den
Leichnam auf Äste gelegt und zu dem Polizeirevier des Kutu-Tals geschleift« hätten ...
Es gab auch andere Gerüchte, die sagten, Ali Haydar
hätte riefe Seufzer ausgestoßen, als man ein
Seil um seinen Hals band und zu ziehen begann; erst auf dem Weg hätte er sein Leben verloren.
Als Ali Haydar beim
Polizeirevier ankam, war sein Körper zu Eis gefroren.
Zwei volle Tage hielt Ibo
sich zusammengekauert ohne Essen und Trinken in seinem Versteck
auf und dämmerte vor sich hin. Er wagte es nicht, sich Dörflern zu
nähern.
In seinen Füßen und Händen war ein Stechen,
Anzeichen nahenden Erfrierens. Endlich entschloß
er sich, in ein Dorf hinabzusteigen. Stolpernd und fallend im Schnee, kam er in einem Bergdorf an. Aufgrund des Terrors, der in
der Gegend herrschte, schreckten die Dorfbewohner vor diesem verletzten und erschöpften Menschen zurück. Ibo sagte ihnen,
daß sie recht mit ihrer Angst hätten und daß der Terror eines Tages bestimmt ein Ende haben würde.
Er war völlig ausgelaugt, wollte aber den
Dorfbewohnern nicht zur Last fallen. So sammelte er
seine letzten Kräfte und zog in Richtung der
Berge. Nach einigen Stunden kam er zu einem anderen Dorf und ging hinein.
Die Dorfbewohner nahmen
ihn auf. Die einen heizten den Ofen ein, die anderen brachten ihm Wasser,
andere machten ihm Essen und wieder andere verbanden seine Wunden.
Nachdem er gegessen hatte,
gaben sie ihm neue Schuhe, strichen Salbe auf seine Wunden und zogen
ihm wollene Strümpfe an.
Einer nach dem anderen
kamen sie und schauten sich den verwundeten Gast an, der sich in ihr Dorf geflüchtet hatte. Sie wünschten
sich, daß er sobald wie möglich zu sich käme und in die Berge zurückkehrte.
Später nahmen
ein paar Bauern Ibo in ihre Mitte und brachten ihn in eine drei bis vier Stunden
Fußmarsch entfernte Höhle. Dort legten sie Proviant neben ihn, wünschten im
Glück und entfernten sich.
Zwei
Tage blieb Ibo in der Höhle. Unter der schneidenden Kälte verstärkte sich das Stechen in seinen Füßen und
schnürte ihm die Kehle zu. Die Höhle war von allen
Seiten vereist. Am Ende des zweiten Tages
verließ er sie und stieg hinab in ein anderes Dorf. Es war Nacht, und man sah nur die verschneiten
Berghänge als bleiche Flächen gegen
den Himmel weisen. Mühsam humpelnd, zog Ibo in das Dorf.
Wegen
des Terrors, der in der letzten Zeit immer sinnlosere Ausmaße angenommen hatte, waren die Bewohner verängstigt.
Ibo drängte sie nicht weiter, bat sie um nichts und verließ das Dorf.
Es war
der fünfte Tag
nach seiner Verletzung. Das Brennen seiner Wunden hatte sich ausgebreitet und
den ganzen Körper erfaßt. Er konnte seinen Kopf nicht mehr wenden. Der Schmerz
in seinen Füßen wurde
zur Betäubung.
Am
Morgen nach dieser Nacht, die er draußen in der Nähe des Dorfes auf dem Schnee in der Dunkelheit zugebracht
hatte, erwärmte das Tageslicht die eisige
Kälte ein wenig, und er machte sich
wieder auf den Weg. Er war entschlossen zu laufen, koste es, was immer es wolle. Bis auf den letzten Rest
würde er alle seine Kräfte in seine
Beine stecken, diese Region verlassen, in einer anderen seine Genossen finden und genesen.
Er
lief, legte eine Pause ein und überlegte, wie sich herausfinden ließ, wo er übernachten
könnte, wo er sich befand und wie er weitergehen sollte. Er wollte in einem Dorf nach dem Weg
fragen. Er traf einen Dorfbewohner, bat ihn
um Hilfe und fragte nach dem Weg zu dem
Bezirk, in den er wollte. Der Mann brachte Ibo in ein Haus.
Der
Lehrer des Dorfes war ein fanatischer Reaktionär...
»... Es gibt auch Kämpfende bei diesem Wetter
Die Hände, die Füße zu Eis geworden,
das Herz eine Hölle Hoffnung, wütend und traurig,
Hoffnung, ehrlich bis zum Letzten
Zurückgezogen in den Bergen, unter dem Schnee...«
A.Arif
Für diesen Agenten mit Staatsmacht namens Celäle, war
Ibo wie ein Hauptgewinn im Lotto.
Der
Dorfbewohner, den Ibo nach dem Weg gefragt hatte, hatte ihn zu sich nach Hause gebracht und
dann den Dorflehrer benachrichtigt. Dieser kam
gleich angerannt, sah sich den Verwundeten an und
verriegelte die Tür.
Der erschöpfte Ibo bat sie noch mit brüchiger Stimme,
ihn nicht auszuliefern, sagte, er sei
Revolutionär, sie sollten ihn gehen lassen. Doch
er hatte keine Kraft mehr zu fliehen, sich zu wehren ...
In
allen umliegenden Dörfern war bekanntgeworden, daß aus der Scheune bei Vartinik ein Verwundeter geflohen sei. Sämtliche Reaktionäre in der Gegend fieberten darauf, den
»großen Preis« zu ziehen. Darüber hinaus hatten sich Agenten in den Dörfern
verteilt. Man flüsterte, daß der, der den Flüchtigen fände, eine große
Belohnung bekäme.
Alle Reaktionäre und Agenten suchten nun nach diesem
»in Blut getunkten Brot«.
Oberleutnant Fehmi, der Befehlshaber der
Sicherheitskräfte der Operation in Vartinik, hatte die
Nachricht ausgegeben, daß alle Kräfte zur Auffindung des geflüchteten
Verwundeten mobilisiert werden sollten. In seinem Bericht hieß es: »Es wurde
festgestellt, daß der getötete Anarchist den Namen Ali Haydar Yildiz trägt. Uns interessiert jedoch insbesondere der im
verwundeten Zustand geflüchtete Anarchist. Nach Abschluß der Autopsie
des getöteten Anarchisten und der Erledigung
entsprechender Formalitäten stellten
wir nochmals einige Trupps zusammen und führten eine intensive Suche im ganzen
Gebiet durch. Unter anderem habe ich meine Vertrauensleute in den
umliegenden Dörfern benachrichtigt. Darüber hinaus wurden die mir vom
Nationalen Sicherheitsdienst (Mit") zugesandten Photos der Anarchisten den
Vertrauensleuten des Geheimdienstes
zugestellt. Am Morgen des 24. Januar hielt sich die unter meinem Kommando stehende Einheit auf dem Polizeirevier
von Gökce auf. Unser Vertrauensmann Hüseyin Güngör aus Mirik benachrichtigte
uns, daß ...«Mit Unmengen von Soldaten umzingelten sie das Dorf. Beutegierig
riß Oberleutnant Fehmi die Tür auf.
Ibo
lag im Raum auf der Erde. »Du bist Ibrahim Kaypakkaya, nicht wahr?« brüllte der
Oberleutnant von oben herab. »Wenn du es
weißt, wieso fragst du dann?« antwortete Ibo mit messerscharfer Stimme.
Dann
fragte der Leutnant Ibo, wie er geflüchtet sei. Er wollte einfach nicht fassen,
daß Ibo ihm durch die Finger geglitten war. »Ich
habe die Zähne zusammengebissen und bin geflüchtet, wie es nötig ist, um solchen Faschisten wie euch zu
entkommen«, gab Ibo zur Antwort.
Sie
schnürten Ibo zusammen und brachten ihn hinab ins Kutu-Tal. Das Kutu-Tal verläuft zwischen den Dörfern Mirik und Gökce.
In seiner Mitte schlängelt sich ein Bach mit eiskaltem Wasser.
Eineinhalb
Stunden ließen sie Ibo am Ufer laufen. Der Weg führte ein paarmal durch das
Wasser. Von dem eisigen Wasser wurden Ibos schmerzende Füße völlig taub. Sein
ganzer Körper zog sich zusammen, seine letzten Kräfte schwanden ...
Danach
banden sie Ibo hinter einen Jeep. Ein Unteroffizier der Truppe, Mehmet Demir,
erklärte später in seiner Aussage, daß sie »Ibo
von dem Dorf Mirik bis zu dem Polizeirevier von Gökce hätten laufen lassen«.
Das erste Vernehmungsprotokoll von Ibo wurde gleich im
Polizeirevier Gökce aufgesetzt. Ibos Kleidung war feucht
und voller Blut, er war verletzt, müde und
hungrig. Doch er beugte sich nicht. Mit
erschöpften, aber unversöhnlichen Blicken beobachtete er die, die ihn
gefangen und hierher gebracht hatten und die anderen Gendarmen, wie sie aufgescheucht hin und her liefen. Dann wollten sie seine Aussage aufnehmen.
Sie brachten ihn ins Vernehmungszimmer. Sie wollten
ihn so schnell wie möglich zum Reden bringen, wollten
alles schwarz auf weiß haben. Unmengen von Fragen prasselten auf Ibo ein. Ibo
beantwortete ihre Fragen kurz und bündig. Aber es waren
nicht die Antworten, die sie wollten. Sie
wiederholten ihre Fragen, Ibo wiederholte seine Antworten. Zu guter
Letzt protokollierten sie Ibos Antworten nach ihrem eigenen Verständnis und in
ihrem eigenen Stil folgendermaßen:
»Ich bin Revolutionär, und als Revolutionäre
verschweigen wir nie etwas über politische Themen. Wir sagen frei unsere Meinung. Wir reden aber nicht über Aktivitäten
unserer Organisation, die Freunde, die innerhalb der Organisation an uns glauben, sowie die
Personen und Gruppen, die
zwar nicht in der Organisation sind, uns aber helfen. Darüber reden wir nicht, und aus
diesem Grunde werde ich bezüglich der Aktivitäten unserer Organisation gar
nichts sagen. Da ich sowieso kein Mitglied irgendeiner Organisation bin, gibt es auch nichts, was ich in bezug auf organisierte
Aktivitäten aussagen könnte. Als Revolutionäre
wollen wir die ärmere Bevölkerung von der Ausbeutung des Großbürgertums, der kollaborierenden Imperialisten
und der Großgrundbesitzer befreien,
die Arbeiter, den landlosen und mittleren Bauernstand, den kleinen Handwerker und Gewerbebetreibenden sowie den revolutionären Flügel der nationalen
Bourgeoisie aus der Ausbeutung und Tyrannei befreien. Aus diesem Grunde bin
ich bis hierher gekommen. Als Revolutionäre vertrauen wir in erster Linie auf
die Arbeiterklasse. In zweiter
Linie vertrauen wir den landlosen Bauern und dann der Reihe nach den mittelständischen Bauern, den kleinen Handwerkern und den Gewerbebetreibenden. Mit diesen
Idealen bin ich hierher gekommen, um
insbesondere die landlosen Bauern aufzuklären. Da ich aber in diesen Kreisen völlig fremd bin, konnte ich mit niemandem Verbindung aufnehmen. Vor zwei Wochen sind
wir zu der Niederlassung Vartinik
des Dorfes Gökce gekommen, wo wir in eine Auseinandersetzung mit der Gendarmerie gerieten ...
Wir haben uns in einer
verlassenen Scheune bei Vartinik niedergelassen. Ich weiß nicht, wer uns dorthin Essen
gebracht hat und kenne auch die Personen nicht, mit denen ich dort war. Auch wenn ich sie kennen würde, würde ich ihre
Namen nicht nennen. Unser Ziel ist es, die armen und mittelständischen Bauern sowie die
mittelständischen
dörflichen Händler und Gewerbebetreibenden aus den Händen
der Volksfeinde zu retten, zu denen wir insbesondere die Großgrundbesitzer, die Großbourgeoisie und die mit dem Ausland
kollaborierenden Imperialisten zählen. Wir wollen deshalb diese drei
Kräfte auflösen und alle Produktionsmittel
vergesellschaften. Es gibt verschiedene Wege, um dies
zu erreichen. Wenn es nicht möglich ist, dieses Volk in seiner Gesamtheit
durch Aufklärung auf politischem Weg an die Macht zu bringen,
ist es unausweichlich und selbstverständlich, Gewalt einzusetzen. Es gibt dafür verschiedene Beispiele in der Geschichte.
Unserer
Meinung nach war die Französische
Revolution von 1789 eine bourgeoise Revolution. 1917 wurde die Bourgeoisie
vernichtet, und die Macht lag voll in der Hand der Arbeiterschaft. Da es in der
heutigen Türkei nicht möglich ist, mit legalen Mitteln
diese Ideologie zu verbreiten, bzw. diese Gesellschaftsordnung herzustellen,
und da uns kein Lebensrecht zugestanden wird, waren
wir gezwungen, in die Berge zu ziehen und den bewaffneten
Kampf aufzunehmen. Entsprechend halten wir es für gerechtfertigt, die drei
genannten Kräfte, die wir als unsere Gegner betrachten,
mit der Waffe zu bekämpfen. In Vartinik schlief ich zu Beginn des Zusammenstoßes; die Schusse weckten mich, und wir
versuchten zu viert zu fliehen. Über den Verbleib meiner Freunde ist
mir nichts bekannt. Ich hatte keine Waffe bei mir und habe aus diesem
Grunde nicht auf die Gendarmerie geschossen. Als ich die Scheune in
Vartinik verließ, hatte ich ein Stück Brot in meiner Tasche. Mit
diesem Brot habe ich vom 24. bis zum 29. in den Bergen überlebt. Ich habe
im Schnee übernachtet. Zuletzt bin ich in ein mir unbekanntes Dorf
gegangen und bin dort festgenommen worden. Da ich im Schnee nächtigte,
froren meine Hände und Füße und schwollen an. Wie oben schon
gesagt, kenne ich die Personen, mit denen ich zusammen war, nicht. Auch wenn
ich sie kennen würde, so würde ich ihre Namen nicht nennen.
Wir sind etwa zwei Wochen in dem Haus geblieben. Sie haben Brot und
andere Nahrungsmittel besorgt, ich weiß aber nicht, woher das
kam. Bei der Auseinandersetzung habe ich meine Freunde verloren; wir
haben uns nicht noch einmal getroffen. Die Decken, unter denen wir
schliefen, haben
wir von Personen gekauft, die ich nicht kannte. Ich kenne die Freunde in der Organisation nicht und würde auch
ihre Namen nicht nennen, wenn ich sie
kennen würde. Wie oben schon gesagt, ist es unsere Absicht und unser Ziel, alle Produktionsmittel zu vergesellschaften. Soweit die Aussage des Festgenommenen.
Bei einigen Fragen weigerte er sich, eine Antwort zu gehen. Es wurde
festgestellt, daß er auf dem Kopf eine dunkelbraune Schlägermütze trug, dessen
Oberteil zerrissen und zerbeult war, ferner trug er einen hiesigen
Militärparka, darunter ein Jacket, einen Pullover und andere Kleidung;
weiterhin trug er drei Paar Hosen übereinander und an den Füßen weiße
Wollstrümpß, wie man sie in hiesigen Dörfern mit der Hand
strickt, darüber ein Paar Nylonstrümpfe und ein Paar Gummistiefel, Größe 45,
Marke »Celik«.
Oberleutnant
Febmi Altinbilek, Kommandant der Zentralen Gendarmarie, wurde angewiesen, dafür
Sorge zu tragen, daß ein Foto des Festgenommenen gemacht, entwickelt und zusammen mit
dem Negativ unseren Beamten ausgehändigt wird.
Das Protokoll wurde soweit
vorgelesen und unterschrieben.«
29.
1. 1973 Mehmet
Seykan Zweiter Staatsanwalt 16381
Festgenommener _Ibrahim Kaypakkaya
»Grad' noch hast du's geschafft, Fürst der Tataren Meine Linke
halt das Amulett, das blutgetränkte,
Die Rechte sucht Halt
Kamerad...!
Wenn das kein Kampf sein soll;sie schießen sich schon ein, die Wütenden; hoff, daß
sie nicht von allen Seiten kommen; schon ist Stellung bezogen auf
allen Bergen, Hinterhalt gelegt auf allen Pfaden.
Die Berge bringen das Gebet der Bataillone blutiger Abend wird es über dem
Granatapfelhain Sei's auch der Todesengel, der da kommt und nicht ein Unterhändler: Verdammt
will ich sein, wenn ich fliehe!«
A.Arif
In dieser Nacht wurde Ibo
stundenlang gefoltert. Er brach zusammen. Dies war sechs
Tage nach dem Zusammenstoß bei Vartinik. Fünf Nächte hatte er zwischen Fels und
Stein zugebracht und am Tag seiner Festnahme hatte man ihn erst stundenlang auf
eisigen Wegen laufen lassen und dann verhört. Nach dem Verhör schlössen sie ihn ein. Dann begann die »Entscheidung im
Ring«. Sein erschöpfter Zustand
hielt sie nicht von Beschimpfungen, Tritten oder Faustschlägen ab. Sie
wollten, daß er sich ergab.
Doch Ibo ergab sich nicht.
Auf
kahlem Beton brach er zusammen. Mit dem stechenden Schmerz der erfrorenen Füße verbrachte Ibo die Nacht vom 30. Januar
verletzt und schlaflos auf dem Polizeirevier von Gökce.
Am nächsten Morgen brachten sie
ihn unter der »Aufsicht« des Oberleutnants
Fehmi nach Tunceli. Eine Nacht »feierten« sie ihn dort. Dann brachten sie ihn
nach Elazig.
Nicht wenige Folterbegeisterte, nicht wenige
Volksfeinde wußten von Ibos »Ruhm« und brannten darauf, ihn zu sehen.
Für sie war es ein Festtag, als Ibo nach Elazig gebracht wurde.
Einer
nach dem anderen kam und tobte seinen Haß an Ibos schmerzendem Körper aus.
Einer schlug ihn, der nächste beschimpfte
ihn, ein weiterer knüppelte ihn und ein weiterer legte ihn in Ketten. Ibo begegnete ihnen allen mit
unerschrockenen Worten.
Furchtsam
sahen die Folterer Ibos grüne Augen, die sie unter den blonden Haaren unverwandt anschauten. Sie vermieden seinen Blick,
und irgendwie konnten sie es nicht ertragen, daß sie sich vor Ibo wie ein Nichts vorkamen.
Ibo verbrachte in Elazig eine Nacht und wurde dann,
wiederum unter »Aufsicht« des Oberleutnants Fehmi, nach
Diyarbakir gebracht.
Überall, wo sie hinkamen, stolzierte Oberleutnant
Fehmi mit seiner »unschätzbaren, wertvollen Jagdbeute« umher. In
Diyarbakir übergab er Ibo Yasar Degerli,
dem Staatsanwalt der Ausnahmezustandsverwaltung.
Yasar
Degerli wartete voller Neugier auf Ibo. Man brachte ihn in sein Büro, wo eine
Menge Menschen auf ihn warteten und ihn mit
Fragen traktierten:
»Los, gib's schon zu, du bist Asur, du bist Hamza, du
bist Hay-dar, du bist Musa, du bist Mustafa ... Sprich, wir
kriegen's schon aus dir raus ...!«
Wortlos
hörte Ibo sich ihr Gebrülle an. Diese Person, dessen Ruhm sich unter all'
diesen Namen seit Monaten von Dorf zu Dorf
verbreitet hatte, diese Person, die sie einfach nicht hatten fangen
können, stand jetzt vor ihnen.
Später
ließen sie Ibo in einen gepanzerten Wagen steigen. Der Wagen hielt in der
Ziya-Gökalp-Straße vor dem Folterzentrum von Diyarkir. Der Staatsanwalt Yasar
Degerli war dafür, ihn dort sofort ins Verhör (!) zu nehmen. Er war der
Meinung, daß aus Ibo allenfalls in diesem Zustand eine Aussage herauszupressen
war. Doch einer der Offiziere sagte, daß Ibos Zustand ernst sei, daß er sterben
könne, wenn man ihm noch weiter zusetzte. Er wechselte ein paar Worte mit dem
Staatsanwalt und man entschied, Ibo ins Krankenhaus zu bringen. So
brachten sie Ibo in das Militärkrankenhaus von Diyarbakir, legten ihn dort in einem
Zimmer auf das Bett und ketteten seine Hände und Füße am Bettrahmen fest.
Seit dem 24. Januar war dies das
erste Mal, daß Ibo sich in einem Zimmer und auf einem Bett wiederfand. Ihm war, als
lösten sich alle seine
Muskeln. Seine Arme, seine Beine, sein Hals schmerzten, als würden sie abreißen, als
würde ihnen die Haut abgezogen. Sein ganzer
Körper schien verfault. Er war angekettet, und er konnte sich nicht umdrehen. Nur wenn das Essen gebracht
wurde, banden sie seine Hand los. Im
Nebenzimmer lag die Lehrerin Fatma Erez aus der Grundschule von Siverek.
Fatma Erez konnte aus dem Nebenzimmer, an dem man
nicht mal einen Vogel vorbeiließ, Ibos
Stimme hören. Sie bekam mit, daß der
Staatsanwalt sehr oft Ibo aufsuchte. Einmal hörte sie, wie der Staatsanwalt Ibo anbrüllte: »Ich selbst werde es
sein, der dich tötet; dein Tod wird
aus meinen Händen kommen!« Ibo gab darauf zur Antwort: »Weder von dir und
deinen Vorgesetzten noch vor dem Tod
habe ich Angst.«
In diesen Tagen waren die
Nachrichtensendungen im Radio voll von Tod, Blut, Durchsuchungen und Verhaftungen. In
einer Sendung wurde
gemeldet, daß „in der Scheune von Vartinik in der Gegend von Mirik im Bezirk
Tunceli Ali Haydar Yildiz tot, und Ibrahim Kaypakkaya in verwundetem Zustand gefaßt« worden
seien.
In der Morgenkühle des 20. Mai näherte sich der Bus
auf dem taufeuchten
Asphalt dem Ziel Diyarbakir. Der Fahrer hatte das Radio angestellt. Ali Kaypakkaya zuckte
plötzlich zusammen, wachte auf. Im
Radio kamen Nachrichten. Er schaute aus dem Fenster nach draußen.
Die Helligkeit hatte den
Nebelvorhang aufgerissen und das Gesicht der im Mai wiederauflebenden Erde geöffnet.
Einige der
Reisenden begannen, über die Nachrichten zu reden.
Ali Kaypakkaya dachte an den
schon Monate zurückliegenden Tag, an dem er aus dem Radio von der Verhaftung
seines Sohnes erfahren
hatte.
Mit einem Mal war ihm schwindelig
geworden. »Heyvah!« hatte er gerufen und war in sich zusammengesackt. »War
Ibrahim doch bloß auch gestorben«, hatte er
dann gemurmelt. »Was sagst du da?« hatten die Nachbarn um ihn
herum gefragt und er hatte geantwortet: »Jetzt werden sie ihn zehnmal in den Tod
schicken. Sie werden ihm endlose Fragen
stellen. Ich kenne ihn, er wird den Mund
nicht aufmachen. Sie werden ihm die Seele rausreißen, um ihn zum Reden
zu bringen ...«
Die Nachbarn versuchten, ihn zu beruhigen. »Mach dir
keine Sorgen, so lange er noch lebt, ist auch noch Hoffnung«, hieß es.
Doch Ali Kaypakkaya kannte seinen
Sohn. Einmal, als sein Sohn ihm von den Revolutionären aus Vietnam, oder war es
Korea, na ja, irgendwo da, jedenfalls hatte
er von einem Mann erzählt, der sich selbst,
um der Polizei nichts zu verraten, in einen Zustand gebracht hatte, in dem er nicht mehr reden konnte.
Und dann hatten sie im Radio auch noch gesagt, daß
Ibrahim verwundet sei. Ein einziges Mal war das gemeldet worden und dann nicht mehr. Jetzt hielt irgendein
langweiliger Mensch irgendeine
langweilige Rede. Ali Kaypakkaya hätte ein Auge dafür hergegeben, dieselben
Nachrichten noch einmal zu hören. Vielleicht waren da noch einige Worte, die er in der ersten Verblüffung überhört
hatte.
So sehr sie sich auch bemühten,
es war seinen Nachbarn nicht gelungen, ihn zu beruhigen.
Am nächsten Morgen ging Ali
Kaypakkaya sofort zu seiner Arbeitsstelle
und bat um Urlaub. Er wurde ihm nicht gewährt. Als letzten Ausweg ging er zum Arzt. Auf dem Weg zum Krankenhaus kaufte er
sich' eine Zeitung und las wieder und wieder die wenigen Zeilen der Nachricht.
Im Krankenhaus sprach er in aller
Offenheit mit dem Arzt. Er zeigte auf die
Zeitung. »Hier«, sagte er, »das, das ist mein Sohn. In Tunceli ist er in eine Auseinandersetzung mit den
Gendarmen geraten; sein Freund wurde getötet und er selbst verwundet.
Ich muß herausfinden, was passiert ist, wo
er jetzt ist, ob er tot ist oder noch lebt. Ich möchte, daß sie mich
eine Woche krankschreiben...«
Der Arzt schwieg, dachte einen
Moment nach und schrieb ihn dann eine Woche krank.
Nach dem Arztbesuch ging Ali Kaypakkaya direkt zur Kommandantur der 28. Division der
Ausnahmezustandsverwaltung. Sie schickten
ihn zu einem Oberst. Dieser hörte sich an, was Ali Kaypakkaya zu sagen hatte, und begann zu lachen. »Was
kümmerst du dich noch um so ein Kind?« sagte er, »Wo willst du in dieser Eiseskälte hin? Lieber gar kein Kind als so eins ...«
Ohne
ein Wort zu erwidern, ging Ali Kaypakkaya wieder weg. Schon dieser erste kurze
Kontakt mit der Ausnahmezustandsverwaltung
hatte ihn eine Menge gelehrt.
Er fuhr zum Kizilay*, in das Hauptpostamt und sagte am
Schalter, daß er nach Tunceli
telefonieren wolle. Der Beamte fragte nach der
Nummer, die er in Tunceli wünschte.
|
»Die Gendarmeriekommandantur des
Bezirks«, antwortete er.
„... Ja, mein Tapferer, ja
An dem Zel-Berg steigst du den Hang empor
Schnee ist gefallen; es reicht dir
zur Hüfte
Ja, mein Ali Haydar,
ja Ja,mein Ibrahim,
ja Ja,mein Tapferer, ja..."
Aus einem auf kurdisch gesungenen
Klagelied
Als die Verbindung hergestellt war, antwortete am
anderen Ende ein Soldat der Gendarmerie.
Seine Stimme kam in unverständlichen Fetzen herüber.
»Ich habe
gehört, daß Ibrahim Kaypakkaya gestern in Tunceli verwundet gefangen genommen wurde«, brüllte Ali
Kaypakkaya in die Muschel. »Ich bin sein Vater. Ich bitte Sie um alles in der
Welt, Sie haben doch auch Vater und Mutter; wo ist Ibrahim
jetzt, ist er schwer verwundet?« »Einen Moment, Onkel«, unterbrach ihn der
Soldat. Dann hörte er die Stimme eines anderen Gendarmeriesoldaten, der sagte, daß Ibrahim am Hals und an der
Schulter verwundet, seine Füße erfroren seien und daß man ihn nach
Diyarbakir gebracht habe. Zuletzt fragte
Ali Kaypakkaya: »Ist es nötig, daß ich hinfahre?«, worauf der Soldat
antwortete: »Es wäre gut, wenn du fährst« ,..
Noch am gleichen Abend stieg Ali Kaypakkaya um 20.00
Uhr in einen Reisebus.
Am Busbahnhof von Diyarbakir stieg er aus. Er kannte
die Stadt nicht. Nachdem er eine Weile herumgeim war, traf er
auf einen Polizisten, dem er erzählte, daß
er Ibrahims Vater sei. Dann fragte er, wo er seinen Sohn finden könne.
Der Polizist antwortete unwirsch: »Es
fahren Kleinbusse hin. Steig in Dagkapi aus!«
Nach mehrmaligem Nachfragen fand er das Krankenhaus.
Am Eingang standen Soldaten Wache, Ali Kaypakkaya
wollte sich einfach zwischen einige andere Besucher mischen. Der Wachhabende
fragte jeden nach seinen Erlaubnispapieren. Auch Ali Kay-pakkayas Papiere
wollte er sehen. Als Ali Kaypakkaya sagte, daß er keine habe, wurde er gefragt: »Zu wem willst du?«
Ali Kaypakkaya gab den Namen seines Sohnes an
und im gleichen Moment brüllte der Wachhabende: »Rühr dich nicht vom Fleck!« Er
richtete seine Waffe auf ihn. »Wenn du dich auch nur einen Fingerbreit bewegst,
dann will ich nicht ich sein, wenn ich nicht schieße!«
»Bruder«,
entgegnete Ali Kaypakkaya, »du hast mich nicht in den Bergen geschnappt und hierher gebracht. Ich bin von selbst gekommen, um nach meinem Sohn zu fragen. Ist er am
Leben, ist er tot? Wo ist er jetzt? Um das herauszufinden, bin ich
gekommen. Auch wenn du mich so anschreist,
sagst >Hau ab<, werde ich nicht gehen.
Aber trotzdem, wenn du willst, dann schieß..!!«
Der Soldat ging zum Wachhäuschen,
drehte sich dabei ständig nach Ali
Kaypakkaya um. Er zitterte am ganzen Körper. Er sprach irgendetwas ins Telefon und baute sich sofort
wieder vor Ali Kaypakkaya auf. »Nun
sei doch ruhig; ich bin hier, ich beweg' mich ja nicht«, versuchte Ali Kaypakkaya den Soldaten zu beruhigen.
Nach kurzer Zeit fuhr ein Militärfahrzeug vor, aus dem zwei Soldaten und ein
Unteroffizier stiegen. »Was gibt's?« fragten sie. »Da, mein Kommandant, das ist
der Vater von dem Anarchisten ...!« meldete der Wachhabende und zeigte auf Ali
Kaypakkaya.
Der Unteroffizier hörte
sich Ali Kaypakkayas Anliegen an und sagte
dann: »Wir dürfen dich nicht zu ihm lassen. Geh' zur Staatsanwaltschaft
und hol' dir einen Erlaubnisschein. Sie werden dir zwei Personen mitgeben. Dann kommst du hierher. Wenn die Person,
die du suchst, hier ist, dann lassen wir dich zu ihr. Und jetzt frag' nicht
weiter ...«
Ali Kaypakkaya verließ
das Krankenhausgelände und ging zur Ausnahmezustandskommandantur.
Am Eingangstor schaufelten 5-6 Soldaten unter der Regie eines
Unteroffiziers Schnee. Er ging auf den Unteroffizier zu und brachte sein
Anliegen vor. »Bruder, an deiner Stelle
würde ich da nicht reingehen!« sagte der Unteroffizier. »Sie werden dich
verhören, vielleicht dich sogar dort behalten, du wirst gefoltert ...«
»Und wenn sie mich töten; ich laß
es auf mich zukommen« ent gegnete
Ali Kaypakkaya. »Hauptsache,
du erlaubst mir,
zum Staatsanwalt
zu gehen.«
Der Unteroffizier rief einen der
Soldaten und sagte ihm etwas. Der Soldat nahm seine Waffe in die Hand. So gingen sie
durch das Haupttor, vorneweg Ali Kaypakkaya und fast 10 Meter hinter ihm der Soldat mit der Waffe in der
Hand.
Dann traten sie in ein Büro. Dort trug Ali Kaypakkaya
einem kräftig gebauten, blonden Leutnant
sein Anliegen vor.
In Begleitung des Leutnants wurde
Ali Kaypakkaya in ein weiteres
Büro gebracht. Beim Eintritt nahm der Leutnant Haltung an. Am Tisch im Raum saß
ein kleingewachsener dunkler, schmaler Mensch,
der in einem Heft blätterte. Als er den Leutnant sah, hob er den Kopf.
»Dieser Freund ist gekommen, um eine Erlaubnis zu beantragen«,
sagte der Leutnant. »Was für eine Erlaubnis?«, fragte der Mann.
Ali Kaypakkaya setzte an, sein
Anliegen auch ihm vorzutragen, doch in dem Augenblick, als der Name »Ibrahim« fiel,
richtete sich der Mann auf
und begann zu brüllen: »Also der Vater von diesem Anarchisten, ja? Der Vater von
diesem Banditen, was?«
»Sei er Anarchist, sei er Bandit«, antwortete Ali
Kaypakkaya. »Sie wissen, was ein Vater,
eine Mutter durchmachen können. Ich will
nur wissen, wie es meinem Sohn geht, das ist alles. Ist er am Leben, ist er tot? Ich will das sehen. Dafür möchte
ich die Erlaubnis von Ihnen ...« Der Mann unterbrach ihn brüllend: »Dich muß
ich hierbehalten; deine Aussage brauche ich ...« Niedergeschlagen sprach Ali Kaypakkaya weiter: »Tun Sie, was sie
für nötig halten; ich will ja nur
einmal seine Stimme hören; sprechen Sie am Telefon mit ihm; sagen Sie ihm, sein
Vater sei gekommen, und während Sie reden,
will ich einfach nur hier stehen und von hinten hören; mehr will ich
doch gar nicht...«
»So einem Anarchisten, einem
Wegelagerer, einem Gangster helfe ich nicht!« fuhr der Mann fort zu brüllen. Dann
machte er dem Leutnant ein Zeichen, und dieser führte Ali Kaypakkaya aus dem Raum.
Zusammen mit dem Soldaten, der
ihn gebracht hatte, kehrte er zum Haupttor zurück. Dort bedankte er sich bei dem
Unteroffizier und ging fort.
Auf der Straße sprach er mit einigen Leuten. Jeder der
Ansässigen, der von seinen Sorgen hörte, verstummte, wurde
betrübt und wollte helfen.
»Wenn
man nach Diyarbakir reinfährt, ist rechts eine Moschee und links ein
Militärposten« sagte jemand. »Da bei der Moschee gibt es Zellen, da ist dein
Sohn wahrscheinlich ...«
Diese
Worte waren für Ali Kaypakkaya ein Hoffnungsschimmer. Er kam zu dem Ort, den
man ihm beschrieben hatte, und sprach den wachhabenden Soldaten an: «Mein Sohn
soll hier in den Zellen sein, irgendwo
hier. Ist er am Leben, ist er tot, wie geht es ihm, können Sie mir etwas sagen?«
»Onkel«, sagte der Wachhabende mit leiser Stimme.
»Wenn ich jetzt hier meine Wache verlasse und rüber zu der Wache
bei den Zellen gehe, das geht nicht. Da
sitzt die Polizei, da werden die Verhöre
gemacht. Wenn die sehen, daß ich dir helfe, bin ich dran, und meine Zeit beim Militärdienst wird verlängert.
Dräng' bitte nicht...«
Als
Ali Kaypakkaya kaum mehr Hoffnung hatte, seinen Sohn doch noch zu Gesicht zu
bekommen, begann er, in der Stadt nach einem
Anwalt zu suchen.
Er
fand schließlich einen und begann zu erzählen. Der Anwalt hörte sich an, was er
zu sagen hatte und antwortete: »Auch wenn du
mir 10000 Lira gibst, kann ich immer noch nicht hingehen und etwas über deinen
Sohn erfragen. Das Verhör ist noch nicht beendet, die Akten sind noch
nicht freigegeben ...«
Mit verwirrtem Kopf und trüben Gedanken begann Ali
Kaypakkaya, in Diyarbakir
herumzulaufen.
Er
erblickte ein Schild: »THA-Büro Region Südost«*. Er trat ein. Ein fetter Mann
kam auf ihn zu. Nachdem er sich angehört hatte,
was Ali Kaypakkaya zu sagen hatte, sagte er unwirsch: »Was geht mich das
an, wenn du der Vater von Ibrahim bist!« »Mein Herr«, bat Ali Kaypakkaya. »Ich
will Sie zu nichts verführen; ich will
nichts von Ihnen, was gegen die Ordnung verstößt. Nur: Wissen Sie irgendetwas über meinen Sohn? Das ist es,
worum ich bitte ...«
Der
fette Mann in der Nachrichtenagentur bekam Mitleid und sagte, daß er Ibrahim zwei Tage vorher gesehen hätte. »Dein Sohn ist am Leben«, sagte er. »Gestern haben sie noch
zwei Personen gebracht, die ihm Unterkunft gewährt haben sollen. Mehr
weiß ich nicht; wir veröffentlichen nur, was
die Ausnahmezustandsverwaltung uns erzählt; Recherchen auf eigene Faust
sind verboten ...«
Ali
Kaypakkaya hatte inzwischen alle Straßen von Diyarbakir abgelaufen. Bis auf 50 Meter war er an seinen Sohn herangekommen,
hatte ihn aber nicht zu Gesicht bekommen. Er ließ ihn hinter Steinen und Mauern
und kehrte Hunderte von Kilometern zurück. Er machte sich auf den
Rückweg nach Ankara über Adana.
Auf
dem Weg nahm der Bus in Siverek Häftlinge auf. Auf der einen Seite des Ganges
saßen zwei Gendarmen, auf der anderen zwei
Häftlinge mit kahlrasierten Köpfen.
Es
stellte sich heraus, daß einer der Gendarmen aus Amasya stammte. Ali Kaypakkaya
erzählte, daß er aus Corum war. In knappen
Sätzen sprachen sie miteinander.
Da
fragte der Gendarm, warum er nach Diyarbakir gekommen sei. »Mein Sohn ist verhaftet«, antwortete Ali Kaypakkaya. Als er auf
seine Nachfrage hin auch den Namen seines Sohnes sagte, bemerkte einer der
Gendarmen: »Von diesem Anarchisten der Vater bist du also!«, und der aus Amasya sagte: »Die sollte man alle vors Gewehr stellen.« Da gerieten die Leute im Bus in
Bewegung. Einige der Reisenden, die
bis dahin wortlos das Gespräch verfolgt hatten, standen auf. »Weißt du denn
überhaupt, wessen Spiel du hier mitspielst?«
brüllten sie den Gendarmen aus Amasya an. Einige andere Reisende
mischten sich ein und beruhigten die Streitenden. Dann sprachen die Mitfahrer der Reihe nach Ali Kaypakkaya ihr Mitgefühl
aus: »Das wird schon noch; sei nicht traurig, Onkel. Ihr seid bestimmt bald wieder zusammen ...«
Mit
der Sorge um den Sohn im Herzen kehrte Ali Kaypakkaya nach Hause zurück. Zu Hause wartete man schon auf ihn. Freunde und Verwandte hatten von Ibo gehört und waren aus
dem Dorf gekommen ...
»... Ach,
er gebt dahin, geht dahin
Er geht dahin, Ibrahim geht dahin
So kommt doch zum Vartinik-Fluß Ach, es ist Nebel dort und
Rauch...«
Aus einem auf kurdisch gesungenen Klagelied
Zu dieser Zeit lag Ibo in einem hinteren Zimmer des
Militärkrankenhauses, zu dessen Tor sein
Vater vorgedrungen war. Seine Hände und Füße waren angekettet.
Zunächst wurde die Schußwunde an seinem Kopf behandelt
und verbunden. In einer Operation holten sie einen Teil
der Schrotkugeln heraus, die der Spitzel
an der Scheune in Vartinik auf ihn abgefeuert hatte und die an 40-50 Stellen
seines Körpers eingedrungen waren.
In
seinen Füßen hatte er kein Gefühl mehr. Sie schienen nicht mehr zu ihm zu
gehören, waren wie abgefallen.
Der Staatsanwalt Yasar Degerli war bestrebt, Ibo so
schnell wie möglich aus dem Krankenhaus herauszubekommen und ihn
zu verhören. Die Ärzte wiesen ihn darauf hin, daß Ibo sehr schwer verwundet sei
und wollten, daß er noch länger im Krankenhaus blieb. Deswegen mußte sich Staatsanwalt Yasar Degerli in den ersten
Tagen damit begnügen, einen »Feststellungsbescheid« zu verfassen. Und
der sah folgendermaßen aus:
»Um die Personalien und den Zustand des Ibrahim Kaypakkaya,
von dem gesagt wird, daß er einer der
Hauptverantwortlichen der Vereinigung sei und der zufolge der vorliegenden Beweise unter den Tarnnamen >Hamza< und
>Musa< Aktivitäten im Sinne der Organisationsziele durchgeführt hat und der bei
einer Suchaktion, die im Dorf Vartinik, Bezirk Tunceli und in der Umgebung
durchgeführt wurde, verwundet gefaßt wurde - genauer gesagt, dem es in verwundetem Zustand gelang zu fliehen -, festzustellen und festzuhalten, wurden
der zuständige Staatsanwalt und Batteriechef
Yasar Degerli, in Begleitung des dienstäl-testen Polizeiwachmeisters Cemal Kusakci in das Krankenhaus bestellt, in dem der Gefangene sich noch immer befindet. Sie
brachten Mehmet Cetin mit, einen ehemaligen Schulkameraden des Gefangenen, der
ihn aus früherer Zeit kennt und sich
selbst aufgrund einiger Anschuldigungen
in Polizeigewahrsam befindet. Das Anliegen wurde dem wachhabenden Arzt vorgetragen, das Einverständnis des
wachhabenden Arztes Dr. Major
Saadettin Demiray eingeholt und der wachhabende Unteroffizier Mehmed Salih Güney angewiesen, den Raum,
in dem der Angeklagte sich befand,
zu öffnen. Daraufhin wurde in Anwesenheit von Mustafa Inanc sowie aller oben genannter Personen die Person, deren
Größe schätzungsweise 1,65 m beträgt, deren Haare blond und Augen grün sind,
deren Kopf verbunden ist, die an der linken Seite des Halses eine Binde trägt und mit dem linken Handgelenk an
den Bettrahmen angekettet ist, nach
ihrem Namen gefragt. Die Person sagte aus, daß ihr Name Ibrahim Kaypakkaya sei. Daraufhin wurde der
zur Identifizierung mitgebrachte Mehmet Cetin gefragt, der dieses bestätigte.
Er sei sein Schulfreund von der Lehrerschule in Caba und er könne ihn trotz seines Verbandes eindeutig identifizieren. Die o.
g. kranke Person wurde zum Sprechen
aufgefordert, woraufhin der Identifizierungszeuge aussagte, daß dies die
Stimme seines ihm seit langer Zeit bekannten Freundes Ibrahim Kaypakkaya sei. Anschließend wurde die
erkennungsdienstliche Behandlung
von Ibrahim Kaypakkaya vorgenommen... Die
Redeweise des Angeklagten und sein äußeres Erscheinungsbild ließen zwar auf seine Vernehmungsfähigkeit
schließen, doch wie schon vor
einiger Zeit in einem Telefongespräch mit dem Arzt gesagt und durch die Verlautbarungen des diensthabenden
Doktors Major Saadettin Demiray
bestätigt, wurde mitgeteilt, daß Ibrahim Kaypakkaya aufgrund der Erfrierungen an seinen Zehen noch
operiert und die Wunde an seinem Kopfweiter behandelt werden müsse. Da ein
längeres Verhör sich nicht mit
dieser Situation vereinbaren ließe, wurde der Beschluß gefaßt, es vorerst bei dieser Feststellung und Identifikation zu
belassen. Der Feststellungsbescheid
wurde somit abgeschlossen und ordnungsgemäß
durch die Anwesenden unterschrieben.
(13. Februar 1973)«
Einige Tage später teilte der Arzt Ibo mit, daß man seine erfrorenen Zehen amputieren müsse. Ibo antwortete,
daß er dies nicht zulassen
würde. »Bindet meine Hände und meine Füße los, dann wird es
schon besser«, sagte er zu dem Arzt. Noch einmal forderte der Arzt Ibo auf, die
Einwilligung für die Zehenamputation zu unterschreiben,
und wieder weigerte Ibo sich mit der Begründung, daß, wenn man ihn von den
Ketten befreie, er sicherlich genese.
Es war Essenszeit. Sie lösten seine rechte Hand. Ibo
berührte einen seiner rechten Fußzehen. Er
sah, daß der Nagel vom Zeh abgefallen war. Dann zog er einen Fußnagel nach dem anderen heraus. Nichts Lebendiges war mehr an seinen Füßen. Voller Haß
und Wut dachte Ibo daran, wie ihn der Oberleutnant Fehmi stundenlang im vereisten Kutu-Bach hatte laufen lassen.
Danach schlief Ibo ein. Sie hatten ein starkes
Schlafmittel in sein Essen getan.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, verspürte er einen Schmerz an seinen Füßen. Sie waren verbunden. Sie
hatten die erfrorenen Zehen amputiert, während er schlief ...
Innerhalb weniger Tage erholte Ibo sich erstaunlich
gut. Obwohl er angekettet lag und durch so viel Leid gegangen war, bekam sein
Gesicht wieder Farbe, erwachte wieder zum Leben. Doch die Verhörer warteten
auf ihn. Gleichzeitig aber, waren sie auch erschreckt und unsicher und
entwarfen Pläne, um seinen Willen zu überlisten.
Ein
Soldat aus dem Krankenhaus begann, heimlich Kontakt zu Ibo aufzunehmen. Er war
ein Mann, der von armen Bauern abstammte. Ibo war mißtrauisch, wollte aber
doch angesichts seiner Lage jede Chance offenhalten. Ständig dachte er an
Flucht. Und das war, wenn überhaupt, nur jetzt möglich. Seine alte Kraft war, wenn auch nur zum Teil, wieder hergestellt.
In dem Brief, der mit der Zeile »Ich habe meinen
Freunden einiges mitzuteilen«
beginnt, redet Ibo erst von den
Vorgängen in Vartinik, von seiner
Gefangennahme, erzählt, daß ihn die Gendarmen »fürch-terlich verprügelt« hätten, und daß er jetzt, nachdem
man ihn eine Zeitlang herumgereicht habe, im
Krankenhaus sei. Weiter heißt es:
»Die Wunden an meinem Kopf und meinem Hals sind in 20
Tagen verheilt. Folgendes will ich noch
sagen: In verwundetem Zustand haben sie mich in der ersten Woche an beiden Armen an den Bettrahmen gespannt wie an ein Kreuz, und
erst auf ständiges Drängen wurde eine der Handschellen gelöst. Jetzt liege ich mit einer
Hand an den Rahmen gekettet. Am 24. Januar sind wir überfallen worden. Am 22. Februar haben
sie mich an beiden Füßen operiert. An meinem rechten Fuß ist mir kein Zeh geblieben. Es sieht
nicht rosig aus. An meinem linken Fuß haben sie mir zur Erinnerung den kleinen Zeh gelassen.
Die Behandlung dauert noch an; ich weiß
nicht, wann ich gesund sein werde. Die Arzte gehen von dem 15. des kommenden Monats aus. Zur
Zeit wäre ich gar nicht in der Lage
aufzustehen, doch die Handschelle lassen sie immer noch dran.
Der Staatsanwalt ist gekommen und hat mich
erkennungsdienstlich behandelt. Er wartet, daß ich gesund werde, damit er mich verhören kann. Außerdem habe ich bei der
Polizei ein paar Sachen mitbekommen: Der Staatsanwalt sagte, daß sie unser Haus in Ümraniye ausfindig gemacht hätten. Ein anderer
Polizist hat mich mit >Asur< angeredet. Noch ein anderer Polizist sagte, daß eine
Medizinstudentin umgekommen sei. Und der Staatsanwalt wiederum hat mich mit <Musa< und >Hamza< angeredet. Noch ein
anderer Polizist sagte, daß Hikmet aus Capa festgenommen worden sei. Ich kenne den Hikmet aus
der Schule, wußte aber
nicht, daß er mit revolutionären Kreisen etwas zu tun hat. Sie haben eine Gegenüberstellung
mit mir und meinem Schulfreund Mehmet Cetin gemacht. Er soll seit Januar einsitzen. Außerdem hat die Polizei mir einen gezeigt, der
aus Siverek sein soll. Angeblich sollen Waffen far uns gekommen sein, und er hätte sie an der
Grenze holen sollen. In
einer Tour haben sie ihn geprügelt. Er hat gesagt, daß er mich kennt, daß ich Musa sei und daß
ich in seinem Haus übernachtet hätte, obwohl ich ihn überhaupt nicht kenne. Und Musa bin ich
auch nicht. Außerdem sollen sie einen aus Siverek festgesetzt haben, Serdar
oder Seyithan soll er heißen. Ich habe
nur davon gehört. Nach 15 Tagen soll er geredet haben (im Januar ist er wohl gekommen). Er soll ziemlich viel gesagt haben. Und dann
sollen noch einige Leute aus Siverek hier einsitzen, die was mit unserer Sache und
wahrscheinlich auch mit Seyi-thans Gerede zu tun haben. Aber ich habe keine Ahnung, wer und wie viele sie sind.
Ich kann hier weder Radio hören noch Zeitung lesen.
Die Gefangenen in
Polizeihaft und die anderen Gefangenen hier können auf dem Gang herumlaufen.
Auch Radio können sie hören. Die Tür von meinem Zimmer zum Flur hin ist abgeschlossen. Ich habe
also überhaupt keinen
Kontakt zur Außenwelt. Ich denke, daß sie einige Revolutionäre aus Tunceli gefangen haben.
Freunde, ich habe überhaupt nichts anständiges
anzuziehen. Geld habe ich auch nicht. Ich hatte 200 Lira - die sind jetzt bei der Polizei. Ich brauche von Euch zwei Garnituren
Unterwäsche, ein Paar Schuhe Größe 42, Strümpfe, einen Schlafanzug, ein Oberhemd (oder Pullover), ein Jacket und Hosen. Meine Maße
kennt Ihr. Schickt mir mindestens 500 (fünfhundert)
Lira. Wenn mein Vater in der Lage wäre, es zu schicken,
würde ich ihn fragen. Seine Situation ist sehr schlecht. Gebt die Sachen
in Ankara auf und schreibt als Absender meinen Vater drauf. Seid vorsichtig, wenn Ihr meinen Vater besucht, er ist
vielleicht in Haft.
Freunde, das andere, was ich von
Euch will, ist folgendes: Erstens: Ihr müßt Eure Vorsichtsmaßnahmen gegenüber der
politischen Polizei weiter verbessern. Im Moment sind die insbesondere hinter uns her. Zweitens: Ihr müßt Eure Kader in
allerkürzester Zeit und auf bestmöglichste Art bewaffnen. Das hat absoluten Vorrang. Von
den revolutionären Massen kommt diesbezüglich auch Kritik. Drittens: Bezogen
auf den ersten Punkt: Schmeißt alle
raus, die bei der Polizei auspacken. Viertens: Baut in unserer Region die Organisation neu
auf und gebt ihr gute
Grundlagen. Fünftens: Erlaubt in keinem Bereich unserer Bewegung
Verwahrlosung, Trägheit, Feigheit und Bequemlichkeit im Kampf. Jeden, der dahin tendiert,
müßt Ihr mitleidlos hinauswerfen. Auch wenn wir wenige sind, laßt uns entschieden und stark sein. Sechstens: Sollte es welche geben, die
aufgrund der Rückschläge der letzten Zeit Niedergeschlagenheit und Mißtrauen in unsere
Reihen bringen, so laßt einen derartigen Defätismus nicht zu. Rückschläge und Verluste gibt es immer. Die Revolution ist
nicht wie der gerade Boulvard von Nevski. (Schließlich: Unsere letzten Verluste entstanden daraus, daß eine Person ihre Wachpflicht
vernachlässigt hat. Und noch ein Fehler: Obwohl sehr viele Menschen wußten, wo wir uns aufhielten,
sind wir weiter dort geblieben.) Siebtens:
Der bewaffnete Kampf darf nicht unterbrochen werden. Was uns weiterentwickelt und
stärkt, ist genau dies. Achtens: Entscheidet über unser Presseorgan je nach der Situation.
Neuntens: Macht Leute in Diyarbakir ausfindig und
bemüht Euch um Wege,
mündlich oder schriftlich Kontakt mit mir aufzunehmen. Zehntens: Macht Fluchtwege
ausfindig und versucht, mich hier herauszuholen. Mir ist die Todesstrafe oder mindestens
lebenslänglich sicher. Ich grüße Euch, küsse Euch sehnsüchtig die Augen. Ich wünsche uns einen
Kampf, noch geballter, noch stärker, noch entschiedener. Lebt wohl.
Euer Freund
PS: 1. Von mir ist nichts schriftliches in ihre Hände gekommen.
2.Meine Adresse: Ibrahim
Kaypakkaya, Haftanstalt des Ausnahmezustandes Diyarbakir...«
(Aus den Gerichtsunterlagen zum TKP-ML-Prozeß
Brief mit der Überschrift »Ich
habe den Freunden etwas mitzuteilen«
»Ein Bild
bleibt vom Scheidenden, man hängt es an die Wand,
langsam vergessen wird es dort. Deine Stimme werden Menschen
hören Bis an den
letzten Tag,
Frisch wie
der Morgen,
Süß wie der
Honig,
und
müde
und hingebungsvoll
und heldenhaft."
A.Kadir
Ibo
sah den Soldaten, dem er den Brief zum Hinausschmuggeln gegeben hatte, nicht wieder. »Entweder er war Polizist, oder sie haben
ihn geschnappt und getötet«, dachte er.
Er hatte von vornherein die
Möglichkeit mit einbezogen, daß der Soldat
Polizist sein könnte und seinen Brief entsprechend abgefaßt, hatte über
seine Lage Auskunft gegeben, hatte erzählt, was er gehört und gesehen hatte
und allgemein seine Wünsche bekundet. Doch daß der Soldat vielleicht kein
Spitzel war, sondern festgenommen worden sein könne, erfüllte ihn mit Sorge.
Ibos >Verdacht< sollte bestätigt werden. Der
Soldat, der Verbindungen mit
ihm aufgenommen hatte, war ein >Nachrichtenkurier< des Geheimdienstes.
In einem als >geheim< abgestempelten Bericht mit
der Nummer IST: 7130-724.73/1974 vom 6. März
1973, unterschrieben mit »Generalleutnant Sükrü Olcay, Kommandant der Ausnahmezustandsverwaltung Diyarbakir«, heißt es
diesbezüglich:
»Der Brief,
den der Anarchist Ibrahim Kaypakkaya während seines Haftaufenthaltes im
Militärkrankenhaus am 28. Januar
1973 an ......... Assistent an der
Technischen Hochschule Istanbul, geschrieben
hat, wurde
aufgrund der amtlichen Prüfung beschlagnahmt. Es wurde beantragt, ein Gutachten über
Form und Inhalt des Briefes einzuholen.
(b) In dem
Brief, in dem sich der Anarchist Ibrahim Kaypakkaya an seine Freunde wendet, ist der Teil,
in dem 10 Instruktionen formuliert sind, von großer Bedeutung. Die Instruktion, »Macht
Fluchtwege ausfindig und
versucht, mich hier herauszuholen. Mir ist die Todesstrafe oder mindestens lebenslänglich
sicher« bezieht sich auf den Angeklagten selbst und veranlaßt die Kommandantur, die
Sicherheitsmaßnahmen nochmals zu verstärken. Zusätzlich zu den bereits vorgenommenen Sicherheitsvorkehrungen
wurden MIT*-Verbindungspersonen in das Krankenhaus geschleust und so seine Flucht bzw. eine
Befreiung unmöglich
gemacht.«
Zum gleichen Vorgang hatte der MIT folgenden Bericht
zu Ibos Akte gelegt:
»— Einige Zeit, nachdem er in das genannte Krankenhaus
eingeliefert wurde, begann er
nach Möglichkeiten zu suchen, Verbindung mit der Außenwelt aufzunehmen. Ein derartiges
Verhalten wurde jedoch von
unserer Seite (Dyb. B. D. Bsk. *) erwartet: Entsprechend wurde eine Person darauf
angesetzt. - Wie erwartet, machte I. Kaypakkaya den Versuch, dieser Person einen an ....... Assistent an der
Technischen Hochschule in Istanbul,
adressierten Brief, zu geben, den diese bei der Post aufgeben sollte.
- Um das
Verhalten von ....... nach Erhalt des
Briefes zu observieren, wurde die
Operation fortgeführt. Der genannte Brief wurde mit einem Kurier in dem Flugzeug der
Ausnahmezustandskommandantur Diyarbakir
an die
Ausnahmezustandskommandantur
Istanbul gesandt; von dort erreichte er unsere dortige Abteilung (Ist.B.D.
Bsk.).
- Unsere
Leitung ließ den Brief in angemessener Form an ...... aushändigen;
unmittelbar darauf wurde mit der Observation der o. g. Person begonnen.
- Nach einwöchiger Observation wurde ...... festgenommen, und es wurde mit dem Verhör begonnen.
- ....... der nicht abstritt, daß er eine sozialistische
Weltanschauung
habe und
während seiner Studienzeit auch entsprechend aktiv gewesen sei, erklärte, daß er aus Mitleid
mit I. Kaypakkaya daran gedacht habe, ihm die gewünschten Sachen zukommen zu
lassen, daß er ferner Arslan Kilic, den er von der Schule kannte, aufsuchen
wollte, um diesem zu sagen, daß er einen derartigen Brief nicht noch einmal bekommen wolle. Er habe aber Arslan Kilic nicht
angetroffen.
- ...... der sich sehr betroffen und erschreckt verhielt, sagte aus, daß er I. Kaypakkaya 1968 im Rahmen der Arbeit in der Studentenvereinigung der Universität kennengelernt habe; er haben ihn jedoch seit jener Zett nicht mehr gesehen.
Des weiteren sagte er aus, daß er sich nicht
vorstellen könnte, wie und wo I. Kaypakkaya seinen Landsmann >......< kennengelernt haben könnte und woher I. Kaypakkaya wissen konnte, daß >.,...< und er Freunde waren.
Daraufhin wurden Ermittlungen über die o. g. Personen
eingeleitet und Informationen von unserer Abteilung in Diyarbakir erbeten.
— Die erhaltenen Informationen
waren folgende:
I. Kaypakkaya hat den
Offiziersanwärter ...... im Krankenhaus
zufällig kennengelernt; hat
ferner, als er hörte, daß dieser aus Nazilli stamme,
gefragt, ob er ...... kenne; er hat
jedoch in Gegenwart
von ..... in bezug auf eine Befreiung nichts geäußert....«
Sie hatten in Ibos Brief nicht
gefunden, was sie suchten, doch die Sicherheitsvorkehrungen im Krankenhaus
wurden aufs äußerste verschärft.
Im
Bezirk Tunceli hatten die Suche nach Ibos Spuren und die militärischen
Operationen mit Ibos Gefangennahme noch längst kein Ende gefunden.
Ein Lächeln in einem Dorf, eine Kameradschaft auf
einer Hochebene, ein nächtliches Gespräch in dem Haus eines
Hirten, ein Mahl auf einem Dreschplatz, ein
paar wollene Strümpfe, an einem kalten Wintertag verschenkt, eine
Wegbeschreibung, ein Händeschütteln, ein übermittelter Gruß. ... Nach allem
wurde peinlich genau gefragt.
Viele nahmen sie mit auf die Polizeistation als
»Helfer«, »Komplize«, als jemand, der den »Banditen den Weg gezeigt, ihnen Unterkunft
gegeben, Brot gegeben, sie gegrüßt« habe. Dort band man ihnen hinter verschlossenen Türen die Augen zu und
verhörte sie: »Ihre Aussage wurden aufgenommen ...«.
Dann brachte man sie nacheinander
zur Gegenüberstellung mit Ibo ins
Krankenhaus.
Was
der Staatsanwalt diese armen Menschen, die er aus Berg und Tal, aus Stadt und Land zusammengesammelt hatte, »gestehen ließ«,
wollte er auch Ibo unterschieben.
Ibo
aber änderte sein Verhalten nicht. Mitleidig begegnete er den armen Bauern, die zur Gegenüberstellung ins
Krankenhaus geschleppt wurden. Voll
innerer Anteilnahme schaute er ihnen in die Augen.
Die erste Gegenüberstellung fand am 12. März 1973, dem
»Jahrestag des Memorandums«*, statt.
Während die bourgeoise Presse von »Bedeutung und
Verdienst« des Memorandums faselte, das Radio die »schrittweise Rettung der
Heimat« anpries und auf den Straßen »Gedenkfeierlichkeiten« stattfanden, trat
um 10.30 der Staatsanwalt Yasar Degerli
zusammen mit einigen ärmlichen Bauern
in das Zimmer, in dem Ibo immer noch verletzt und angekettet lag.
Danach stand folgendes im
Protokoll des Staatsanwalts:
»Zum Zweck der Gegenüberstellung mit Ibrahim
KAYPAKKAYA, dem
vorgeworfen wird, einer der führenden Personen der TKP/ML-Organisation zu sein und der
immer noch aufgrund seiner Verletzungen im Militärkrankenhaus in Behandlung ist, fand man
sich am 12. März 1973 um
10.30 im Krankenhaus in Begleitung folgender Personen ein: Haydar Mecit, geboren 1947 als Sohn des
Süleyman, dessen Identitätskarte von Ibrahim Kaypakkaya für seinen eigenen
Gebrauch verwendet und entsprechend
verändert wurde, Hidir KARAGÜL, Mehmet SARIKAYA und Hüseyin SARIKAYA, alle drei wohnhaft in der Niederlassung Barikbasi des
Dorfes Gökceköy im Bezirk Tunceli; ihnen wird vorgeworfen, Ibrahim KAYPAKKAYA
Unterschlupf gewährt zu
haben.
Zunächst wurde Haydar Mecit in das Zimmer geführt, in
dem der Angeklagte Ibrahim Kaypakkaya
lag. Haydar Mecit wurde der Angeklagte Ibrahim KAYPAKKAYA gezeigt. Er sagte
aus, daß er den Namen dieser dort liegenden Person nicht kenne, daß dies jedoch die Person sei, die ihm in der Gegend
seines Dorfes, gemeinsam mit Haci Özdogan, seine Identitätskarte abgenommen und nicht
wiedergegeben habe. Er
könne sich ohne Zweifel in allen Einzelheiten an das Äußere dieser Person erinnern. Er bestehe
nochmals darauf, daß dies die Person sei, die seine Identitätskarte an sich
genommen habe. Er meine damit jedoch nicht, daß diese Person persönlich seine
Identitätskarte genommen hätte, das habe der
anwesende Haci ÖZDOGAN getan. Da später seine Identitätskarte,
versehen mit dem Bild des Angeklagten gefälscht worden sei, könne man davon ausgehen, daß auf seinen
Befehl hin die Identitätskarte
abgenommen wurde.
Anschließend wurde Ibrahim KAYPAKKAYA zu dem Vorgang
befragt: Er sagte aus: Ich kenne weder diese Person noch Haci Özdogan und habe die Identitätskarte in
Malatya gefunden: Ich wurde von der Ausnahmezustandsverwaltung gesucht, denn ich verfolge
die Ziele des Proletariats.
Ich bin jemand, der sich nach Kommunismus sehnt, besser gesagt, sich diese Ideologie zu
eigen gemacht hat und dieses Ziel verfolgt. Um meine wahre Identität zu
verbergen, habe ich die Identitätskarte von Haydar Mecit mit meinem eigenen
Paßphoto versehen. Das ist der Klassenkampf, das ist meiner Meinung nach normal, sonst kommt man nicht weiter. Haydar
Mecit macht diese Aussage, weil man ihn unter Druck gesetzt hat. Falls dies nicht so ist,
dann lügt Haydar Mecit aus
einem mir nicht bekannten Grund.
Haydar Mecit entgegnete, daß man ihn keinesfalls unter
Druck gesetzt habe und daß er keinen
Grund sehe, warum er lügen sollte. Er habe diese Person vor dem o. g. Vorgang nicht gekannt,
warum sollte er dann lügen.
Haci Özdogan jedoch sei ein guter Bekannter aus seinem
Dorf. Er selbst habe in dem o. g. Vorgang
nicht bewußt gehandelt. Imfolgenden wurden die anderen Angeklagten Hidir KARAGÜL, Hüseyin
SARI-KAYA und Mehmet SARIKAYA einzeln hereingerufen, und
man zeigte ihnen den liegenden Angeklagten
Ibrahim KAYPAKKAYA. Sie sagten
einstimmig aus, daß sie diese Person weder in dem Dorf Gökce noch in der Niederlassung Barikbasi gesehen
hätten. In diesem Punkt seien ihre
vorhergehenden Aussagen falsch, d. h. in einer von ihnen nicht ausgesagten Form protokolliert worden.
Sie wüßten nicht, warum sie es hätten verschweigen sollen, wenn sie diesen
Fremden gesehen und ihm zu Essen gegeben hätten. Anschließend wurde Ibrahim KAYPAKKAYA befragt. Er sagte aus, daß
er diese Personen, die ihm zunächst einzeln und dann gemeinsam gegenübergestellt worden
seien, nicht kenne und daß
er auch nichts über den Vorgang wisse, zu dem sie befragt worden seien.
Er habe sie niemals getroffen. In der Zeit zwischen
dem 24. 1. 1973, an dem er bei dem Zusammenstoß verletzt wurde, bis zum 29. 1. 1973, als er halberfroren
festgenommen wurde, habe er sich von Brot ernährt, das er vorher schon bei sich getragen
habe. Da er verwundet und erschöpft gewesen sei, habe er sowieso außer Brot nichts essen können. Seiner Meinung nach seien
diese drei Personen, zu denen er keinerlei Beziehung habe, grundlos und rechtlos festgehalten worden, und er sehe es als einen Akt von
Terror an, daß man sie hierher gebracht habe.
Als Antwort auf diese Aussage wurde er über die
gesetzlich vorgeschriebenen
Methoden bei einem Verhör sowie über die Rechtmäßigkeit der Verfolgung
Schuldiger u. ä. aufgeklärt.
Hiermit wurde die Gegenüberstellung abgeschlossen und
das Protokoll per Unterschrift beglaubigt.
12. März 1973«
Und jetzt
kam, worauf alle Folterer gewartet hatten. Es wurde beschlossen,
daß Ibo vernehmungsfähig sei. Man holte ihn aus dem Krankenhaus und schleppte
ihn mit zusammengeketteten Händen und Füßen in die Folterkammern von
Diyarbakir.
»... Du hast dich in meiner
Seele festgesetzt
ey Unterdrückung
deren feinen Schmerz
wie Sand
ich getragen habe,
die amerikanische Schlinge um
meine Leisten schreiend,
schreiend nächtelang
stocksteif unbeweglich
Mich Blut pissen lassende...«
A.Arif
Türkei des Jahres 1973 bestand aus vielen, vielen
dunklen Gängen, aus Gängen mit Blut und Menschenschreien. Mit Häftlingsringen
an den Wänden. Ketten... Eisengittern. An den Wänden Bilder von gefolterten
Menschen, deren Gesichter nicht wiederzuerkennen
waren. Angemietete Arbeiter, die das Blut wegzuwischen hatten, Todeswächter in Ärztekitteln.
Menschen, die die Verbindungsstücke der elektrischen Kabel an Hals,
Nacken, Mund, Ohren, Hinterkopf und
Geschlechtsorganen befestigten; bestialische
Gewichte, die man denjenigen, deren Fußsohlen aufgeplatzt waren, auf den Rücken
setzte; doppelzüngige Moralapostel...
Räuber mit blutigen Händen drückten um 1973 den
Menschen in der Türkei die Kehle zu. Jedes Lächeln, selbst das auf den Lippen
der Kinder, hatte man erstarren lassen. Die Türkei um 1973 bestand aus
Schlägen, die der denkende Kopf einstecken mußte, aus Zellen, deren finstere Leere mit Wissenschaftlern, Arbeitern, Bauern,
Studenten und Schriftstellern gefüllt wurde.
In die seit Jahren schon blutende
Brust Anatoliens fügte diese Zeit neue, frische Wunden; von neuem
tummelten sich Banditen auf der seit Jahrtausenden geplünderten Erde
Anatoliens.
In der Türkei dieser Zeit wurden
die Lichter ausgeschaltet, und die Nächte erschütterte das Gelächter der
Mörder.
Die
Menschen waren selbst hinter verriegelten Türen nicht sicher. Mütter trennten sie vom Sohn, Bräute vom Bräutigam,
Lesende vom Buch, die Arbeit von der Maschine. Es war nicht erlaubt, auf Recht zu pochen; verbannt waren Worte, die vom
Hunger, von Armut, vom Schmerz sprachen. Feindselig schauten sie selbst
die Kinder in den Wiegen an ...
In
der Türkei um 1973 war der Dolch getrennt vom Handgelenk, das ihn fassen
wollte ...
So sah es aus in diesem Land, in Istanbul, Ankara,
Sivas, Diyarbakir, Agri ...
Einer der Freunde, die sich in die einsamen Berge
retteten, als Ali Haydar und Ibo verletzt zurückblieben, sagte in
Anwesenheit des Staatsanwaltes Yasar Degerle
bei der Staatsanwaltschaft folgendes aus:
»... Wir sind von den brutalsten Kräften des
Faschismus festgenommen und verhört worden. Mit Strafen belegt, die sie schon vorher gefällt hatten, sind wir hierher
verschleppt worden. Wenn das Gericht, das behauptet, im Namen des Volkes und der
Unabhängigkeit zu sprechen, weiß, wie diese Aussagen zustande kommen, wird
dies zeigen, bis zu welchem
Grad die Behauptung des Staatsanwaltes zutreffend ist.
Die Kräfte des Faschismus, die die Guerilla bekämpfen,
nahmen meine Aussage in den Folterkellern
von Harbiye auf. Zwei Monate dauerte die Vernehmung. In den ersten 15 Tagen folterten sie
mich auf das schwerste.
Sie wollten mich zwingen, mich zu einem Bombenattentat auf den Gendarmerieposten von
Tunceli, der Ermodung zweier Gendarmeriesoldaten, den Raubüberfall auf das Haus eines Obersten zu bekennen. Alles Dinge, die nicht
zutreffen. Sie zogen mich nackt aus, legten Ketten um meine Füße und hängten
mich in der Luft auf. Sie gössen eiskaltes Wasser über mich und schlugen mich ohne Unterlaß mit eisernen Knüppeln. Als meine Beine
blau wurden und anschwollen, hängten sie mich an den Armen auf und schlugen
mich wieder mit eisernen Knüppeln. Überall an meinem Körper quoll Blut aus den Wunden von den Schlägen.
Wenn heutzutage auf den
Innenseiten der Augenlider eines Menschen, auf seinen Brustwarzen Zigarettenkippen
ausgedrückt werden, wenn man die empfindlichsten Körperteile eines Menschen Stromstößen und gleichzeitig der Bastonade
aussetzt, wenn man den Kopf eines Menschen in einem fort gegen Wände schlägt, um ihn
verrrückt zu machen, wenn man seinen Körper mit Nadeln durchsticht, dann zeigt
das, wie sie heute die Gestaposeele
wieder aufleben lassen und welchen irrationalen Haß sie gegen den Kampf des Volkes schüren.
Ehrlich gesagt, ich schäme mich, hier von der Folter
zu erzählen, der sie mich unterworfen haben. Denn all das, was ich erzählen
müßte, ließe sich mit Moral, Würde und
persönlicher Ehre des Menschen nicht vereinbaren. Ich kann nur sagen, daß ich am Ende halb
im Koma lag. Jeder Teil
meines Körpers war gefühllos; ich konnte meine Augen nicht mehr öffnen, meine Zunge war angeschwollen
und schwer. Als es irgendwann soweit war,
daß die Folter keine Wirkung mehr zeigte, wollten
sie mich psychisch unter Druck setzen: Vor meinen Augen quälten sie Freunde wie Hanife Canik, Cem Somel und
Süleyman Yesil* mit Stromstößen und
Bastonade. Einen der Freunde zwangen sie sogar unter Stromstößen, mich zu beschimpfen.
Nachdem ich eine ganze Reihe von falschen
Anschuldigungen zurückgewiesen hatte, sagte einer der Folterer: >Wenn du nicht redest, dann bringen wir dich zum
Reden.< Er nahm die unter Folter erpreßte Aussage eines Freundes, der im gleichen Gebiet wie ich
gearbeitet hatte, tippte sie in etwas veränderter Form und legte sie dem Staatsanwalt vor. Das war die erste Aussage
bei der Staatsanwaltschaft.
Zwei Tage später brachten sie mich wieder nach
Harbiye. Don blieb ich eineinhalb Monate. Ich will hier nicht erzählen, was sie alles mit mir in diesen eineinhalb Monaten
gemacht haben, nur eins: Zum Toilettengang wurden mir die Augen verbunden, ein Soldat setzte sich auf meinen Rücken und lenkte mich an
den Ohren.
Am 55. Tag der Folter verfaßte ich die handschriftliche Aussage, die sich in Ihren Unterlagen befindet
und die mir Zeile für Zeile diktiert wurde. Auf der Grundlage dieser Aussage hat mich
Staatsanwalt Yasar Degerli zum zweitenmal verhört. Ich kann mich nicht erinnern, was er dabei geschrieben und was er mich
gefragt hat. Doch ich verlange, daß er erklärt, in was für einem Zustand ich zu der Zeit
war...
Ich werde mich hier auch nicht über die Folterer
beschweren... Denn das Foltergerät und das Folterpersonal sind ein Teil des herrschenden Staatsapparats. Es gibt nur eine
Instanz, bei der ich Klage führen würde, und das ist die unerschöpfliche revolutionäre
Kraft unseres Volkes.
Eine andere Sache, dir mir in
Harbiye noch aufgefallen ist: Während ich dort an Armen und Beinen angekettet war, tauchte
einmal ein langer,
blonder Amerikaner an meiner Kopfseite auf, der von einem der Folterer Erläuterungen bekam...«
Tag und Nacht, ohne
Unterlaß wurde Ibo in den Folterzentren von Diyarbakir verhört. Gegen Morgen
wurde er aus der Folterkammer wieder zurück zu den Zellen in die Haftanstalt
gebracht, wie ein Stück Mist in seine Zelle
Nummer drei geworfen und festgebunden. Am nächsten Tag dann die gleiche
Prozedur.
Tage, Wochen dauerte das an.
In
seinem Körper, der immer stärker geschunden, getreten, gefesselt, durch Strom
erschüttert wurde, trug er sein Herz, das kein Ermüden, kein Beugen, kein
Unterwerfen kannte. Die Verhörer hatten sein
Fleisch und seine Knochen in den Händen, hatten sie in Ketten gelegt. Doch an sein Herz kamen sie nicht
heran. Ibos Bewußtsein ließ alle
verblüfft zurück, die ihn auf die Fußsohlen schlugen, an elektrische
Kabel banden, mit Eisenknüppeln prügelten.
Viele
der Gefangenen in den Zellen verfolgten die Fußschritte, die Gespräche und das
Gebrüll mit brennender Sorge, aber auch mit einem begeisterten Gefühl des
Stolzes, wenn Ibo wiedergebracht wurde.
Viele Soldaten, die mit dem Transport von Ibo
beauftragt waren und viele Wärter, die auf ihn aufpaßten, konnten ihre
Bewunderung nicht verheimlichen und erzählten flüsternd ihren Freunden davon.
In Wellen verbreiteten sich die Geschichten von Ibo, aus den Zellen erreichten
sie das Gefängnis; von dort erfuhren es die Besucher,
und weiter hallte es von Stadt zu Stadt. Es gab hohe Offiziere, die bis
zu Ibos Zelle kamen, um diesen jungen Mann mit dem eisernen Willen zu sehen.
Die
Angst, daß es ihnen nicht gelingen würde, Ibos Geheimnis mit Folter
aufzudecken, erfaßte die Vernehmenden, brachte sie in Panik und auf finstere
Gedanken.
Diesmal brachten sie nacheinander all die anderen
Gefangenen, die in den Folterkammern auf
gleiche Art ihre »Aussage gemacht« hatten, zur Gegenüberstellung mit Ibo. Sie wollten Ibo zeigen, daß sein »Schweigen keinen Sinn«
habe.
»Sie
haben schon alles zugegeben; streng dich nicht umsonst weiter an!« sagte der Staatsanwalt Yasar Degerli, wenn er zur Gegenüberstellung
zu Ibo kam.
Nach und nach brachte der Staatsanwalt 16 Personen zur
Gegenüberstellung. Über Ibos Lippen kam
kein einziger Hinweis, ob er sie
kannte. Und alle 16 Festgenommenen, die zur Gegenüberstellung kamen,
sahen mit größter Bewunderung den zürnenden Ibo, wie er sich aufrichtete und
sich ihnen entgegenstellte. Er widerstand.
Einige von ihnen waren im Moment
der Gegenüberstellung derart von Ibos Haltung beeindruckt, daß sie noch dort in
seiner Gegenwart die
Aussage bezüglich Ibo, die man von ihnen aufgenommen hatte, widerriefen. Das
brachte die Verhörer noch mehr in Panik. Es blieb nicht dabei, daß Ibo selber schwieg.
Sein Schweigen, seine unnachgiebige Haltung,
seine Unbeugsamkeit, seine unerschrockene
Hoffnung wirkte auch auf seine Umgebung.
Es wurde Mai...
»... Überall, wo du hingehst,
erzähl von dieser Folter,
erzähl von deinem Bruder,
der in dieser Hölle lebt.
Erzähl es den anderen Brüdern, genau
so.,.!«
P.Neruda
Im folgenden einige
Auszüge aus den Protokollen der Gegenüberstellungen,
diktiert vom Staatsanwalt Yasar Degerli:
»Der
Beschuldigte Ibrahim KAYPAKKAYA bestritt, im Bezirk Tunceli organisierte Arbeit gemacht zu
haben und dort über entsprechende Kontakte zu verfügen. Er behauptete, etwa 10
Tage vor dem Zusammenstoß, d. h. dem 24. Januar 1973, zum erstenmal nach Tunceli gekommen zu
sein. Um Gegenteiliges - d. h., eine schon frühere Beteiligung des Beschuldigten an
Aufklärungsarbeiten und Kaderbildung -nachzuweisen, wurde der Beschuldigte All YILDIZ, der
sich in seinen Aussagen auf den Beschuldigten bezieht, für eine notwendige
Gegenüberstellung aus dem Gefängnis
herbeigeholt. Zunächst wurde Ibrahim KAYPAKKAYA
in den Raum gebracht, dann All YILDIZ gerufen und
ohne Namen oder einen der Kodenamen zu nennen, wurde Ibrahim KAYPAKKAYA diesem gezeigt.
Daraufhin sagte erfolgendes aus: >Dies ist die Person, die ich
in meiner Aussage vom 11. Februar 1973 als >Hamza< bezeichnet habe. Er
hat im Bezirk Tunceli Aufklärungsarbeit geleistet und uns die Grundbegriffe des
Sozialismus gelehrt. Damals, also bei meiner ersten Vernehmung, hatten Sie mir
ein Foto von Ibrahim KAYPAKKAYA gezeigt. Besser gesagt, ich hatte gesagt, daß die Person auf dem Bild, das Sie
mir zeigten, >Hamza< sei. Und Sie hatten gesagt, daß das ein Kodename und sein wirklicher
Name Ibrahim KA YPAKKA YA sei. Ich kann das, was ich in meinem Verhör bezüglich der Kontakte dieser Person
sagte, wiederholen. Wie ich schon in meiner ersten
Aussage erklärte, gab Hamza mir einen Brief, der zu Ali gebracht
werden sollte. Um den Brief an ihn heranzutragen, sollte ich nach Siverek
fahren und dort den Büchsenmacher Abdurrahman KES-KIN aufsuchen. Ergab mir die
Anweisung, diese Person mit der Parole >Hast du den Gaskocher
fertig?< anzusprechen. Meine diesbezüglichen Erklärungen kann ich auch wiederholen. Auch wenn ich,
bevor ich hierherkam, unter Druck gesetzt
wurde, beeinflußt das nicht meine Aussage
oder veranlaßt mich nicht zu Falschaussagen.<
Wiederholt wurde Ali YILDIZ
gefragt, ob seine Erklärungen bezüglich Hamza (Ibrahim KA YPAKKA YA) unter Druck oder
infolge von Druck abgegeben wurden, und ob
er unter Gewaltanwendung unwahre
Sachen hinzugefügt habe. Er entgegnete folgendermaßen:
>Auf verschiedene Arten wurde
ich vorher schon schlecht behandelt. Nur in meinen Erklärungen
bezüglich Hamza habe ich nichts gesagt, was nicht vorgefallen oder unwahr wäre. Davon kann
nicht die Rede sein. Ich kann meine alte
Aussage im gleichen Sinne wiederholen^ Ibrahim KAYPAKKAYA wurde zur
Sache befragt. Er sagte aus: > Wie schon
vorher gesagt, war ich nie in Tunceli. Ich habe in diesem Gebiet nicht
organisiert gearbeitet.
Ich kenne Ali YILDIZ nicht. Ich denke, daß er unter Druck gesetzt wurde und so
Aussagen über mich gemacht hat.
Ich habe keinerlei Kontakt zu Ali
YILDIZ gepflegt. Ich habe den Kodenamen >Hamza< nicht benutzt
Nochmals wurde
Ali YILDIZ befragt.
Dieser gab
folgendes an: >Hamza ist die mir gezeigte, hier mir gegenübergestellte Person, deren Personenbeschreibung
ich schon abgegeben habe. Seinen wirklichen Namen kannte ich nicht, bis ich
hierher kam.
Als Sie mir
sein Bild zeigten und ich ihn daraufhin >Hamza< nannte, sagten Sie, daß es sich um Ibrahim KAYPAKKAYA handele. Auch
jetzt sagen Sie, daß er Ibrahim KAYPAKKAYA sei.< Ali YILDIZ bestand auf
seiner früheren Aussage. So wurde die
Gegenüberstellung, bei der der Leiter des Gefängnisses der
Ausnahmezustandsverwaltung, Pyb. * Ahmet
BALDO-GAN und der im Gefängnis angestellte Top. Yd. Atgm.'" Mevlut KA-RAASLAN, die den Angeklagten gebracht hatten,
anwesend waren, für beendet erklärt
und durch die Anwesenden gemeinsam unterschrieben.
24. 4. 1973«
»Da es zu Widersprüchlichkeiten
der Erklärung des Beschuldigten Ibrahim KAYPAKKAYA bezüglich seiner Aktivitäten für die
Organisation im Bezirk
Istanbul und den Aussagen des Beschuldigten Seyithan DOKAY gekommen
ist, wurde zur Klärung dieser Widerspruche und zur eindeutigen Klärung, ob es
sich bei der Person mit dem Kodenamen >Musa< um Ibrahim KA YPAKKA
YA handelt oder nicht, der Angeklagte Seyithan DOKA Y vorgeführt.
Ihm wurde Ibrahim KAYPAKKAYA vorgeführt, ohne daß man dessen Namen nannte. Der
Angeklagte Seyithan DOKAY sagte folgendes aus:
>Ich habe in meiner Aussage
vom 3. 2. 1973 den Namen Musa erwähnt und habe ausgesagt, daß die Person, mit der ich
in Istanbul zusammentraf und von der ich die Fotokopien des >Safak revizyonizmin tezleri< * bekam,
>Musa< war. Die hier mir gegenübergestellte Person ist Musa. Daß der richtige Name
Ibrahim KAYPAKKAYA ist, habe ich erst hier
erfahren. Auch wenn ich die Person bei der Gegenüberstellung bei MIT als >Musa< bezeichnet habe, lag das
an meinem seelischen Zustand; ich hätte jeden, den sie mir gezeigt hätten, als
>Musa< bezeichnet. Diesmal aber
erkläre ich ohne Zweifel: Die Person, die ich in meiner Aussage als >Musa< bezeichnet habe, und mit
der ich in einem Organisationszusammenhang
stand, ist die mir gezeigte, von mir >Musa< und von Ihnen Ibrahim
KAYPAKKAYA genannte. Darüber gibt es kein Versehen
und keinen Zweifel.<
Seyithan DOKA Y wird an seine Aussage erinnert, daß
Hamza OGUZER ihm gesagt hätte, daß KA
YPAKKA YA ihn zu sich bestellte (Musa
ihn zu sich bestellte).
Seyithan DOKA Y antwortete
darauf, daß er aus diesem Grund auch nach Istanbul gekommen sei.
Der Beschuldigte Hamza OGUZER war
zwecks einer gemeinsamen Erklärung bei der Gegenüberstellung anwesend. Auch
seine Aussage wurde aufgenommen:
>Ja, ich bestätige, daß
>Musa<, also Ibrahim KAYPAKKAYA Seyithan DOKA Y nach Istanbul rufen ließ. Er erzählte mir
davon, und sagte, da ich ja in die Gegend
Diyarbakir fahre, solle ich an Siverek vorbeifahren,
um Seyithan über den Schneider Bekir EROK aufzusuchen.
Er sollte dann zu ihm kommen und
ihn über den Cafebesitzer Dur-sun finden. Ich fuhr nach Siverek und sagte Seyithan:
>Musa ruft dich nach Istanbuls Meine diesbezügliche vorherige Aussage
entspricht der Wahrheit.*
Auch der Angeklagte Ibrahim
KAYPAKKAYA wurde gefragt.
Er sagte aus:
>Ich kenne diese Person nicht, ich habe den Kodenamen >Musa< nicht
benutzt. Diese Freunde sind lange Zeit gefoltert worden, darum sagen sie
so aus.<
Die Angeklagten Seyithan DOKAY und Hamza OGUZER wurden nochmals befragt, ob sie unter der Wirkung von
Folter, wie seitens des Angeklagten Ibrahim KAYPAKKAYA behauptet, diese
Aussage über Ibrahim KAYPAKKAYA (Musa)
gemacht hätten. Seyithan DOKAY
machte folgende Aussage:
>Ich mache diese Aussage über
>Musa< nicht unter der Wirkung einer vorausgegangenen schlechten
Behandlung. Ich sage es, weil wirklich der hier Anwesende die Person ist, die
mir ah >Musa< bekannt ist. Ich mache diese Aussage unter Einfluß
von niemandem; vielmehr will ich die Wahrheit aufzeigen. Ich kann
meine frühere Aussage wiederholen^ Der Angeklagte Hamza OGUZER sagte das
gleiche aus.
Die Gegenüberstellung wurde somit
in Gegenwart des Direktors des Gefängnisses des Ausnahmezustands, P. Yb. Ahmet
BALDOGAN und des
Angestellten des Gefängnisses Top. Atgm. Mevlüt KARAASLAN beendet und das Protokoll unterschrieben,
(gemeinsam)
24. 4. 1973«
»... Aufgrund
von Ibrahim KAYPAKKAYAS Aussagen, die den in Istanbul
zusammengetragenen Beweisen bezogen auf die Kontakte zur Organisation
widersprechen, wurde Hamza OGUZER vorgeladen, der
in seiner Aussage von den Kodenamen >Ahmet< und >Musa< des Ibrahim
KA YPAKKA YA gesprochen hat. Ohne den Namen des schon vorher bestellten
Ibrahim KAYPAKKAYA zu nennen, wurde dieser Hamza
OGUZER vorgeführt. Daraufhin sagte dieser: >Die Person mit den Kodenamen >Ahmet< und >Musa<, die
ich in meiner Aussage vom 2. Februar erwähnte, ist die mir hier gegenübergestellte
Person.
Erst nachdem
ich Kontakte hatte mit dieser Person, habe ich mitbekommen, daß ihr Name Ibrahim
KAYPAKKAYA ist.
Entsprechend habe ich ihn auch auf dem mir von Ihnen gezeigten
Foto identifiziert. Ich kenne diese
Person unter den Kodenamen, die sie während der Arbeit in der Organisation in Istanbul benutzte:
>Ahmet< und >Musa<. Ich kann
meine Aussage bezüglich des Beschuldigten und die Zusammenhänge, über die ich Auskunft gab, im gleichen
Sinne wiederholen^ Der Angeklagte
Ibrahim KAYPAKKAYA entgegnete daraufhin: >Ich kenne den Freund, dem ich hier gegenübergestellt wurde, nicht.
Ich habe bei
keinerlei organisatorischen Zusammenhängen mit ihm Kontakt gehabt. Und die Namen >Musa< und >Ahmet< habe ich
nie benutzt^
Hamza OGUZER wurde nochmals
gefragt. Er antwortete: >Ich habe den
hier befindlichen Ibrahim KAYPAKKAYA unter den Kodenamen >Musa< und >Ahmet< in Istanbul innerhalb der
Organisationsarbeit kennengelernt. Darüber gibt es keinen Zweifel und
kein Versehen.<
Er erklärte, daß er nichts
weiteres hinzuzufügen hätte, und die Gegenüberstellung wurde in
Anwesenheit des Gefängnisdirektors P. Yb. Ahmet BALDOÖAN und des im Gefängnis angestellten Top.
Atgm. Mevlüt KARAASLAN beendet erklärt
und durch Unterschrift bestätigt.
24. 4. 1973«
»... Entgegen den Aussagen der anderen Angeklagten, die schon vorher ihre Aussagen bezüglich der
Kontakte von Ibrahim KAYPAKKAYA zu der
Organisation und seiner diesbezüglichen Arbeit im Bezirk Tun-celi machten, gab dieser eine anderslautende
Aussage ab. Er bestritt, im Bezirk Tunceli organisiert gearbeitet zu
haben, sagte, daß er nicht >Hamza<
sei.
Deswegen wurde der Beschuldigte Hayrettin IPEK vorgeführt, der
sich in seiner Aussage auf den Beschuldigten, besser gesagt auf >Hamza< bezog. Ohne den
Namen des vorgeführten Ibrahim KAYPAKKAYA zu erwähnen, wurde dieser Hayrettin
IPEK gezeigt. Der Beschuldigte Hayrettin
IPEK sagte daraufhin aus:
>Ich kann überhaupt keine
Ähnlichkeit zwischen dieser hier befindlichen Person und dem >Hamza<
feststellen, den ich in meiner Aussage erwähnte. Seine Augen ähneln denen
von >Hamza<; ansonsten kann ich keine große Ähnlichkeit feststellen.
Besser gesagt, ich kann es nicht mit völliger Bestimmtheit sagen.< Auf diese
widersprüchliche Aussage hin wurde der Beschuldigte aufgefordert, sich noch einmal
den Beschuldigten Ibrahim KA
YPAKKA YA genauer anzuschauen, und ihm wurde eine
Bedenkzeit eingeräumt. Danach erklärte Hayrettin IPEK:
»Die Person,
die ich vorher >Hamza< nannte, ist diese. Ich bin jetzt völlig sicher.
< Weitersagte er aus: >Das, was ich in meiner Aussage vom 12. 2. 1973
bezüglich >Hamza< erklärte, bezieht sich auf die hier befindliche
Person.<
Dem Beschuldigten Ibrahim
KAYPAKKAYA wurde die Möglichkeit gegeben, dazu Stellung zu nehmen: >Ich bin
vorher nie in Tunceli gewesen. Ich habe keine Aufklärungsarbeit gemacht.
Diesbezüglich kann ich nur
meine alte Aussage wiederholen.' Weiter sagte er aus: >Aus diesem Grunde kenne ich diese hier befindliche Person nicht.<
Nochmals wurde
der Beschuldigte Hayrettin IPEK befragt; er sagte aus:
>Die
Person, die ich in meiner vorliegenden Aussage >Hamza< nannte, und deren
Kontakte ich beschrieb, ist die hier befindliche Person. Sie haben sie mir
schon vorher gezeigt, auch da habe ich sie als >Hamza< wiedererkannt.
<
Weiter sagte er: >Nur jetzt
hat sich >Hamzas< Stimme etwas veränderte
Der Beschuldigte sagte, daß er nichts hinzuzufügen
hätte, und so wurden in Anwesenheit des
Gefängnisdirektors P. Yb. Ahmet BALDO-GAN
und des Angestellten Top. Atgm. Mevlüt KARAASLAN die Erklärungen festgehalten und durch Unterschrift
bestätigt.
24. 4. 1973«
So bekamen sie auch
in den Gegenüberstellungen nicht die gewünschte
Aussage von Ibo. Später, während der Gerichtsverhandlung, erzählten die
Festgenommenen, die zur Gegenüberstellung herangeschleppt
worden waren, von ihren Gefühlen in jenen Tagen und von den Dingen,
deren Zeugen sie wurden, und sie erklärten vor Gericht in Anwesenheit des
Staatsanwalts Yasar Degerli, wie und mit
welchen Methoden man sie dazu gezwungen hatte, gegen Ibo auszusagen.
»... Seite an Seite,
hochgewachsen
Blut von Kopf bis Fuß
Helden sind sie,
ein jeder von ihnen ein Stück
Heimat
in ihren Augen
ein Wirbelsturm von Flüchen
ana avrat
ah-ulan...«
A.Arif
Tag für Tag, vom
ersten Verhörtag an bis Anfang Mai, befaßte sich der Staatsanwalt
Yasar Degerli mit Ibo, fragte und fragte... Bekam keine Antwort,
fragte und fragte... erfolglos. Ibo wurde in seine Zelle Nr. 3
gebracht und wieder abgeholt, gebracht und abgeholt...
Er gab nichts preis, brach zusammen, stand wieder auf... Beugte sich nicht... Von Anfang März bis Anfang Mai...
Die Verhörer fragten
immer wieder das gleiche, und Ibo gab ihnen immer wieder die
gleiche Antwort. Seine Haltung vom Anfang hielt er bis zum Ende
durch. Kein Name, keine mit anderen gemeinsam durchgeführte
Aktion; und kein In-die-Knie-Gehen vor den Anschuldigungen...
Die
einzige Aussage von Ibo, die in den Gerichtsunterlagen ist, erzählt,
wie sich seine Gedanken entwickelt haben. Er stellt Lösungen
vor, die er sich für sein Land, für die Menschen seines Landes, für
sein Volk vorstellt, legt die Methoden des Kampfes offen, die seiner
Meinung nach befolgt werden sollten und beendet seine Worte
folgendermaßen:
»Ich habe das, was ich
bis hierher erzählt habe, fiir die Gedanken des Marxismus-Leninismus getan. Ich
verspüre nicht die geringste Reue. Ich habe bei allem, was ich getan habe,
die möglichen Konsequenzen mit-einberechnet und gekämpft, auch wenn ich
damit mein Leben riskierte.
Schließlich bin ich
gefangengenommen worden. Ich verspüre nicht die geringste Reue... (21. April 1973)«
Diese Haltung Ibos
vesetzte alle, die seit dem 12. März Tausende von
Menschen ins Verhör genommen hatten, die die Aussagen von Tausenden Menschen aufgenommen hatten, in
Erstaunen. Ibo war eine der »harten
Nüsse« unter den unzähligen Menschen, die ihnen in die Hände gefallen
waren.
Je
länger Ibo schwieg, desto mehr redete man über ihn. In den Gemeinschaftszellen der Gefängnisse, auf der
Straße, im Cafe, im Bus, im Dorf... Worte über Hoffnung und Widerstand
tauchten überall auf und breiteten sich
aus.
Sollten sie, die so viele Menschen ins Verhör nahmen,
bei Ibo eine Niederlage einstecken? Sollten sie, die so viele
Menschen ins Verhör nahmen, eines Tages Ibo
vor Gericht zuhören müssen? Vor allem:
Wenn einer hier derart schwieg:.... Wer weiß, was er nachher dort alles sagt?
Es
war schon fast Mai. Das Wetter hatte begonnen, sich zu erwärmen; nur im Morgengrauen, in den nebligen
Stunden, hielt die Kühle sich noch.
Und wenn es Abend wurde und die Sonne unterging, dann kroch die Kälte
empor. Die kühle Luft, die der Regen von
der Erde hob, kroch mit den aufkommenden Winden, die den Schnee von den Bergen leckten, heran und drang
über Türschwellen, durch Schlüssellöcher, unter Mauern hindurch bis in Ibos
Zelle hinein und füllte seine
Lungen.
Aus
irgendeinem Grund kam seit ein paar Tagen niemand, um ihn aus der Zelle zu holen
und wegzubringen. Von einer Mahlzeit zur
nächsten kamen sie, öffneten seine Tür, gaben ihm seine Schüssel zum Essen, schlössen wieder ab und gingen.
Er
hatte nach einem Heft und einem Stift gefragt; auch das war gekommen.
10 bis 15 Tage dauerte das so an.
Es
sprach sich herum, daß der Staatsanwalt Yasar Degerli aus Diyarbakir in die »Großstadt« gefahren war.
Die beiden
letzten Tage des April und die ersten Tage des Mai verliefen
also ohne Folter, ohne Verhör, ohne Fragen. Ibo lebte ein wenig auf. Er kam zu
Atem. »Die Vernehmungen sind wohl
abgeschlossen«, dachte er sich.
In seiner Kladde machte er sich
Notizen, begann erste Entwürfe für seine Verteidigungsrede.
Er notierte sich, welche Bücher
er für seine Verteidigung lesen mußte und welche Gerichtsunterlagen er anfordern
wollte, notierte die Liste der Anschuldigungen ihm gegenüber und die Punkte,
auf die er sich in seiner Verteidigung besonders stützen wollte.
Er plante eine lange politische
Verteidigungsrede vor Gericht. Allein schon die Notizen für den Entwurf füllten viele
Seiten seines Heftes.
Ungeduldig wartete er auf den
Tag, an dem er aus seiner Zelle ins Gefängnis zu seinen Freunden gebracht werden
würde.
Seit Monaten war er ohne
Nachrichten. Zum einen war es dies, was ihn neugierig machte, zum anderen fragte er sich,
ob man ihm wohl diese Liste der Dinge für
seine Verteidigung lassen würde.
Das Formblatt auf dem Deckel
seines »Kladde«-Heftes hatte er
folgendermaßen
ausgefüllt:
Schule:Diyarbakir
Vorname, Name: Ibrahim
Kaypakkaya,
Untersuchungsgefängnis der Ausnahmezustandsverwaltung.
Gleich auf der ersten Seite
begannen die Notizen des »Verteidigungsentwurfes«.
Seitenlang zogen sich diese Notizen hin. Ibo schrieb
ohne Unterlaß in diesen Tagen.
Auf einer Seite, die er mit »vor dem 9. Mai« datiert
hatte, war unter dem Titel »Was ich von meinem Vater erfragen muß« eine Liste
aufgestellt und einiges bezüglich seiner früheren Verfahren notiert.
Er schrieb hier für seinen Vater
auf, von wem dieser die Informationen
einholen konnte. Unter einige dieser Notizen setzte er den Namen Salman Kaya, einer der ersten Namen, die einem einfielen, wenn man an den »Revolutionären Kampf in
der Capa-Leh-rerschule« dachte.
Unter anderen Notizen wiederum standen Namen wie Mustafa Coban und Halft
Kocer; unter wiederum anderen waren die Anwälte Alp Kuran und Ibrahim
Türk aufgeführt.
Nun legte er seine ganze Kraft in diesen
»Verteidigungsentwurf«. Die
Vorbereitungsarbeiten vertieften seine Gedanken, und ab und zu schrieb er Gedichte. Eines der Gedichte,
die er in diesen Tagen schrieb,
lautete:
»IMMER WERDEN WELCHE FÜR DIE REVOLUTION STERBEN
... sie gehen... gehen dahin, was
sind nicht schon für Helden dahingegangen
Wenn auch du einen Sohn darunter hast, ist es nicht
viel Ey blauer Himmel!
Ey dunkel
glänzender Ort! Du sollst wissen, unser Herz ist dem Zerspringen nahe
Durch Hammer und Amboß sind wir gegangen unser Zorn wächst wie das
unendliche Meer.
Und auf eine andere Seite schrieb
Ibo diesen Vierzeiler:
»Wir bauen das Erz ab und auch die Kohle, amman'''
Wir säen den Weizen und auch den Reis, amman
Wir sind die Schwerter, aus denen unser Blut auf den
Faschismus
fließt
Es kommt der Tag, da leben wir
unsere Wut, amman.«
»... Verborgen in meinem Herzen
warst du ein Herz,
nicht Blut, doch unsere Liebe
floß in die Nacht
Je mehr der Henker
die Schlinge zuzog...
Zu fühlen
In deinen
Augen zufiihlen den Galgen
Zu schweigen
In deinen Augen zu schweigen
wie ein Rasiermesser...
Deine Augen?«
A.Arif
Tage, Wochen, Monate waren vergangen. Aber Ali
Kaypakkaya hatte keinen Laut aus dem Mund seines Sohnes
vernommen, kein Wort aus der Feder seines Sohnes gelesen. Von außen drang nur Flüstern, das von Ohr zu Ohr ging. »Der ist
verloren«, sagte der eine. »Der wird gehängt«, ein anderer, und
»Hauptsache, er kommt aus der Einzelzelle;
der Rest ist nicht mehr so schlimm«, ein dritter... Der einzige Wunsch, den
Ali Kaypakkaya hatte, war, Ibo ein einziges Mal, und sei es auch nur von
weitem, zu sehen. Ach, es würde ihm auch
genügen, wenn er nur einmal seine Stimme hören oder zumindest einen
Brief von ihm bekommen würde. So wurde sich seine Hoffnung festigen, und er
würde ruhiger sein. Ibo hatte zu dieser
Zeit einen Brief an seinen Vater geschrieben. Ali Kaypakkaya hatte diesen Brief nicht bekommen.
Ibo, der dies miteinberechnet hatte,
schrieb einen zweiten Brief an seinen Vater, der folgendermaßen lautete:
»Mein wertvoller Vater,
vielleicht
habt Ihr davon gehört. Am 24. Januar bin ich in Tunceli
von der Gendarmerie verletzt worden. Fiinf Tage später bin ichfestgenommen worden... Jetzt bin ich im Untersuchungsgefängnis in Diyarbakir. Die Schußwunden sind vollkommen geheilt.
Ihr dürft Euch auf keinen Fall Sorgen machen... Auch die
Nachbarn, Freunde und Verwandten sollen sich nicht sorgen.
Wir haben uns seit langer Zeit nicht mehr sehen können.
Ich weiß gar nicht, was bei Euch so passiert ist in dieser Zeit. Seid Ihr jetzt
bewußte Arbeiter geworden? Wie läuft, die Schule für die Kinder, und in
welcher Schule sind sie? Wie geht es meiner Mutter und meiner Amme? Wenn Ihr
mir von ihnen schreiben könntet, würde ich mich freuen.
Ich hatte Euch schon einmal einen Brief geschrieben. Doch
in meiner Zerstreutheit habe ich ihn wohl falsch adressiert. Ihr habt ihn
sicher nicht bekommen. In dem Brief hatte ich einige Wünsche aufgeschrieben.
Ich falle damit Eurem allemal schon sehr kleinen
Geldbeutel zur Last, entschuldigt. Ich habe überhaupt keine anständige Kleidung
mehr. Ich möchte, daß Ihr mir Unterwäsche, ein Hemd, eine Jacke, Hosen und
Schuhe schickt. Es wäre noch besser, wenn Ihr mir das Geld für die Jacke, die
Hosen und die Schuhe zusendet. Außerdem wäre ich sehr froh, wenn Ihr mir eine
Uhr und etwas Geld, soweit es geht, zukommen lassen würdet. Es ist wirklich
schlecht ohne Uhr.
Ich grüße Euch und küsse Euch die Hände. Allen Kindern
küsse ich einzeln die Augen.
Versucht ja nicht, hierherzukommen. Es ist unmöglich, daß
wir uns sehen. Wenn Ihr etwas schickt, so schickt es mit der Post. Und wie schon
gesagt, sorgt Euch nicht um mich. Und seid nicht traurig. Was passiert ist, ist
völlig unwichtig.
Euer Sohn Ibrahim Kaypakkaya
«Dies war der erste Brief, den Ali
Kaypakkaya von Ibo erhielt. Der Brief ließ einen großen Stein von seinem Herzen
fallen. Wieder und wieder las er, was sein Sohn geschrieben hatte und schaute
sich den Brief an. Je öfter er ihn las, desto größer wurde seine Aufregung.
Schließlich machte er sich auf zum Markt. Alles Geld, was er hatte,
kratzte er zusammen und kaufte einen Anzug, zwei Paar Strümpfe, eine
Armbanduhr, ein Hemd und Unterwäsche.
Dann dachte er lange nach und entschied endlich, die
Sachen persönlich nach Diyarbakir zu bringen. Ibo hatte zwar gesagt »kommt
nicht; schickt die Sachen mit der Post«, doch Ali Kaypakkaya wollte trotzdem
der Hoffnung eine offene Tür lassen.
Im Bus nach Diyarbakir bekam er aus dem Gespräch zweier
Zivilisten in der Sitzreihe hinter ihm mit, daß sie Offizielle waren und als
Beauftragte des Ausnahmezustands nach Diyarbakir reisten.
Er drehte sich zu ihnen um und erzählte, daß auch er auf
dem Weg zur Ausnahmezustandsverwaltung in Diyarbakir sei. Er hoffte, daß sich
vielleicht eine Bekanntschaft auf der Reise entwickeln würde und sie ihm dabei
helfen könnten, seinen Sohn zu sehen.
Doch in dem Moment, als der Name »Ibrahim Kaypakkaya«
fiel, wurde der eine von ihnen, ein mittelgroßer bis großer, dunkler, kräftiger
Mann wütend und fuhr Ali Kaypakkaya an: „Ibrahim wirst du nicht in die Hände
bekommen!"
Daraufhin fragte Ali Kaypakkaya diesen Mann, dessen Name,
wie er im Laufe des Gesprächs herausgefunden hatte, Fehmi war: »Warum, mein
Herr? Wird er zum Tode verurteilt?« Doch »Fehmi« schnitt ihm das Wort ab:
»Frag mich nicht weiter, dräng dich nicht weiter auf, dreh dich nach vorne.
Ibrahim kriegst du nicht lebend in die Hände. Das war's!«
Die mit Nachdruck gesprochenen Worte dieses dunklen,
mittelgroßen, kräftigen Mannes, der bei der Ausnahmezustandsverwaltung
beschäftigt war, und der »Fehmi« hieß, hatten Ali Kaypakkaya verärgert. Doch
er wußte, daß er seinen Sohn nicht würde sehen können, wenn er sich weiter mit
den Männern einließ und hielt sich zurück.
Nach der Ankunft in Diyarbakir ging Ali Kaypakkaya geradewegs
zur Ausnahmezustandskommendantur. Und an der gleichen Stelle wie schon einmal
erzählte ihm der Oberstleutnant, über den er erfuhr, daß er »Ahmet« hieß, daß
»die Vernehmungen noch nicht abgeschlossen« seien. »Es ist unmöglich, daß Sie
ihn sehen!«
An der Stelle, wo er sich um die Besuchserlaubnis
bemühte, waren ein Oberleutnant mit Namen Ali, ein weiterer Oberleutnant aus
Kerkük und ein Leutnant namens Mevlüt tätig, der an der Theologischen Fakultät
studiert hatte. Dieser Mevlüt verstand aus Ali Kaypakkayas Worten, daß er
Alevit* war und begann urplötzlich, ihn zu beschimpfen und zu verfluchen:
»Euren Ali* macht ihr zu Allah; alles Böse kommt aus euren Köpfen...!«
»Mein Sohn trennt die Menschen nicht nach ihr und wir;
das ist kein Kampf von Sekten...«, sagte Ali Kaypakkaya zwar noch, doch der
Leutnant mit Namen Mevlüt fuhr fort, ihn zu beschimpfen.
Schließlich stand der
Oberleutnant mit Namen Ali auf und forderte Ali Kaypakkaya auf zu schweigen.
»Wenn eine Schlägerei beginnt, halte ich mich raus«, sagte er, um den Streit
zu beenden.
»Wer bin ich schon«, beendete
Ali Kaypakkaya seine Worte, »nichts weiter als der Vater eines Angeklagten.
Schreit ruhig...« Dann reichte er ihnen die Sachen, die er für seinen Sohn
mitgebracht hatte, damit sie sie ihm gaben.
Die Uniformierten nahmen die
Sachen nicht an. »Wir könnten ihm so nichts geben; schickt es mit der Post!«
sagten sie. »Wenn du willst, schreib ihm eine kurze Mitteilung; die können wir
ihm zukommen lassen.«
Ali Kaypakkaya holte ein Stück
Papier heraus und begann, etwas für seinen Sohn zu schreiben. Die anderen lasen
mit.
»Mein Sohn«, schrieb er. »Es
gab einmal einen großen Krach zwischen uns. Jetzt bist du hier. Da Deine Ideale
Dich hierhergebracht haben, darfst du nicht traurig sein...«
An dieser Stelle unterbrachen
sie ihn. »So was kannst Du nicht schreiben; Du machst ihm Mut, Mut machen ist
verboten«, sagten sie. »Schreib was wie >Deiner Mutter geht es gut; mir geht
es gut; leider war es nicht möglich, daß wir uns sehen !<« Da schrieb er irgend
etwas hin und gab es ihnen.
Anschließend fragten sie Ali
Kaypakkaya, in welchem Hotel er übernachten würde. »Ich bleib' nicht in
Diyarbakir«, gab er zur Antwort und entfernte sich. Und als er hinausfuhr in
die Stadt wurde er traurig.
»Wenn ich jetzt gesagt hätte,
ich bleibe noch heute Nacht, ob das nicht besser gewesen wäre? Vielleicht hätte
irgendein vernünftiger Mensch einen Brief von ihm gebracht; haben sie deshalb
danach gefragt? Oder wollten sie mich in eine Falle locken und festnehmen...?«
Während der ganzen Reise nagten diese Gedanken in ihm.
Die Sachen für Ibo gab er erst
am Tag nach seiner Rückkehr bei der Post auf. Auch einen Brief schickte er an
Ibo.
»,.. Ich frage: was suchen sie
wenn ein Mensch an einen
Balken gefesselt und gepeitscht,
sein Gehirn zerfetzt wird, und
Fäuste über Fäuste über Fäuste
und aus seiner mit gestoßenem
Glas gefüllten Kehle
siech die Worte klagend ergießen
was interessierten den Mörder
die beklagten, doch ungebrochenen Dinge...«
N. Bebram
In der Nacht vom Freitag, dem
27. April 1973, zum Samstag wurden in das Untersuchungsgefängnis der Ausnahmezustandsverwaltung
Diyarbakir, wo Ibo einsaß, einige weitere Festgenommene gebracht. Jeder von
ihnen wurde in eine Einzelzelle in dem Zelleneingang eingeschlossen, wo Ibo in
der Zelle Nummer 3 eingekerkert war.
Ibo horchte in seiner Zelle
aufmerksam auf die Geräusche.
In den langen Monaten, die er
schon in diesem handflächengroßen Loch einsaß, hatte er gelernt, Geräusche von
außen zu deuten.
Einer der neu gekommenen
Gefangenen erbat sich von dem Offiziersanwärter, der ihn in die Zelle gebracht
hatte, eine Zigarette. Ibo erkannte ihn sofort an der Stimme. Diese Stimme war
für ihn in dieser Umgebung mitten in der Nacht wie ein Freundschaftsgruß.
Einige Zeit später, als die
Wärter die mit der Einweisung verbundenen Arbeiten erledigt hatten, begann er,
aus seiner Zelle heraus die »Internationale« zu singen. Wieder einige Zeit
später stimmte er den »Mustafa Suphi-Marsch«* an.
Er wollte den Freunden, die
neu in die Zelle gebracht worden waren, und die jeden Moment zur Folter
geschleppt werden konnten, Mut machen; gleichzeitig sollte dies eine Nachricht
sein, daß er hier und gesund war.
Keiner der Gefangenen in den
Zellen konnte schlafen. Sie dachten an Ibo; Ibo dachte an sie.
Lange nach Mitternacht rief
Ibo: »Woher seid ihr gekommen? Wer seid ihr«
Die Neuangekommenen ließen
Ibos Fragen unbeantwortet. Da sie noch nicht verhört worden waren, fanden sie
es nicht klug, Ibo ihre Namen zu nennen. Ibo verstand, drängte sie nicht weiter
und begann wieder einen Masch zu singen, um ihnen Mut zu machen.
Dann kamen die Wärter und
brachten Ibo zum Schweigen.
Die neuen Gefangenen in den
anderen Zellen, Hasan Zengin Kaya Bozoklar, Celal Bozath, Mehmet Altinbas,
Hamza Kilinc, Vakkas Yagsu und Celal Deniz* wurden von den Wärtern davor
gewarnt, auch nur »den geringsten Mucks von sich zu geben«.
Am nächsten Morgen, dem 28.
April 1973, wurden um 8.00 Uhr die Türen aller Zellen geöffnet - bis auf Ibos
Zelle. Die Gefangenen wurden aufgefordert, zu sagen, was sie brauchten. Dann
schnitt man ihnen die Haare kurz und machte Fotos von ihnen. Wieder wurden sie
in ihre Zellen gesteckt, die Türen wurden geschlossen, und ihnen wurde
eingeschärft, auf keinen Fall durch die Gucklöcher zu schauen.
Dann öffnete man Ibos
Zellentür und reichte ihm das Essen hinein.
Gegen Mittag holten sie wieder
die anderen Gefangenen nach und nach für den Toilettengang heraus.
Hasan war auf dem Rückweg von
der Toilette etwas zurückgeblieben und hatte durch das Guckloch der Zelle Nr.
3 hineingeschaut. Ibo war an seine Pritsche angebunden und schaute ebenfalls
auf das Guckloch. Ihre Blicke trafen sich. Ibo trug einen Pyjama und ein
graues, zerrissenes Jacket über den Schultern.
Die anderen machten es Hasan
nach, und der Reihe nach konnte jeder der Gefangenen einen Blick auf Ibo
werfen und ihm in die Augen schauen.
Gegen 16.30 Uhr des gleichen
Tages riefen die Wärter den neuen Gefangenen zu: »Macht euch bereit; ihr
geht!« Es war Zeit für ihren »Abtransport«.
Als Ibo die Rufe hörte, begann
er mit lauter Stimme aus seiner Zelle heraus zu rufen: »Freunde! Sagt kein
Wort! Bleibt Herren eures Willens! Wenn nötig, sagt nicht einmal den Namen
eurer Mütter. Sie bringen euch zur Folter; zeigt den Faschisten die Entschlossenheit
von Revolutionären!«
Sie stürzten in Ibos Zelle und
brachten ihn zum Schweigen.
Noch auf dem Weg klang den
Abtransportierten Ibos Stimme in den Ohren.
Sie verließen den Hof eines
L-förmigen Gebäudes und durchquerten einen Garten, der mit Kieselsteinen
geschmückt war. Die Augenbinde eines Gefangenen saß etwas locker, und so konnte
er erkennen, was um ihn herum geschah.
Zwei bis drei Minuten ließ man
sie gehen. Dann war ein Schild zu sehen: »Ziya-Gökalp-Straße«. Hier war das
Folterhaus.
Einer der Gefangenen bekam ein
paar Gesprächsfetzen mit.
»Yasar Bey ist nach Istanbul
gefahren. Er wird dort wohl einige Termine wegen Ibrahim haben...«, sagte
jemand. Und eine andere Stimme fuhr fort: »Sollen wir uns denn ewig mit dem
beschäftigen? Wenn er nicht redet, muß er halt weg...«
Einen Teil der Gefangenen
verlegte man nach der Folter und dem Verhör am 1. Mai aus dem Folterhaus in das
große Untersuchungsgefängnis. Dort erzählten sie ihren Freunden, was sie in
dem Zellengang gesehen hatten, berichteten von Ibo und den Märschen, die er
gesungen hatte. Sie sagten, er hätte einen gutgelaunten und gesunden Eindruck
auf sie gemacht.
Alle, die wegen der gleichen
Sache wie Ibo in Untersuchungshaft saßen, dachten in diesen Tagen nur an ihn.
Fast alle, die wegen dieses Prozesses in Untersuchungshaft saßen, waren durch
diese Zellen und die Folter gegangen und dann in das Untersuchungsgefängnis
gebracht worden. Nur Ibo ließen sie nicht aus dem Loch heraus, in das sie ihn
gesteckt hatten, zeigten niemandem sein Gesicht und brachten ihn nicht in das
Untersuchungsgefängnis.
Ibos Freunde im
Untersuchungsgefängnis wandten sich immer wieder an die Gefängnisleitung und
erkundigten sich nach ihm. Doch ihre Fragen blieben unbeantwortet.
Einer der Wärter, die im
Korridor des Zellenganges Wache hielten, hieß »PAS. A«. Er stammte aus der
Sippe der Cakallar im Kreis Besni von Adiyaman und wohlte im Stadtteil
Türktepe. Der Name eines anderen Wärters lautete Hüseyin Aksoy. Er wohnte im
Dorf Elbahan bei der Kreisstadt Kilis von Gaziantep und war Unteroffizier.
Ibo
schrieb in diesen Tagen ununterbrochen Sachen in seine karierte Kladde.
Seitdem die Folter aufgehört
hatte, war er ständig mit Überlegungen und Notizen beschäftigt.
An so einem Tag gaben sie ihm
einen Brief von seinem Vater. Sein Vater hatte folgendes geschrieben:
»Mein lieber Sohn! Ich grüße Dich und küsse Dir mit all
meiner Liebe die Augen und wünsche Dir mit Hilfe des allmächtigen Allah viel
Gesundheit.
Ich habe den Brief bekommen, den du an die Adresse der
Fabrik geschickt hast. Den Brief, den Du über den Lebensmittelhändler Bedri an
mich geschickt hast, habe ich nicht erhalten. Du schreibst, Du wirst Bescheid
sagen, wenn man eine Besuchserlaubnis bekommen kann.
Ich werde warten und so lange auch nicht kommen. Wenn es
irgend etwas gibt, was Du brauchst, bevor es die Besuchserlaubnis gibt, warte
nicht, bis wir kommen, sondern schreibe sofort. Sie wollen die Begründung fiir
den Prozeß, den ich beim Oberverwaltungsgericht angestrengt habe.
Ich schicke Dir
morgen die Mitteilung zu, die per Post gekommen ist; Du wirst die Begründung
entsprechend schreiben. Ich habe dem Rektorat der Lehrerhochschule in Istanbul
in einem Schreiben mitgeteilt, daß sie die Erklärung von meinem Sohn Ibrahim
Kaypakkayet aus dem Untersuchungsgefängnis der Ausnahmezustandsverwaltung
Diyarbakir anfordern sollen. Soweit ich verstehe, wird das Rektorat den Prozeß
verloren haben, denn sie sagen jetzt: >Wir haben Ihre Erklärung bekommen
und Sie zur Schule gerufen, Sie sind aber nicht gekommene Jetzt wollen sie eine
Schadenersatzklage machen. Sie wissen, daß du im Gefängnis bist und denken sich
deshalb neue Sachen aus.
Deine Amme und Deine Mutter grüßen Dich und küssen Dir
die Augen.
Haydar, Sultan, Feride, Hakki, Alekber und Elif grüßen
und küssen Dir die Hände. Auch Galip Özdemir und Pire Mehmet lassen Dich
grüßen.
Mach Dir wegen uns keine Sorgen, uns geht es gut. Wir
müssen immer nur an Dich denken. Mein lieber Sohn, ich beende diesen Brief und
grüße Dich noch einmal und küsse Dir die Augen.
Gott schütze Dich.
PS: Die Mitteilung kam bei uns am 18. (April) an, obwohl
die Erklärung bis zum 15. (April) abgegeben werden sollte. Ende.«
Über diesen Brief und die
vielen guten Nachrichten freute sich Ibo sehr. Er wollte eine Liste machen, was
er alles brauchen könnte, sie seinem Vater zuschicken und machte sich
entsprechende Notizen.
»Wir werden uns bald sehen
können, da endlich die Folter aufgehört hat«, schrieb er in sein Heft und
überlegte, seinem Vater schon jetzt Bescheid zu sagen.
Voller Hoffnung wartete er in
diesen ersten Maitagen darauf, aus der Zelle herauszukommen.
» Wie sollte er es nicht begreifen, sich nicht ganz
hingeben
Gegen die Lüge, gegen den Kerker
Warum soll er sein Ziel nicht leben, soll nicht leben,
was seinen
Tränen Atem gibt Denn die Türen sind verriegelt, die
Wärter vertraut mit Flüchen
und Fußtritten
Die Schlagadern verschlossen: erstarrt... verrußt...
lieblos
Denn Hände zu
halten, sich zu umarmen ist verboten
Bündel und Netze
werden genauestens durchsucht
Nachrichten trifft
schon auf der Zungenspitze der Messerstoß,
entwürdigend...
Denn wie glitschiger Tang auf Felsen
Sind freudige Worte belagert
Denn die jugendlich schüchternen Küsse
eines liebenden Wunsches einer Freundschaft
sind unter
Fußtritten und Stiefeln
Deine Talente, deine Treue sind Staub überlassen
Die Tugend im
Blut, in den Folterkammern...«
N.Behram
»An die Ausnahmezustandskommandantur
DIYARBAKIR
Aus einem Artikel der Zeitschrift Tercüman vom 31. 1.
1973 haben wir entnommen, daß der ehemalige Student der Fächer Physik und Mathematik
unserer Schule, Ibrahim Kaypakkaya, am 25. Januar 1973 in der Gegend des Dorfes
Seyithan im Bezirk Tunceli infolge einer Auseinandersetzung mit
Sicherheitskräften verletzt festgenommen worden ist und sich aufgrund seiner
Beteiligung an anarchistischen Aktionen auf Anordnung Ihrer Kommandantur in
Haft befindet.
Damit seitens des Disziplinarrates unserer Schule eine
Entscheidung bezüglich Ibrahim Kaypakkaya, dessen Name mit zurückliegenden Vorgängen
in unserer Schule in engem Zusammenhang steht, gefällt werden kann, hat sich
die Notwendigkeit ergeben, daß die im Anhang beigefügten Vorwürfe seitens o.
g. I. Kaypakkaya beantwortet werden.
Ich bitte Sie höflichst um die Erlaubnis und Anordnung,
damit die nötigen Bearbeitungen durchgeführt werden können.*
Die Teile des Schreibens, die sich auf Ibo beziehen,
lauten folgendermaßen:
»Sie finden unten die gegen die Disziplinarordnung
unserer Schule verstoßenden Vergehen aufgeführt, derer Sie sich als Student
unserer Schule im Schuljahr 1968-69 schuldig gemacht haben. Wir bitten Sie
nachdrücklich, Ihre diesbezügliche Erklärung bis spätestens 15. Mai 1973 an das
Rektorat unserer Schule zu schicken. Zu folgenden Vorwürfen erbitten wir
Stellungnahme:
1. Am 18. 7. 1968 verteilten Sie im Namen der >Fikir
Klubs< vor der Schule das im Anhang beigefügte Flugblatt, ohne eine
entsprechende Erlaubnis der Schulverwaltung eingeholt zu haben.
2. Sie sagten Sachen wie: >Die Tauben, die euch die
Nachrichten überbrachten - Die Schulleitung, die auf die andere Seite wechselte
und sich einseitig verhält. Die Leitung soll sich gewiß sein, sie wird dem Urteil
der Geschichte nicht entgehen! Die 6. amerikanische Flotte liegt vor Anker.<
3. Aus den Protokollen des Disziplinarrates ist zu
entnehmen, daß Sie sich am 12. 10. 1969 an einer Auseinandersetzung vor dem Eingangstor
unserer Schule beteiligt haben, während der Scheiben eingeworfen und eine
Reihe von Schülern verletzt wurden.
Nehmen Sie Stellung zu diesen Vorwürfen.»
Ibo, an der Schwelle zur Verurteilung zum Tode, saß in
seiner Zelle und schrieb eine Erklärung in sein Heft, in der er sich mit dem
Schreiben der Schulleitung und der Untersuchung beschäftigte. In der
Stellungnahme, die er ihnen zuschicken wollte, schrieb er (auszugsweise)
folgendes:
»... Bezüglich der Vorwürfe, die aufgrund des genannten
Flugblattes gegen mich erhoben wurden, habe ich seinerzeit dem Disziplinarrat
der Schule eine Antwort zukommen lassen. Der Disziplinarrat befragte uns, d. h.
mich und die neun anderen, die mit mir zusammen die >Fikir Klubs<
gegründet hatten, nicht, weil wir Flugblätter des >Fikir Klubs<
verteilten, sondern, weil wir diesen >Fikir Klub< gegründet hatten, ohne
die Schulleitung um Erlaubnis zu bitten. Das Flugblatt nämlich haben wir nicht
vor der Lehrerhochschule, sondern vor den naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen
Fakultäten verteilt. Da uns Aktivitäten innerhalb der Schule verboten worden
waren, arbeiteten wir außerhalb der Schule. Und bezüglich des Vorwurfes, wir
hätten den >Fikir Klub< ohne Erlaubnis gegründet, weise ich Sie
daraufhin, daß die Verfassung und das Vereinsgesetz uns dieses Recht geben.
Diese Gesetze erlauben uns, einen Verein zu gründen, Mitglied in einem Verein
zu werden, ohne jemanden nach einer diesbezüglichen Erlaubnis fragen zu müssen.
Wir haben dieses Recht genutzt. Die schriftliche Erklärung, die ich bereits dem
Disziplinarrat zugeschickt hatte, mußte sich in Ihren Unterlagen befinden. Ich
habe dem nichts hinzuzufügen.
Im Lehrjahr 1968-69 war ich vom Unterricht
ausgeschlossen. Auch wenn keine offizielle Bestätigung des Ausschlusses seitens
des Erziehungsministeriums vorlag, wurde mir das Kleidergeld von 600 Lira, das
jedem Studenten zusteht, mit der Begründung verweigert, ich sei kein Student
der Schule. Entsprechend können Sie mir auch keine Vergehen vorwerfen, die ich
im Lehrjahr 1968-69 >als Student der Schule< begangen haben soll...
Obwohl das Oberverwaltungsgericht die Aufhebung des Ausschlusses verfügt hatte,
wurde ich dennoch nicht wieder in die Schule aufgenommen, wohingegen die Schule
der gleichen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in bezug auf meine
Freunde folgte. In bezug auf mich war die Schule nicht gewillt, der
Entscheidung des Gerichts Folge zu leisten. Ich habe daraufhin eine
Schadenersatzklage angestrengt.
Der Ausdruck >die Taube, die euch die Nachricht
überbrachte< bezieht sich auf den verleumderischen, verlogenen Spion, der,
obwohl ich nicht innerhalb der Schule die Flugblätter verteilte, Ihnen
mitteilte, daß ich in der Schule Flugblätter verteilt hätte.
Darüber hinaus ist es Realität, daß die Schulleitung
>ihre Richtung geändert< hatte. Denn zunächst wollte uns die Schulleitung
aufgrund unseres Protestes gegen die 6. Flotte bestrafen, dann aber schien es
so, als hätte sie keine Lust mehr, den Aufenthalt der 6. Flotte im Bosporos zu
verteidigen, zumindest gab die Schulleitung ihr ursprüngliches Vorhaben auf
und begann, wegen Flugblattverteilens innerhalb der Schule eine Untersuchung
gegen uns anzustrengen.
... In gleichem Sinne ist es eine Realität, daß »die
Schulleitung jener Tage sich einseitig verhielt. Innerhalb der Schule konnten
jede Menge Veröffentlichungen mit konservativem, revisionistischem,
volksfeindlichem, fundamentalistischem und faschistischem Gedankengut (einschließlich
Hitlers »Mein Kampf) ungehindert verkauft und ausgestellt werden. Auf der
anderen Seite wurden eine Reihe revolutionärer Veröffentlichungen, die nicht
verboten und auf dem Markt frei erhältlich waren, nicht einmal in die Schule
hineingelassen. Die Schulleitung arbeitete Hand in Hand mit Studenten, die
Mitglieder der >Ulkü Ocaklari<* und »Mücadele Birlikleri<* waren.
Auf der anderen Seite wurden Studenten, die zu den
>Fikir Klubs< gehörten oder mit ihnen sympathisierten, unter Druck
gesetzt; man versuchte, sie einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.
... »Eins soll die Leitung genau wissen; Sie werden dem
Urteil der Geschichte nicht entgehen können<, habe ich gesagt. Ja, wer uns
ein demokratisches Recht verweigert, das uns Verfassung und Vereinsgesetz
zugestehen, der wird sicher dem Urteil der Geschichte nicht entgehen.
Sicherlich werden diejenigen nicht ihren Kragen vor dem
Urteil der Geschichte retten können, die die 6. Flotte, die unser Volk und Land
bedroht, ah Vollstrecker der Profitinteressen des amerikanischen Imperialismus
im Nahen Osten und der Türkei, fast mit Blumensträußen in den Händen empfingen
und sich freiwillig zu Kupplern der amerikanischen Soldaten machen ließen.
Sicherlich werden diejenigen nicht dem Urteil der Geschichte entgehen, die uns
aus der Schule vertreiben wollten, da wir gegen die 6. Flotte protestierten.
Wer im Recht ist, wer an der Seite des Volkes steht, braucht sich vor dem
Urteil der Geschichte nicht zu fürchten. Nur wer etwas zu verbergen hat, muß
sich vor all dem fürchten.
Es sind die faschistischen und fundamentalistischen
Kräfte, die Feinde unseres Volkes und seiner Unabhängigkeit gewesen, die unsere
Schule überfallen und die Scheiben und Fensterrahmen zerbrochen haben, die
Anlaß dafür gaben, daß eine Reihe von Schülern verletzt
wurden, einige Schüler aus der Schule geworfen wurden, die die Schule mit
schulfremden Personen von den >Ülkü Ocaklari< und >Mücadele
Birlikleri< anfüllten und die Schule zu einem Waffenlager machten. Ihre
Fragen sollten Sie nicht mir, sondern ihnen stellen...«
Und noch viele solcher Notizen machte Ibo in seiner
karierten »Kladde«, um sie an die Schulleitung zu schicken.
Es war einer der ersten Tage im Monat Mai. Ibo saß in
seiner Zelle, wieder mit Heft und Stift in der Hand, im Zwiegespräch mit seinen
Gedanken.
Im Zellengang war ein Hin- und Hergerenne zu hören. Ibos
gefangener Freund, der von dem Verhör bei MIT in die Zelle zurückgebracht
worden war, schaute aus dem Guckloch und sah einen Hauptmann. Aus dem Flüstern
der Wärter verstand er das Wort »Staatsanwalt der Ausnahmezustandsverwaltung«.
Der Kopf des Mannes war kahl.
Als er in den Zellengang kam, hatten sie schon die Tür zu
Ibos Zelle geöffnet. Der Mann war gekommen, hatte zunächst ein paar Worte mit
Ibo gesprochen und dann auf einmal begonnen zu schreien:
»Du bist der Hirte einer Schafherde! Wenn der Hirte
stirbt, kommt der Wolf und reißt die Herde!«
»Ich bin nur ein einzelner«, hatte Ibo ihm mit lauter und
klarer Stimme zur Antwort gegeben. »Und war ich auch ein Anführer und würde
getötet; es würden Tausende folgen. Ich habe keine Angst vor dir oder
deinesgleichen ...« Auf diese Worte hin schlug der Mann wütend Ibos Zellentür
zu und verschwand ...
„... Eigentlich ist sie lang, die Nacht
und dunkel
Doch weit entfernt von allen Ängsten.
Es ist eine Lust, so zu leben
allein
Einen Atemzug vom Tod entfernt
allein
Selbst an Ketten liegend
nie einsam zu sein..."
A.Arif
Es war der 8. Mai. Ibo hatte
dem diensthabenden Soldaten mitgeteilt, daß er sich waschen wollte und daß er
die entsprechende Erlaubnis einholen sollte. Er hatte schon fast das Gefühl, in
seinem eigenen Dreck zu ersticken. Wenig später kam der diensthabende Soldat
zurück und sagte Ibo, daß er sich waschen könne. Man brachte ihm einen
primitiven Kocher, einem Eimer Wasser und ein Stück Seife in die Zelle. Der
diensthabende Soldat holte auch den Gefangenen aus der Zelle 8 heraus, damit
dieser Ibo half. Dann wurde auch Ibo aus seiner Zelle herausgeholt und in die
Zelle Nr. l gebracht. Als Ibo seinen Freund aus der Zelle 8 sah, freute er
sich sehr. Sie umarmten sich und schauten sich eine Weile schweigend an.
Sein Freund hatte voller
Erregung zugeschaut, wie Ibo aus seiner Zelle herbeigeholt worden war. Dieser
Mensch, den er als so stark wie einen Baum kannte, bewegte sich jetzt nur noch
humpelnd und unsicher wie ein Kind, das gerade erst laufen lernte. Sein rechter
Fuß war zur Hälfte amputiert, an seinem linken Fuß fehlten alle Zehen bis auf
den kleinsten. Das monatelange Angekettetsein am Bettrahmen hatte seinen ganzen
Körper anschwellen lassen; an seinem linken Handgelenk hatte er eine tiefe
Wunde von der Handschelle. Doch Ibo trug seinen Kopf hocherhoben, und seine
Augen lächelten.
Der diensthabende Soldat und
der Freund halfen Ibo, sich zu waschen. Danach unterhielt Ibo sich mit seinem
Freund und zog dabei schwerfällig seine Kleidung wieder an.
Er erzählte seinem Freund, daß
er sich seit einigen Tagen wieder gesund fühle, zur Zeit nicht gefoltert werde,
sich auf seine Verteidigung vorbereite und auf den Tag warte, an dem er aus
der Zelle herausgeholt werde.
Am 9. Mai schrieb er seinem
Vater einen Brief, in dem er sagte, daß er »voller Hoffnung sei, sich auf das
Gericht vorbereite und sich gesund fühle.« Für seine Verteidigung bat er seinen
Vater, einige Unterlagen zu besorgen, die Informationen über frühere Aktionen
enthielten. Er schrieb auch, von wem sein Vater diese Unterlagen bekommen
könne und gab ihm die Namen seiner Anwälte.
Am 11. Mai teilten die Wärter
dem Gefangenen in der Zelle Nr. 8 mit, daß er aus der Haft entlassen werde und
holten ihn aus der Zelle heraus. Er sagte, daß er sich von Ibo verabschieden
wolle bevor er ging, und die Wärter erlaubten es.
Sie öffneten Ibos Zelle und
führten die Freunde zusammen. Die beiden umarmten sich. Ibo bat den Freund,
Kleidung und ein Paar Schuhe Größe 42 für ihn zu besorgen. »Wenn du nach Hause
kommst, schickst du die Sachen!«, sagte er.
Dann nahm der Freund alles
Geld, was er in der Tasche hatte, und gab es Ibo. 50 Lira davon gab Ibo seinem
Freund wieder zurück. „Du wirst es auf dem Weg brauchen!" sagte er.
Aber da forderten die Wärter
sie schon auf, »sich kurz zu fassen«. Die beiden Freunde umarmten sich,
verabschiedeten sich voneinander, und Ibo wurde wieder in seine Zelle
eingeschlossen.
Die Entlassung seines Freundes
weckte in Ibo die Hoffnung, daß er endlich selbst auch aus diesem dunklen Loch
herauskommen würde, und er lebte wieder auf...
Ibos hoffnungsvoller Brief von
der zweiten Maiwoche brachte große Freude in das Haus der Familie. Immer
wieder nahmen der Vater, die Mutter, die Brüder sein Schreiben in die Hand und
lasen es. Ali Kaypakkaya hatte sofort nach diesem Brief soviel wie möglich von
den gewünschten Unterlagen zusammengestellt und machte sich schon am 19. Mai
auf den Weg nach Diyarbakir. Je mehr der Autobus sich der Stadt näherte, desto
erregter wurde er.
115..............devam edecek
Er
fühlte auf seine Taschen und sah die Papiere noch einmal durch, die sein Sohn haben wollte.
Seitdem er im Radio die Nachricht von Ibos
Gefangennahme gehört hatte, seit dem letzten Januartag bis zu dem
heutigen Maitag hatte er jeden Tag, jede Sekunde mit einem dicken Kloß in der Kehle gelebt. Jetzt endlich war der Tag gekommen,
an dem er ihn sehen sollte.
Ibos
Satz, »die Verhöre sind endlich zu Ende; wir werden uns sehen können«, hatte
große Hoffnung in ihm geweckt.
Der Bus, in den er am Abend des 19. Mai in Ankara
einstieg, bewegte sich durch die Nacht wie
ein leuchtender Punkt, näherte sich in der Frische eines Frühjahrsmorgens
Diyarbakir und hielt endlich im Herzen der Stadt.
Vom Busbahnhof aus ging Ali Kaypakkaya geradewegs zur
Ausnahmezustandsverwaltung. Er war
voller Ungeduld.
»Es ist doch keine Besuchszeit!« sagten sie. Ali
Kaypakkaya hielt es nicht aus und wollte telefonieren. Sie wiesen seinen Wunsch,
sich sofort telefonisch nach dem
Wohlergehen seines Sohnes zu erkundigen, zurück und
sagten ihm, daß er bis 9 Uhr zu warten habe.
Um Punkt neun Uhr wurden die Besucher nach ihren
Ausweisen gefragt und dann eingelassen.
Drinnen wurden nochmals die Ausweise kontrolliert.
Während Ali Kaypakkaya noch gemeinsam mit den anderen
Besuchern wartete, trat einer von den Wachhabenden an
ihn heran und sagte »Du wirst deinen Sohn
wieder nicht sehen können!« Die Worte
schlugen wie Kugeln in Ali Kaypakkayas Herz ein.
»Warum
sollen wir uns nicht sehen können; er ruft mich doch selbst! Hier, sein Brief: »Komm, du kannst mich besuchen« sagt er! Und
Sie wollen es immer noch verhindern ...? begann er zu brüllen. Daraufhin trat
ein anderer Wachhabender zu ihm und sagte: »Wir können nichts machen; geh' und
sprich mit dem Oberleutnant!«
Ali Kaypakkaya ging, wohin sie ihn schickten. Von dort
brachten sie ihn in eine Wachstube. Er trat ein und fand
den Leutnant Mevlüt und den Oberleutnant Ali vor, die er von seinem zweiten
Aufenthalt in Diyarbakir noch kannte. Beide standen auf und begrüßten ihn:
»Willkommen«. Ihr Verhalten behagte Ali Kaypakkaya
nicht. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich plötzlich verändert.
Dann kam ein Oberstleutnant mit schnellen Schritten
herein. In seiner Hand trug er einen Stoß Papiere, die er dem
Oberleutnant Ali gab. »Regel1 du
das hier; ich hab' zu tun!« Sie führten Ali Kaypakkaya aus der Wachstube und stiegen in einen Jeep ein.
»Was müssen die für eine Angst vor meinem Sohn haben!«
dachte Ali Kaypakkaya, »jedesmal wenn
ich komme, gerät alles in Panik ...«
Im
Jeep dachte er dann, »Also haben sie Ibrahim aus der Zelle herausgeholt!« und freute sich. Die Aufregung der
Wachhabenden führte er darauf
zurück, daß er sich heute zum ersten Mal mit seinem Sohn treffen würde.
Der
Jeep fuhr aus dem Eingangstor und bog dann in die Straße ein, die zu den Büros
der Staatsanwaltschaft führte. Der Oberstleutnant
sprach kein Wort, als sei ihm der Mund verschlossen, als seien alle
Wörter dieser Welt aufgebraucht. Nur der Motorlärm füllte alles um sie herum. Als sie beim Büro der Staatsanwaltschaft ankamen, dachte Ali Kaypakkaya: »Wahrscheinlich
vernehmen sie mich erstmal!« Doch da
merkte er schon, daß sie auf den Weg zur Kommandantur der Ausnahmezustandsverwaltung waren.
Der Oberstleutnant stieg aus dem Jeep und ging hinein.
Ali Kaypakkaya schaute aus dem Jeep zu
den Fenstern und versuchte, Ibrahim irgendwo zu
entdecken. »Ist Ibrahim hier?«, wandte er sich zwischendurch an den Chauffeur.
»Nein Onkel, hier ist er nicht«, bekam er
zur Antwort.
Er
verstummte wieder und schaute nur auf die Tür, in die der Oberstleutnant verschwunden war.
Mal kam in ihm die Freude auf, seinen Sohn
wiederzusehen, mal machte ihn die Aufregung der
Sicherheitskräfte mißtrauisch, mal bekam er
wieder Angst, daß sie ihm seinen Sohn wieder nicht zeigen würden.
Mit der Angst kam auch Wut: »Wenn sie es schon wieder nicht
zulassen, daß wir uns sehen, dann
gehe ich bis zum Ausnahmezustandskommandeur, zum Gouverneur und zur Regierung!«
Endlich erschien der Oberstleutnant an der Tür.
»... Blut.
Feuer am Meeresgrund
Mai über blutigen Bergwiesen
Schwebt wie eine Feder.
Bunker wie stählerne Kadaver
Tod liegt in der Luft, meine Liebe, Tod
Das Ziel ist erreicht...«
A.Arif
Mit schnellen Schritten trat der Oberstleutnant aus
dem Gebäude und ging auf den Jeep zu. Er forderte Ali Kaypakkaya auf, auszusteigen. Zusammen gingen sie
zurück in das Gebäude. Der Oberstleutnant
führte Ali Kaypakkaya durch einen langen Gang in ein Zimmer.
Drinnen war ein Mann in einem weißen Kittel. Als Ali Kaypakkaya ihn sah,
krampfte sich alles in ihm zusammen. »Vielleicht ist Ibrahim wieder krank, und sie haben ihn ins Krankenhaus
gebracht. Daher die Aufregung!«, dachte er.
Der Mann im weißen Kittel machte
einen befangenen und angespannten Eindruck. »Setz dich doch; hier eine
Zigarette ...!« sagte er und hielt ihm eine
Packung hin.
Doch Ali Kaypakkaya nahm keine
Zigarette und setzte sich auch nicht, sondern begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
Da öffnete sich auf einmal die
Tür und herein trat der Kommandeur der Ausnahmezustandsverwaltung,
Generalleutnant Sükrü Olcay zusammen mit einem Oberst sowie dem Chefarzt des Krankenhauses und noch ein paar
Offizieren.
Sükrü Olcay musterte Ali
Kaypakkaya von Kopf bis Fuß. »Bist du der Vater von Ibrahim Kaypakkaya?«
»Ja«, antwortete Ali Kaypakkaya.
Daraufhin sagte Sükrü Olcay: »Das
ist jetzt zwar sehr unvermittelt, aber es muß heraus: Ibrahim ist gestorben...«
Alles Blut
wich aus Ali Kaypakkaya's Gliedern. »Ich verstehe nicht...«, stotterte er.
»Ich habe gesagt, dein Sohn ist tot!«, wiederholte
Sükrü Olcay.
Und auf Ali Kaypakkayas
völlig verwirrte und mit schneeweißem Gesicht gestammelte
Erwiderung »Warum soll er gestorben sein, mein Sohn, er stirbt
nicht...«, erwiderte er noch einmal: »Er ist gestorben, sage ich; er
ist eben gestorben ...«
Jetzt kam Ali
Kaypakkaya auf eine seltsame Art wieder zu sich. Wie ein
Mensch, der kurz vorm Ersticken ist, begann er zu schlukken und
wühlte gleichzeitig in seinen Jackentaschen herum. Er zog den Brief aus der
Tasche. »Da, den Brief hat er geschrieben; er ruft mich hierher.
Mein Sohn stirbt nicht! Er war nicht mehr krank >Ich bin
gesund<, schreibt er!«, begann er zu brüllen.
»Er hat Selbstmord gemacht; dein
Sohn hat Selbstmord gemacht!« brüllte
Sükrü Olcay zurück. In abgehackten Sätzen brach es aus Ali Kaypakkaya heraus: »Nein, nein, mein Sohn wurde getötet, ihr habt meinen Sohn ermordet, ermordet habt
ihr ihn, geschlagen habt ihr ihn,
zu Tode geprügelt, ihr habt ihn getötet...!«
»Sei still,
sonst weisen wir dich in deine Schranken!«, drohte einer der
Umstehenden und schnitt Ali Kaypakkayas Klage ab.
Ali Kaypakkaya schwieg einen
Moment und sagte dann mit schmerzerfüllter
Stimme: »Gebt mir die Leiche; verhört mich, was immer ihr wollt, aber gebt mir
die Leiche meines Sohnes ...!«
»Nein, er
wird hier beerdigt!«, sagten sie zuerst. Doch mit fester Stimme beharrte Ali
Kaypakkaya auf seinem Willen: »Ich bewege mich keinen Schritt von hier,
solange ihr mir nicht die Leiche gebt!«
Sükrü Olcay
wandte sich zu dem Mann im weißen Kittel: »Gebt ihm ein Glas Wasser!«
»Ich will
weder euer Wasser noch sonstwas. Nur die Leiche meines Sohnes
will ich. Für ihn haben wir alles gegeben. Ein Gecekondu habe ich, das werde ich jetzt
verkaufen für meinen Sohn; in mein Dorf
werde ich ihn bringen!«, gab Ali Kaypakkaya zur Antwort.
»Erledigt das!« befahl Sükrü
Olcay den Umstehenden, drehte sich um und
verschwand aus dem Zimmer,
Dann führte
der Oberstleutnant Ali Kaypakkaya wieder aus dem Zimmer. Sie fuhren zu dem
Militärkrankenhaus, an dessen Tür Ali Kaypakkaya
bei der ersten Fahrt nach Diyarbakir abgewiesen worden war war.
Dort sprachen sie von
Formalitäten, die Ali Kaypakkaya erledigen sollte. Also ging er zur Stadtverwaltung und holte sich eine »Erlaubnis«. Für 430 Lira suchte er dann einen
Sarg aus. Für nochmal 70 Lira
kaufte er ein Leichentuch.
Als das Leichentuch zusammengefaltet wurde, dachte er
an die Kindheit seines Sohnes, wie er ihn
als Wickelkind bekommen, wie er ihn
in seine Arme genommen hatte.
Dann mietete er einen Lastenträger und mit Sarg und
Leichentuch kehrten sie zum Krankenhaus
zurück. Der Beamte der Stadtverwaltung stellte ihm ein Papier aus:
>Kann mitgenommen werden<,
unterschrieb es und gab es ihm.
In dem Krankenhaus, in den Fluren wartete er jetzt auf ihn.
Nach einiger Zeit holten sie den Leichnam aus dem
Kühlfach. »Da, dein Sohn, er ist bereit!«,
sagten sie zu Ali Kaypakkaya. Der Kopf war vom Rumpf getrennt. Der
Bauch, die Arme, die Beine waren in große Stücke zerschnitten. Der Rumpf war
von Löchern durchsiebt. »Autopsie«,
murmelte der Mann, der den Leichnam aus dem Kühlfach gebracht hatte.
»Und was sind das für Löcher?« fragte Ali
Kaypakkaya. Er bekam keine Antwort.
Beim Anblick seines Sohnes war es
Ali Kaypakkaya, als trockne alles Blut ihn ihm aus. Anstelle seines Sohnes,
anstelle dieses starken, baumgleichen Menschen zeigten sie ihm zerteilte,
zerstochene Leichenteile. Die
Kehle und der Hals von Ibo waren aufgetrieben und pechschwarz, als hätte man
etwas darum gelegt und zugedrückt. Später dann war sein Hals zerschnitten und
zerteilt worden. Auf seiner Schulter und
seiner Brust alles voll von Löchern ...
Bei diesem Anblick begann der
Lastenträger, der Ibo in den Sarg legte, zu weinen. Ali Kaypakkaya wollte ihm seinen Lohn geben, doch er wehrte ab. »Das ist unsere
Menschenpflicht!« sagte er. Die wachhabenden Soldaten und die
Krankenwärter versuchten, Ali Kaypakkaya zu
trösten.
Von den 1200 Lira, die er mitgebracht hatte, um sie
Ibo zu geben, waren ihm noch 550 geblieben.
Vor dem Krankenhaus begann er mit einem Taxifahrer zu
verhandeln. Der Fahrer wollte Vorauszahlung. Dann riet man Ali Kaypakkaya, den Sarg mit dem Flugzeug zu
transportieren.
Im Büro der Fluggesellschaft forderten sie 240 Lira
für den Transport des Sarges.
Was ihm noch an Geld geblieben
war, gab er für das Flugticket. Es reichte nicht, doch einer der umstehenden
Fremden mischte sich ein. »Den Rest zahlen Sie später«.
Sie brachten Ali Kaypakkaya zum
Flughafen und übergaben ihn dort der Polizei.
Als die Passagiere am Flughafen
aufgerufen wurden, sich in den Wartesaal zu setzen, fanden die Polizisten bei der Durchsuchung in Ali Kaypakkayas Taschen die Flugblätter, die
Ibo für seine Erklärung bei seinem Vater bestellt hatte. Unschlüssig
drehten und wendeten sie sie in den Händen und berieten sich. »Die wollte mein Sohn haben; er brauchte sie für seine
Verteidigung. Ich hatte sie ihm
mitgebracht!« erklärte Ali Kaypakkaya. »So geht das nicht. Das ist ein
Vergehen, die sind verboten. Wenn dein Sohn gestorben ist, dann hast du sie gefälligst zu zerreißen!
Festnehmen sollten wir dich hier...!« brüllten sie zur Antwort.
Verzweifelt bat Ali Kaypakkaya
sie, ihn doch in Ruhe zu lassen: »Mein Sohn ist gestorben, da kann ich doch nicht an diese Flugblätter denken!
Seit heute früh habe ich kein Stück Brot und keinen Schluck Wasser gehabt!« Auf Vermittlung einer Polizistin hin, ließen sie endlich von ihm ab.
Bei der Landung in Ankara wurde Ali Kaypakkaya von
zwei Hauptmännern empfangen. Sie riefen ihm eine Taxe und banden den Sarg auf das Verdeck.
So kamen sie zu Hause
an.
Sein Vater trug Ibo ins Haus. Die Nacht verbrachte er
sitzend neben Ibo. Den Kopf in die Hände gelegt dachte er nach, fühlte, wie er älter wurde neben seinem Sohn.
Früh am nächsten Morgen mietete
er einen Minibus und brachte seinen Sohn in das heimatliche Dorf.
Ihnen kamen auch »Verfolger« (staatliche Spitzel) ins
Dorf nach. Innerhalb kürzester Zeit
verbreitete sich in den umliegenden Dörfern die Nachricht von Ibos Tod.
Scharenweise kamen Menschen, um ihm noch
einmal zu sehen.
Am Restaurant der Tankstelle gegenüber dem Friedhof
stand der Wagen der »Verfolger«. Sie behielten von dort aus das Dorf und den
Friedhof im Blick ...
»... Mein Kleiner hat sein Ziel nicht erreicht
hat nicht Hochzeit gefeiert und die Fahne gehißt, mein Lamm
Er hat studiert und sein Ziel nicht erreicht,
Ich flehe deinen verletzten Körper an
Laß mich auch auf deinem Weg sterben..."
Aus dem
Klagelied, das IBOs Mutter sang
Auch der wirklichen Mutter von Ibo sagte man
Bescheid. Sie und Ali Kaypakkaya hatten sich getrennt, als Ibo noch ein Baby war und gerade seine ersten Worte lernte. Nach der
Trennung war Ibo bei seinem Vater
geblieben.
Später dann war die Mutter in das Dorf Sungurlu
(Gökcem) gezogen
und hatte wieder geheiratet. In seiner Kindheit, aber auch in der Zeit, als er schon in Istanbul studierte, fuhr
Ibo oft in das Dorf seiner Mutter,
um sie zu besuchen. Die zwei, drei Nächte, die er im Dorf blieb, redete er lange und ausführlich mit
seiner Mutter und >verschwand<
dann wieder von der Bildfläche.
Wenn er ging und seine Mutter sagte: »Geh' nicht, mein
Sohn, bleib noch ein wenig, daß ich mich sattsehen kann
an dir!« dann tröstete Ibo sie und antwortete: »Wenn du dich nach
mir sehnst, schau in den Spiegel, ich sehe dir ähnlich.«
Ibo
>verschwand< immer wieder, doch nie gab er den Kontakt zu dem Dorf seiner Mutter auf, oft schickte er Zeitungen und Bücher dorthin.
In der Zeit,
als Ibo gesucht wurde, überfielen die Sicherheitskräfte auch das Dorf seiner Mutter
und durchsuchten jede Ecke, jede Nische:
»... Als mein Kind nicht da war,
kam die Polizei. Die Polizei kam, zwei so Wagen voll. Wer ist auf dem Foto, fragten
sie; wem gehört der Hut, fragten sie, wem die Schlüssel gehören,
fragten sie; warum hab'ich drei Schlüssel, wenn ich nur zwei brauche, fragten
sie. Nach den Schuhen fragten sie, nach dem Pullover, den ich anhab'...
Und dann war das so: Auf zwei Schritte drei Gendarmen
und noch mal drei Gendarmen, von allen
Seiten war das Haus umzingelt wie mit einem Drahtzaun. In die Dinger da
vom Stall, so auf den Dachboden, in die Löcher, die Hühnerstangen haben sie
doppelt und dreifach was reingestopft. Dann kommt er raus, dachten sie. Sie
kletterten auf den Dachboden. Da haben wir Äpfel und so ausgelegt. Hier war
jemand, hier hat jemand geschlafen, sagt er.
Nein, sage ich. Hier haben wir Äpfel
und so ausgelegt, sage ich. Dann kletterte er auf das Scheunendach und guckt ein bißchen rein. Hier, sagte er,
verstecken sich die Männer. Nein,
sage ich, wir sind Dörfler, da backen wir. Wenn das so ist, sagte er,
dann sag, wo er ist, Frau. Eee, sage ich, ich sehne mich auch nach ihm. Dann haben sie unseren Dorfvorsteher geholt.
Ein Herr mit einer Leiter zum Stall,
mal hierhin, mal dahin. Und mich schleppen sie immer mit. Überall laufen
sie hin, die Mädchen kriegen schon Angst. Dann sind sie wieder auf den
Dachboden.
Unter die Kiste ist er gekrochen. Dann kommt er später, sagt er. Er kommt nicht,
sage ich. Früher ist er gekommen, jetzt kommt er nicht mehr. Wenn einer
früher gekommen ist, warum soll er dann nicht mehr kommen? fragt er. Und er
hakte mich unter. Nehmt diese Frau mit
runter, kommt mit dem Dorfwächter, sagte
er, mit ihrem Nachbarn, sagte er. Das hier alles, so die Kissen, Kisten das Garn, alles haben sie durchsucht. Viele
Drohungen gab es. Er packte mich am
Hals. Ihr Meister hat mir ins Gesicht gegeben so viel er konnte. Du sagst nichts, weil er kommt, sagte er.
Der Dorfvorsteher ist gekommen. Euer
Sohn, sagte er, wird gesucht. Da hat einer gesagt, er ist gekommen, als er nicht gesucht wurde. Ich dachte,
was sagt der das in so einem Moment. Das weiß ich nicht, hab' ich
gesagt. Da haben wir es, daß du lügst,
bringt sie nach unten, sagte er. Da sind wir hin zur Polizei. Morgens haben sie uns reingeworfen, abends
um acht wieder raus.*
Später
dann ließ Ibos Mutter ihr Radio nicht aus der Hand. In einem fort wartete sie
neben ihrem Radio, als würde gleich eine Nachricht von ihrem Sohn kommen. Der
Blick auf dem Weg, die Ohren am Radio, folgte sie Ibo, über Berg und Tal.
»... mit dem Radio im Arm, wenn ich in den Stall gehe
und setze mich. Ich höre die um sieben, es
wird acht, ich höre die um acht, es wird neun, ich höre die um neun. Und dann an dem Dienstag,
so um sieben, habe ich das
Radio im Arm und er sagt, Ibrahim Kaypakkaya ist verwundet. Und er sagt, Ali Haydar
Yildiz oder so, ist an der Stirn getroffen. Mein Gott, sage ich, nicht das. Als ich wieder zu
mir komme, kommen sie alle gelaufen und sagen, tu dies, tu das. Hat er einen Monat gesessen, waren es zwei, drei,
vier, ich warte, daß er endlich herauskommt. ..«
Dann brachten sie ihr die
Nachricht von seinem Tod:
»... Morgens bin ich aufgestanden und dann wie
immer das Wasser geholt, da kommen zwei Leute von unten und reden: Wir bringen dich nach Dings, Karamahmut, sagten
sie und fassen mich am Arm. Ich habe es gewußt. Es ist was mit meinem Kind. Nein, sagte er,
und sie halten mich am Arm
fest, nein, sagen sie. Ich komme unten an. Hab' um mich geschaut, er ist nicht da. Sie
haben gerademal was über ihn gedeckt, sein Vater war schon lange da.
Habt ihr
mein Kind so gebracht, seid ihr so gekommen! Ich schlage mir auf die Knie. Die Leute waren
draußen bei den Tieren und sind gekommen, seine Freunde, alle haben geklagt. Die Steine und Berge haben gebebt. Sie haben ihn mir
nicht gezeigt. Vom Hals weiter wollten sie ihn nicht zeigen. Äther haben sie
dräu/gemacht, wir konnten nicht näher ran. Drei Flaschen Kölnisch Wasser haben wir verbraucht, konnten nicht ran, wer kam, fiel in
Ohnmacht, fiel und ging.
Soldaten waren ganz schön viele und dann die
Dörfler, seine Freunde auch ganz schön viele. Das eine Ende auf dem Friedhof, das andere im Dorf. Die Polizei war streng. Sie haben's nicht
erlaubt, eine Beerdigungsfeier. Sie haben ihn mir nicht gezeigt; das hält sie nicht aus, haben sie gesagt. Sie haben seinem Kopf was
genommen, haben seinen Kopf zerschnitten, haben von seinem Nacken, von seinem Arm das Blut genommen, das herabflossen ist. Der
hat keine Angst, wenn der keine Angst hat, dann messen wir sein Herz, haben sie da in dem
Gefängnis gesagt. Was sehen sie, an das Herz kommen sie nicht ran. Sie wollen seinen Kopf,
der ist 5 mal so viel wie Atatürks. Immer, wenn wir den sehen, dann tun wir immer das gleiche,
unsere Pflicht, da stellt der sich so hin und macht so und so.
Wenn der
schon da ist, laßt uns den wegschaffen, wenn er schon in unserer Hand ist, sagt er. Da in dem
Gefängnis. Er hatte alles
genäht. Seinen Körper haben sie vom Bauch abgemacht. Das fließende Blut hatten sie von den
Armen genommen...«
Seit dem Morgen, als die Nachricht kam, hatte sie mit schmerzerfüllter Stimme ein brennendes,
bitteres Klagelied auf ihren Sohn angestimmt. Jetzt sang sie es und schlug sich dabei auf die Knie...
»Mein Kleiner hat die Universität
beendet
Freunde, Gefährten immer um sich
geschart
Hat alle verloren, als er verletzt
Ich flehe deinen verletzten Körper an
laß mich auch auf deinem Weg
sterben
Die Soldaten des Heeres zogen
gegen ihn
Und einer von ihnen traf meinen
Kleinen, traf mein Kind
Die bittere Nachricht kam ins
Dorf
Weinen möge wer sie hört
Tränen verlieren und Trauer
tragen
Mein Kleiner hat sein Ziel nicht
erreicht
hat nicht die Hochzeit gefeiert
und die Flagge gehißt, mein Lamm.
Er hat studiert, doch sein Ziel
nicht erreicht
Ich flehe deinen verletzten
Körper an
Laß mich auf deinem Weg sterben
Viele Monate hat mein Kleiner im
Gefängnis gesessen
Ich schlief, wachte, mein Herz, es brach, es brach
Seit ich ihn sah, ist mein Kummer groß
Ich flehe deine heldenhafte Größe an, oyy
Laß mich auf deinem Weg sterben
Eine Quelle der Weisheit war mein
Kleiner
Tötet nicht, ihr Gottlosen, das tapfere Lamm
Auf ihn los ging die gottlose
Meut
Ich flehe deine jugendliche Größe
an
Laß mich auch auf deinem Weg
sterben, oyy
Seit Ewigkeiten nicht gelacht hat
mein Kleiner
Hat studiert, doch sein Ziel
nicht erreicht, nicht erreicht
Kein Mitleid gehabt hat die
gottlose Meute
Ich flehe deinen verletzten
Körper an
Laß mich auch auf deinem Weg
sterben, dich anflehen, mein Licht
Die Wunden meines Kleinen sind
Wunden vom Dolch, vom Dolch
Und wer weint, ist seine Mutter,
seine Mutter
Tötet ihn nicht, ihr Gottlosen,
den Lehrer, den Lehrer
Ich flehe deinen verletzten
Körper an
Laß mich auf deinem Weg sterben,
mein Lamm
Tunceli sagen sie, ich hob es
gehört, hob gehört
Einen Helden haben sie getötet,
hört es, ihr Nachbarn, hört
Seinem Vater, seiner Mutter gaben
sie die Nachricht, die Nachricht
Ich flehe deine heldenhafte Größe
an
Laß mich auch auf deinem Weg
sterben, mein Lamm
Gesucht haben sie, gesucht und
dich gefunden, gefunden
Gebracht haben sie dich und in
die Zelle gesperrt mein Lamm, mein Lamm
Und gefoltert haben sie meinen
Kleinen, gefoltert
Ich flehe deinen verletzten
Körper an
Laß mich auch auf deinem Weg
sterben
Mein Alles, mein Lamm mit
jugendlichem Körper, ich flehe dich an
mein Lamm
Der Frühling ist gekommen und
alles lacht und spielt und spielt
Doch mein müdes Herz hat keine
Ruhe, keine Ruhe
Ich warte auf Post, doch kein
Brief kommt, kein Brief
Ich flehe deinen verletzten
Körper an
Laß mich auch, mein Lamm, laß
mich auch auf deinem Weg sterben,
mein Lamm*
»Der Henker eines Nachts im Bett
erwacht
Mein Gott, sagt er, >wie rätselhaft.,
sie sterben und werden doch mehr, diese Männer,
ich aber töte umd mir geht die Kraft«
A. Behramoglu
Später dann
trugen die Dorfbewohner Ibo, ihn von Schulter zu Schulter reichend, aus seinem Elternhaus zum Friedhof. Alle Menschen in der Umgebung, jeder, der gehört
hatte, daß Ibo ins Dorf gebracht
worden war, ließ Arbeit Arbeit sein und machte sich auf zum Friedhof.
Sie öffneten die vom Frühling gelockerte Erde
und ließen Ibo hineingleiten. Sie bedeckten ihn mit Erde und trennten
ihn für immer vom Tageslicht...
Am 19. Mai war Ali Kaypakkaya
nach Diyarbakir gefahren. Am 21.
Mai ließ er seinen Sohn im Dorf zurück und fuhr wieder zurück nach Ankara. Die »Verfolger« blieben im
Dorf. Ihre »Aufgabe« war noch nicht beendet. Sie warteten noch, daß die
Erde Ibo auflöste und er gänzlich
verschwand. Lange Zeit ließen sie niemanden in die Nähe des Grabes.
Die Nachricht breitete sich über
ganz Anatolien aus. Wieder war Blut auf den Monat Mai geflossen.*
Ibos Kampfgenossen im Gefängnis
von Diyarbakir nahmen seinen Tod schmerzerfüllt auf. Dort, gar nicht weit weg
von der Zelle, in der Ibo
monatelang allein gwesen war, hatten sie mit ihm gelebt. Sie verfluchten die Gewalttat.
Aus ihren Reaktionen wurden Aktionen.
Die Gefängnisleitung unterdrückte »unter Anwendung von Gewalt« die Kundgebungen
der Gefangenen. In dem Antrag mit der
Eingangsnummer 1900-73/84 schreiben die revolutionären Gefangenen an
die Kommandantur der Ausnahmezustandsverwaltung:
»Er wurde am 16. 5. 1973 aus
seiner Zelle in die MIT-Zentrale geschafft
und dort durch Folter getötet... Die Tatsache, daß die
zuständigen
Stellen und die Öffentlichkeit nicht über diesen am 18. 5. 1973 begangenen Mord informiert wurden, ist der
beste Beweis für diesen Mord.«
Die Antragsteller bekamen von nirgendwo auch nur die
geringste Antwort. Es war eine finstere
Zeit für die Türkei. Zwei fort-schritdiche Menschen erhoben in diesen finsteren Tagen ihre Stimmen: Im Juli 1973 sagte der
Parlamentsabgeordnete aus Ordu, Ferda Güley, während einer Rede in Bolu:
»Väter! Ich weiß davon, daß ein Vater einen Brief
erhielt, der noch mit den gesunden Händen seines Sohnes zwei Tage vorher geschrieben wurde; ich weiß, wie
er auf diesen Brief hin Essen und Kleidung eingepackt und voller Hoffnung, seinen Sohn zu sehen, ihn umarmen zu können zum
Gefängnis fuhr, wie er dort zu hören bekam, daß sein Sohn einen Tag vorher Selbstmord verübt hätte, und wie er ihn in seine Heimat
mitgenommen hat, und wie von Kugeln durchlöchert der Leichnam seines Sohnes war...!«
Und, wiederum im Juli 1973, stellte der unabhängige
Parlamentsabgeordnete M. Ali Aybar eine
Anfrage an den Ministerpräsidenten, die er in 10 Unterpunkten weiter ausführte. Sie begann mit:
»Ist es wahr, daß Kaypakkaya an der Folter, die
während des Verhörs angewandt wurde,
gestorben ist?«
Doch auch die beiden Summen erhielten von den
Verantwortlichen jener Zeit nicht die
geringste Antwort.
Nachdem die TKP-ML- und TIKKO-Prozesse* eröffnet wurden, deren Hauptangeklagter Ibo
war, überreichten die Angeklagten am Verhandlungstag des 6. November 1973 dem
Vorsitzenden der 2. Kammer des Militärgerichts
der 1. Armeekommandantur eine lange Erklärung. Darin schrieben sie, daß Ibo von einem Mörderkomplott unter Federführung
des zuständigen Staatsanwalts Yasar Degerli erst gefoltert und dann standrechtlich erschossen worden sei:
»... Der Genösse Ibrahim wurde am 16. Mai 1973 um 10 Uhr aus seiner
Zelle geschleppt. Die anderen Gefangenen im gleichen Zellengang konnten dies beobachten. Einige
Tage später kursierte unter den wachhabenden Soldaten in der
Staatsanwaltschaft das Gerücht von Ibrahims Tod, woraufhin einige Gefangene sich an die
Gefängnisleitung wandten. Ihnen wurde erklärt, daß die Kommandantur Ibrahim am 16. Mai
128
zum Verhör
bestellt und zwei Tage später ohne Angabe von Gründen angeordnet hätte,
Ibrahims Namen aus den Gefängnislisten zu streichen.
In den gleichen Tagen hörten die Gefangenen, die zum
Verhör zur Militärstaatsanwaltschaft
gebracht wurden, von den dort wachhabenden Soldaten, daß Ibrahims
Leichnam von Kugeln durchlöchert im obersten
Stockwerk des Gebäudes liege.
An dem Tag, an dem Ibrahim aus seiner Zelle zum Verhör
geholt worden war, hatte sich Cemil Oktay
wegen eines gewöhnlichen Vergehens zum Verhör bei der
Militärstaatsanwaltschaft befunden. Er beobachtete dort, wie Ibrahim
mit verbundenen Augen von einigen in Zivil gekleideten
Personen aus der Militärstaatsanwaltschaft herausgeführt und in ein
ziviles Fahrzeug gesetzt wurde. Dies erzählte er bei seiner Rückkehr in das Untersuchungsgefängnis den
Mitgefangenen Seyithan Dokay und Hasan Ilter.
Hasan Ilter hatte während einer
Gegenüberstellung mit Ibo gehört, wie der Staatsanwalt Yasar Degerli zu Ibo sagte:
>Deine Strafe werden wir
dir bald mit unseren eigenen Händen verpassend
Mustafa Karadag, der im Rahmen des THKO-Prozesses in
Haß war, bekam während eines Verhörs bei
MIT von Yasar Degerli zu hören: >Wenn du nicht redest, dann sieht
dein Ende so aus wie das von Ibrahim
Kaypakkaya. Den haben wir letzte Woche begrabend Dies erzählte Mustafa
Karadag im Gefängnis Arslan Kilic* weiter, einem der engsten Freunde von Ibrahim.
Der Genösse Ibrahim Kaypakkaya
steht in der Tradition eines Dimitrov, der mit
seinem Blut >Vergiß nicht, du bist ein Kommunist!< an die Decke der Nazi-Folterkammer schrieb, um so
jedesmal, wenn man ihn zur Bastonade anband, dies zu lesen und den
faschistischen Henkern weiter Widerstand
leisten zu können.
Er steht in
der Tradition des französischen
Kommunisten George Politzer, der, dem Hinrichtungskommando der Nazis gegenüberstehend, den Soldaten zurief: >Ich habe
für eure Befreiung gekämpft! Ihr vernichtet eure Befreiung !< Er steht in der Tradition eines Ernst Thälmann, der den
Kugeln der Nazis furchtlos
gegenüberstand, steht in der Tradition der vietnamesischen Helden, die
ihren Kampf unter allen Umständen weiterführten und dem Tod noch mit dem
Ruf>Es lebe Ho Chi Minh!< begegneten...
Revolutionäre,
die ihr Leben dem Kampf des Proletariats und der Völker gewidmet haben, begehen keinen Selbstmord aus Furcht vorfand-schistischer Tyrannei und
Unterdrückung. Vielmehr ist Selbstmord der Ausweg, den die faschistischen Hunde
in ihrer Furcht vor dem revolutionären Kampf des Volkes wählen!
All diese eindeutigen Tatsachen machen deutlich, daß
unser Führer, der Genösse
Ibrahim Kaypakkaya, nicht Selbstmord begangen hat, sondern ERMORDET worden ist.../«
Auch auf
diese Erklärung kam von offizieller Seite keine Reaktion. Die
Verantwortlichen stellten sich blind und taub...
... Und wenn der April in den Mai
übergeht und die Erde zu grünen beginnt,
der Schnee sich in die Berge zurückzieht, das Wasser sich zu kräuseln und die Luft sich zu erwärmen
beginnt, dann erinnert Ali Kaypakkaya sich an Ibo. Er geht zu seinem
Sohn, hockt sich neben ihn und läßt die Erinnerungen wieder aufleben. In seinem
Ohr klingen Ibos letzte Worte aus seinem Brief:
»Ich grüße Euch und küsse Euch
die Hände,
Meiner Amme und meiner Mutter küsse ich die Hände, die
Kinder küsse ich auf die Augen.
Sorgt Euch nicht um mich. Mir geht es gut, und im
Moment brauche ich nichts. Auf Wiedersehen
Euer Sohn Ibrahim...«
Die Erde über Ibo ist
bedeckt mit Gras. Im Sommer bewegt sich die
Erde. Wer es sieht, meint, es sei Ibos Atem.
Und
wenn der 18. Tag des Mai kommt, strömen die Bewohner der umliegenden Dörfer herbei, gehen an Ibos Grab vorbei und sehen
es als eine große Ehre an, Ibo zu gedenken.
Dann hat auch der Schnee über Ali Haydar, der weit
entfernt am Fuße der Berge liegt, schon zu schmelzen begonnen.
Der
Schnee vereint sich mit der Erde, verdunstet in der Luft und findet sich in
Klageliedern wieder. Die Leute aus seinem Dorf, alle, die von einem Felsen zum
anderen, von einem Dorf zum anderen wandern, sehen
dann im Vorbeigehen Ali Haydar.
Und wenn es Mai geworden ist, tauchen Hunderte von
jungen Körpern aus der Erde. Jeder von ihnen mit der Schönheit einer Knospe,
eines Blattes, einer Wiese, eines Zweiges, eines Sprößlings ... Und jeder von ihnen durch so viele Kämpfe gegangen ...
GESANG FÜR DIE MÜTTER TOTER
REPUBLIKANER
Sie sind nicht tot! Sie stehen
muten
im Pulverdampf
aufrecht, wie brennende Lunten!
Ihre reinen Schatten haben sich vereint
auf den kupferfarbenen Wiesen
wie ein Vorbang gepanzerter Luft,
wie eine Sperre von der Farbe der
Wut,
wie die ganz unsichtbare Brust
des Himmels.
Mütter! Sie stehn in den
Weizenfeldern,
hoch wie der mächtige Mittag,
sie beherrschen die riesige
Ebene!
Sie sind Getön von
dunkelstimmigen Glocken,
die über die Leiber aus
gemordetem Stahl
Sieg rufen.
Schwestern gleich zerfallenem Staub, gebrochene
Herzen,
vertraut euren Toten!
Sie sind nicht nur Wurzeln
unter den blutigen Steinen,
nicht nur bestellt ihr armes zerfallenes Gebein
das Land für immer,
sondern selbst ihre Münder beißen
trocknes Pulver
und greifen an wie Ozeane aus
Eisen, und selbst
ihre geballten Fäuste erhoben
widersprechen dem Tod.
(Neruda-Zitat aus: Pablo Neruda,
Das lyrische Werk, Bd. L, S. 175, Darmstadt, 1984.)
Erläuterungen in alphabetischer
Reihenfolge
Alevit
Eine
bestimmte religiöse Gruppierung innerhalb des islamisch-schiitischen Glaubens.
Die Aleviten haben den Schwiegersohn Mohammeds und 4. Kalifen Ali als ihren religiösen Führer
ausgewählt.
Ali S.o.
Arslan Kilic
Einer der
Beschuldigten im TIKKO-Prozeß der Periode des 12. März (1972).
Ausnahmezustand
Hier ist der
faschistische Militärputsch vom 12. März 1971 gemeint. Der bis 1974 andauernde
Ausnahmezustand wird die »Periode des 12. März« genannt.
B.D.-Leitung
Leitung von MIT
Blutiger Sonntag
Am Sonntag,
dem 16. Februar 1968 griffen religiös-fundamentalistische und reaktionäre Kräfte eine von antiimperialistischen
und fortschrittlichen Menschen veranstaltete
Kundgebung brutal an. Es gab viele Verwundete und mehrere Tote.
Bora Gözen
Studentenführer
der 68er Generation. Er ging nach 1972 nach Palästina und kam bei einem israelischen Angriff um.
Ciban Alptekin
Einer der
revolutionären Studentenführer der 68er Generation. Er war einer der jungen Menschen, die bei
dem Massaker von Kizildere am 31. März 1972 vom Militär umgebracht wurden.
Deniz, Yusuf, Hüseyin
Die drei
Namen, die zum Symbol für den Kampf der revolutionären Jugend nach 1968
wurden: Deniz Gezmis, Yusuf Aslan, Hüseyin Inan. Sie gründeten die Befreiungsarmee des türkischen Volkes (Türkiye
Halk Kuitulus Ordusu - THKO). Sie
wurden am Morgen des 6. Mai 1972 hingerichtet.
Dersim-Aufstand
Dersim - der
heutige Name ist Tunceli - ist eine Stadt in Nordkurdistan innerhalb der
Grenzen des türkischen Staates. 1938 wurden nach einem Aufstand der in der
Region lebenden Kurden rund 50000 Kurden von türkischen Militärs umgebracht.
DP
Demokrat
Parti (Demokratische Partei) Rechtskonservative Partei; Regierungspartei 1950-1960. Nach
dem Militärputsch am 27. Mai 1960 wurden die drei führenden Vertreter der DP hingerichtet.
Dyb.B.D.Bsk. Meint die Abteilung Diyabakir der MET
Fikir Klub
Dt.
»Gedankenklub«. Dies waren vor 1970 Vereinigungen fortschritti-cher, demokratischer Studenten.
Die »Fikir Klubs« vereinigten sich in der »Föderation der Fikir Klubs« (FKF).
Forum, Ant, Türk Solu, Aydinlik
Sosyalist
Namen linker Zeitschriften zu
Beginn der 70er Jahre
1S.-16. Juni 1970
An diesen
Tagen fanden von Istanbul ausgehend gewaltige Arbeiteraufstände statt. Hunderttausende von Arbeitern verließen
die Fabriken und gingen auf die Straßen.
Hanife Canik, Cem Somel,
Süleyman Yesil
Beschuldigte im gleichen
Verfahren wie I. Kaypakkaya.
Hasan Zengin, Kaya Bozoklar u.
a.
Beschuldigte im gleichen Verfahren wie I. Kaypakkaya.
Ist.B.D.Bsk.
Meint die Abteilung Istanbul der MIT
Kizilay
Ein Stadtteil im Zentrum von Ankara
Mahir und die anderen
Mahir Cayan und vier seiner Freunde, alle revolutionäre Studentenführer der 68er Generation, gruben 1972
aus dem Militärgefängnis, in dem sie festgehalten wurden, einen Tunnel in die Freiheit. Auch sie kamen am 31. März 1972 in Kizildere um.
Memorandum vom 12, März 1973
Die Feiern
zum 1. Jahrestag des faschistischen Militärputsches vom 12. März 1972
MIT
Milli
Istihbarat Teskilati - Nationale Nachrichten-Organisation - die geheimpolizeiliche Organisation der
Türkei
Mucadele Birlikleri
Dt.:
Kampfeinheiten — militante religiös-fundamentalistische, reaktionäre Sammlungsbewegung.
Mustafa Suphi
Der Begründer der Türkischen Kommunistischen Partei. Er wurde während der Regierungszeit Atatürks
am 29. Januar 1921 zusammen mit 14 politischen Freunden im Schwarzen Meer ertränkt.
19. Mai
Der 19. Mai 1919 ist der Tag, an
dem Kemal Atatürk nach Samsun (Schwarzmeerküste)
aufbrach und wird als Beginn des nationalen Befreiungskrieges angesehen. Unter dem Namen »Festtag
der Jugend und des Sports« wird der 19. Mai jedes Jahr als Nationaler Feiertag
begangen.
ÖmerAyna
Einer der
revolutionären Studentenführer der 68er Generation. Auch er kam am 31. März
1972 bei dem Massaker in Kizildere um.
Orhan Kemal, Sabahattin Ali
Zwei der bedeutendsten Schriftsteller und Intellektuellen der Türkei in diesem Jahrhundert. S. Ali wurde
1948 im Alter von 42 Jahren unter mysteriösen Umständen umgebracht. O. Kemal (1914-1970)
P.Yb.
Piyade Yüzbasi - Hauptmann der Infanterie
Safak revisyonism tezleri
Die Thesen einer linken Gruppe vor 1970, die sich den Namen »safak« (Morgendämmerung) gab.
6. Flotte
Die Flotte
der amerikanischen Marine, die sich im Mittelmeer aufhält. Sie geht ab und zu im Bosporus vor
Istanbul vor Anker.
Sinan Cemgil, Kadir Manga,
Alparslan özdogan
Drei junge Revolutionäre, die am 31. Mai 1971 in den Nurhak-Bergen von Militärs erschossen wurden.
THA Eine türkische Nachrichtenagentur (Türk Haber Ajansi)
TIKKO
Türkiye Isci Köylü Kurtulus.
Ordusu - Befreiungsarmee der Arbeiter
und Bauern der Türkei.
TKP/ML
Türkiye Komünist Partisi Marksist
Leninist - Kommunistische Partei der
Türkei /Marxisten Leninisten.
Diese Partei wurde von I. Kaypakkaya
gegründet.
Ülkü
Ocaklari
Militante faschistische
Gruppierung. Die Mitglieder der »Ülkü Ocaklan«
nennen sich
"Bozkurtlar« - Graue Wölfe. dl: Nationale
Sammlung
Wieder war
Blut...
Hier wird eine Verbindung
zwischen Kaypakkayas Tod und dem Tod
von Deniz, Yusuf und Hüseyin
gezogen - alle starben sie im Mai.
----son-----
TABURE - Muzaffer Oruçoğlu
İstanbul Teknik Üniversitesi’nin Gümüşsuyu Amfisi, 1970’in eylülünde Dev-Genç’in parkeli, sarkık bıyıklı militanlarıyla tıklım tıklım dolmuştu. Sahnedeki masada, toplantıyı yöneten üç kişi vardı. Ortada, Filistin’e gidip geldikten sonra tutuklanan ve bir müddet yattıktan sonra serbest bırakılan İstanbul Dev-Genç Bölge Yürütme Komitesi başkanı Cihan Alptekin oturuyordu. Amfiye, elde olan hazır güçlerle, emperyalizme ve işbirlikçilerine karşı, Latin Amerikalı devrimcilerin yaptığı gibi bir an önce silahlı harekete geçme eğilimi hakimdi. İbo kent fokosu olarak gördüğü bu eğilimin, gençliği kendi kitlesinden koparacağı ve emekçi sınıflarla bütünleştirmeyeceği kanısındaydı. Daha önceki Dev-Genç forumlarında, bireysel terör, kendiliğindencilik, ekonomizm üzerine Dev -Genç kadrolarıyla tartışmış, onları İstanbul’un işçi bölgeleri ile toprak sorununun yakıcı olduğu yerlere yönlendirme çabası içine girmiş, direnişi ve silahlı mücadeleyi oralarda örgütlemeye çağırmış olduğu için herkes İbo’nun toplantıya gelme amacını ve neler söyleyeceğini üç aşağı beş yukarı tahmin ediyordu. Hatta tahminin de ötesine geçiyor, İbo’nun üniversitedeki sağlam kavgacı unsurları araklayıp, kendi çalıştığı fabrikalar semtine, Alibeyköy’e ve Trakya’ya götüreceğini, üniversiteleri savunmasız durumda bırakmakla kalmayacağını, götürdüklerini de oralarda pasifize edeceğini söylüyordu. İbo biraz da Doğu Perinçek’in daha önce, gençliğin üniversite sınırları içindeki mücadelesini çelik çomak oyununa benzeterek küçümsemesinin cezasını çekiyordu. Dev- Genç kadroları PDA içindeki görüş ayrılıklarını bilmediği için İbo’nun Perinçek gibi düşündüğü sanısına kapılıyorlardı. Kızgınlıkları biraz da bundandı. İbo, ben, Garbis, Kabil Kocatürk, birkaç kişi daha, grup halinde toplantıyı izliyoruz. Konu, Cihan Alptekin, Necmi Demir, Ömer Erim Süerkan, Gökalp Eren, Namık Kemal Boya ve Mustafa Zülkadiroğlu’ndan oluşan Dev-Genç Bölge Yürütme Kurulu içindeki anlaşmazlıklar. Konu açılıyor, tartışmalar başluyor, Zülkadiroğlu saymanlıktan istifa ediyor. Tartışmaların kızıştığı bir anda, söz alanlardan birisi, gençliğin emekçi sınıflara açılması gerektiğinden, aksi taktirde iç didişmelerin artacağından söz ediyor. Bir diğeri, militan gençliğin, kitle çalışması kisvesi altında, kavga alanlarından çekilerek pasifize edilmek istendiğinden dem vuruyor. Bunun üzerine kolunu kaldırıp söz istiyor İbo. Görmezlikten geliyor Cihan Alptekin, bir başkasına söz veriyor. İbo’nun konuşması durumunda ortamın elektirikleneceğini iyi biliyor. Konuşmacı sözünü bitirdikten sonra İbo kolunu kaldırıyor. Yine görmezlikten gelip bir başkasına söz veriyor Cihan. Arkamızda oturan militanlar, tatsız yorumlarla laf dokunduruyorlar bize. İbo duyacak diye endişeleniyorum. Kafasını bana doğru çevirerek, “Örgüt içi demokrasi dar bir çete tarafından resmen yok ediliyor,” diye mırıldanıyor. “Biraz bekle,” diyorum. Bekliyor. Birkaç kişi daha konuştuktan sonra el kaldırıyor. Ben de kaldırıyorum. Toplantının selameti için hiçbirimize söz hakkı vermiyor Cihan. İbo bu kez olduğu yerden: “Deminden beridir el kaldırıp söz istiyorum, söz vermiyorsun,” diyor. “Söz almadan konuşma,” diye uyarıyor Cihan. “Siz iktidar mücadelesini kendi içinizde kendiniz gibi düşünmeyenleri susturarak mı vereceksiniz? Düşünceler çatışmazsa doğrular nasıl çıkacak ortaya?” Cihan’ın, “Söz almadan konuşuyor, usulsüzlük yapıyorsun, otur yerine!” uyarısını arkadan gelen tehditvari uyarılar izliyor: “Otur yerine be, ne konuşacaksın!” “Seni gençliğin militan mücadelesi içinde göremiyoruz İbrahim, otur yerine, senin ne diyeceğini biliyoruz biz.” İbo bu kez geri dönerek, “Ben de sizleri işçi semtlerinde, grev çadırlarında göremiyorum,” diye çıkışınca, “Otur yerine,” sesleri çoğaldı. Amfideki tüm kafalar İbo’ya yöneldi. İbo yönünü tekrar sahneye doğru çevirip konuşmasını sürdürünce, ülkedeki siyasi atmosfer ile Bölge Yürütme Kurulu’nun içindeki çekişmelerin gerdiği sinirler, habis bir uğultu halini aldı. Arkamızda bulunan militanlardan Bombacı Zihni (Zihni Çetin), “Otur ulan otur, diyorum sana!” diye bağırarak, oturduğu tabureyi kaldırıp İbo’nun kafasına vurdu. Dehşet içinde kaldım. Kabil Kocatürk Zihni’ye ve arkadaşlarına doğru hörelenince kolundan çektim. Grubun içinde, Nahit Tören, Taner Kutlay, Zeki Erginbay, Mustafa Zülkadiroğlu gibi Dev-Genç’in mücadele içinde pişmiş ünlü militanları vardı. Nahit gibi birkaçının belinde de tabanca vardı. Zihni elindeki tabureyi yere koydu, durgunlaştı. Mücadeleci ve sinirli bir insandı. Harp okulundayken, öğretmeni Talat Aydemir’in örgütlediği 1963 darbesine katılmış, tutuklanıp üç yıl hapis yatmış, çıktıktan sonra 68 eylemlerine katılmış, Filistine gidip gelmiş fedakar bir insandı. İbo’nun kafası kırılmış, kırıktan boşanan kan, alnından yüzüne, boynuna ve göğsüne yayılmıştı. Dik durmaya çalışıyordu ama benzi solmuştu. Bir koluna Ragıp Zarakol diğerine de hatırlayamadığım birisi girmişti. İstanbul Teknik Üniversitesi Gümüşsuyu binası, Dev-Genç’in en önemli üssü olduğu için polis binadaki olayları anında haber alıyordu. Az sonra polis ekibi geliyor, İbo’yu alıp götürüyor. Nereye götürdüklerini bilemiyoruz. Karanlık çöktüğünde geliyor İbo. “Beni alıp Karakola götürdüler,” diye anlatıyor. “Kafama bant çektikten sonra sorguya aldılar. Komünistler arasında post kavgasının olduğunu, birilerinin vurduğunu ileri sürdüler. Kabul etmedim, merdivenden düştüğümü söyledim, tutanağa öyle geçti.”
MKP 3. Kongre Tanıtım Videosu.Tek Bölüm
Bu video, mkp 3. Kongresinin, emperyalist dünya sistemine ilişkin fikirlerini, Türkiye Kuzey Kürdistan'ın sosyo ekonomik yapı tahliline ilişkin yaklaşımını ve devrimin niteliğine (demokratik devrimin görevlerini üstlenen, sosyalist devrime) ilişkin anlayışını, devrimin yolu olan sosyalist halk savaşını ve demokratik halk devrimi, sosyalizm ve komünizm projesini (gelecek toplum projesinde devlet anlayışını), ulus ve azınlıklar, ezilen inançlar, kadın ve lgbtt'ler, ve gezi ayaklanmasına ilişkin fikirlerini, birlik ve eylembirliği anlayışını, ittifaklar politikasını, yerel yönetimler anlayışını, işçi partisi değerlendirmesini ve komünist enternasyonale ilişkin güncel görevler yaklaşımını içermektedir.
Kütüphane
- Anasayfa
- Partizan Dergi Arşivi -1992-2022
- Partizan Yayınları (1978-1980)
- Tarımda Yarı Feodal İlişkilerin Temel Dayanağı: Küçük Üretim-1-2
- Yarı Feodalizm - Tanımı
- Partimiz TKP-ML Darbeci Tasfiyeci Bir Saldırıyla Karşı Karşıya Kaldı!
- Diyarbakır Savunmaları__TKP-ML
- 1_ Tarih/imizden Notlar_"Önyargılar Gerçeğe Cehaletten Daha Uzaktır”
- 2- Tarih/imizden Notlar-KALANLAR VE AYRILANLAR-DARBE GERÇEKLİĞİ-1-2-3-4-5-6
- Hakim Üretim Tarzı ve Küçük Burjuva Kafa Karışıklığı
- İçel Ekonomisinin Yapısal Durumu
- Kemalizm Tahlili Denemesi-1-2-3_Türk Komprador Burjuva Siyasetinin İnşası
- 1-TARİHTEN_NOTLAR_Anti-Emperyalist Niteliğe Sahip Olmayan Bir Ulusal Hareket "ulusal devrimci" Hareket olarak Nitelendirilemez!
- 2-TARİHTEN NOTLAR_Sınıf Biliçli Proleterya Bütün ULUSAL HAREKETLERİ Niteliğine Bakmadan Desteklermi?
- 3-TARiHTEN NOTLAR__FIRTINALAR İÇİNDE, BIÇAK SIRTINDA; İLKELERE VE HUKUKA SIMSIKI TUTUNMA ZAMANI!*
- 4-TARiHTEN NOTLAR-Nubar Ozanyan_20Nisan2016
- "Mao Zedung adı "Enginleri Fethetme Ruhu'nun sembolüdür"Yılmaz GÜNEY_1-2
https://www.muzafferorucoglu.com/?lng=tr
Ve Durgun Akardı Don Gençliğimde hayalimin sınırlarını aşmama yol açan, beni en çok etkileyen roman. Don kazaklarının yaşamı, iç savaş, toprak kokusu, aşk, yaratım ve yıkım. Şolohov iç dünyamdaki yerini hep korudu. 24 Mayıs 1936’da Şolohov, Stalin’in daçasına gidiyor. Sohbetten sonra Stalin Solohov’a bir şişe kanyak hediye ediyor. Solohov evine geldikten bir müddet sonra kanyağı içmek istiyor ama karısı, hatıradır diye engel oluyor. Solohov, defalarca kanyağı içme eğilimi gösterdiğinde, karşısına hep karısı dikiliyor. Aradan üç yıl geçiyor, Solohov ünlü eseri, dört ciltlik ‘Ve Durgun Akardı Don’u, on üç yıllık bir çabanın sonunda bitirip karısından kanyağı isteyince arzusuna erişiyor ve 21 aralıkta, Stalin’in doğum gününe denk getirerek içiyor. Tabi biz bu durumu, Şolohov’un Stalin’e yazdığı mektuptan öğreniyoruz. Durgun Don’dan bir alıntıyla bitirelim: “Bizleri, insanoğlunu birbirimize karşı çıkardılar; kurt sürülerinden beter. Ne yana baksan nefret. Bazen kendi kendime, acaba bir insanı ısırsam kudurur mu, diye sorduğum oluyor.” (1. Cilt) ---------
Çamurdan ayaklı ahmaklar kaldırdıkları kayanın altında kalacaklar
Devrimci ve İlerici Kamuoyuna, Büyük Proleter Kültür Devrimi’nin ender haleflerinden, Türkiye’de, devrimci komünist/proleter enternasyonalist çizginin temsilcisi, Maoist ekolün kurucusu, önder İbrahim Kaypakkaya karşı yine iğrenç, alçakça, çamurdan bir saldırıyla karşı karşıyayız. Bizler böylesi iğrenç, alçakça çamurdan saldırıları geçmişten de biliyoruz. İbrahim Kaypakkaya’yı “seni bizat kendi ellerimle geberteceğim” diyen Yaşar Değerli’nin, “sanık İbrahim Kaypakkaya, intihar etmiştir” diye başlayan bu saldırısı sırasıyla, Nasyonal Sosyalist Doğu Perinçek’in 70’lerden buyana dillendirdiği “intihar” yalanıyla, ardından Orhan Kotan’ın, “Rızgari” adına yayınlanan Diyarbakır Hapisanesi Raporu’ndaki “o işkenceye kimse dayanamaz, İbrahim’in direnişi şehir efsanesidir” çamurlarıyla devam edilmiştir. Bugünkü saldırının failleri ise bizat önder Kaypakkaya’nın kurduğu ekolün yıllar içerisinde epey, bir hayli dejenere olmuş, paslanmış, küflenmiş halinin sonuçları olan tek tek safralardır. Bu safralar kendilerinin muhatap alınmasını, attıkları çamurun gündem olmasını ve tartışılmasını istiyorlar. Görünürde ilk kuşaktan olup, Koordinasyon Komitesi üyelerini ama özellikle de Muzaffer Oruçoğlu’nu hedef alıyor muş gibi yapan bu iğrenç, alçakca çamur faaliyetin ESAS amacı ve HEDEFİ aslında, İbrahim Kaypakkaya’nın fikirleriyle hesaplaşmaktan kaçıp, onun geride kalan kemiklerini (“otopsi isterük” naralarıyla) taciz ve teşhir ettikten sonra çamura batırmaktır. Şayet biz İbocular, balık hafızalı değilsek, Kaypakkaya yoldaşın koptuğu Türkiye İhtilalci İşçi Köylü Partisi’nin önde gelen kalan kadrolarının 1972 senesi içerisinde (sırasıyla Hasan Yalçın, Gün Zileli, Oral Çalışlar, Ferit İlsever, Nuri Çolakoğlu, Halil Berktay ve Doğu Perinçek’in) yakalandıklarını ve bunların polis ve savcılık ifadelerinde İbrahim Kaypakkaya hakkında gayet kapsamlı ve derinlikli bilgi verdiklerini çok iyi biliriz. Şayet biz İbocular, balık hafızalı değilsek, 3 Kasım 1972’de Ankara’daki Marmara Köşkü'nde yapılan Devlet Brifingi'nde “Diyarbakırda yakalanan gençlerin örgüt evlinde Kemalizm ve Milli Mesele Üzerine adlı bölücü yazıların çıktığına” dikkat çekildiğini gayet iyi hatırlarız. Şayet biz İbocular, balık hafızalı değilsek, önderimiz İbrahim Kaypakkaya’nın 28 Şubat 1973’de zincirle bağlı bulunduğu yatağından kaleme aldığı, adeta vasiyeti sayılacak mektupta, “saflarımızda çözülenleri ve moral bozanları derhal atın” dediğini nasıl unuturuz? Şayet biz İbocular, balık hafızalı değilsek, buna mukabil başta Muzaffer Oruçoğlu olmak üzere Koordinasyon Komitesi mensuplarının direnmediklerini ve çözüldüklerini de iyi hatırlarız. Ve önder Kaypakkaya’yı en son gören tanıklardan olan yoldaş Hasan Zengin’in, çapraz hücrede kalan İbrahim Kaypakkaya’nın yanına Yaşar Değerli ve Güneydoğu Anadolu Sıkı Yöneim Komutanı Şükrü Olcay’ında bulunduğu kalabalık, sivil giyimli bir heyetin geldiğini ve bu heyet ile Kaypakkaya arasında geçen konuşmanın muhtevasını da gayet iyi biliriz: Zira o “konuşmada” DEVLET, İbrahim Kaypakkaya’ya adeta “bu yazdıklarını savunuyor musun, hala arkasında mısın” diye sormuştur. İbrahim’de “evet, savunuyorum ve arkasındayım” demiştir. Ve onun için ister işkenceyle, ister kurşunla olsun Kaypakkaya, “arkadaşlarının 21 Nisan 1973’den itibaren çözülmeleri sonucunda”, “devletin aslında öldürmeyecekken dikkatini çekmiş masum bir öğrenci olduğu için” DEĞİL, ta başından beri DEVLETİN sahip olduğu İSTİHBARATIN sonucu İNFAZ edilmiştir. Şayet biz İbocular, balık hafızalı değilsek, 1. Ana Dava Dosyası’na konan ve müptezellerin bize unutturmaya çalıştıkları, MİT raporundaki şu saptamayı da hiçbir zaman akıldan çıkartmayız: “Türkiye’de komünist mücadelede şimdiki haliyle en tehlikeli olan Kaypakkaya’nın fikirleridir. Onun yazılarında sunduğu görüşler ve öngördüğü mücadele metotları için hiç çekinmeden ihtilalci komünizmin Türkiye’ye uygulanması diyebiliriz.” Şayet biz İbocular, balık hafızalı değilsek, ABD emperyalistleri tarafından “Soğuk Savaş” yıllarında yayınlanan The Communist Year Book’un 1973 baskısında önder İbrahim Kaypakkaya başta olmak üzere, Ali Haydar Yıldız, Meral Yakar ve Ahmet Muharrem Çiçek’in ölüm haberlerinin H. Karpat tarafından adeta zafer edasıyla duyrulduğunu biliriz. İşte tüm bu nedenlerden ötürü bugün bu iğrenç, alçakça çamur saldırının ana hedefi kati surette Muzaffer Oruçoğlu DEĞİLDİR. Bu iğrenç, alçakça, çamur saldırının ANA HEDEFİ önder İbrahim Kaypakkaya’nın ser verip sır vermediği, devrimci komünist, proleter enternasyonalist siyasi ve ideolojik hattır. Bugün bu iğrenç, alçakça, çamur saldırıyı başlatıp yürüten safralar, İbocu hattan ta 70’lerin ikinci yarısında kopup, evvela Enver Hoca’cılığı tercih eden, sonra devrimciliği bitirip, şimdilerde Dersimcilik yaparak statü sahibi olmaya çalışan, Büyük Proleter Kültür Devrimi’ne “katliam” diyecek kadar antikomünistleşenlerdir. Ve ne ilginçtir ki, bu safralar geçmişteki anlatımlarında (mesela Kırmızı Gül Buz İçinde belgeseli için verdikleri yaklaşık 3 saatlik mülakatte) tek kelime bugünkü iddialarından bahsetmemişlerdir. Keza o günlerde karşılaştıkları Arslan Kılıç’la da gayet mülayim mülayim sohbet etmişlerdir. Bugün bu iğrenç, alçakça, çamur saldırıyı başlatıp, yürüten safraların bazıları ise kişisel öç alma derdinde olanlardır. Bunlar yıllarca İbocu=Dersimci denklemiyle eğitilmiş ama gerçekte İbrahim Kaypakkaya’nın ve onun dayandığı bütün bir komünist bilimle değil, Dersim’in yüzyıllarca sahip olduğu feodal kültürle yoğurulmuş müptezellerdir. Bu safralar, Kürt Milli Hareketi ile aileleri arasında yaşanan kanlı antagonizmaya, sırtlarını dayadıkları, Dersimli gördükleri, İboculukla alakası olmayan pragmatist hareketin ikircikli politikasına karşı gelip, kendilerini Türk şovenizminin Dersim temsilcisi eski CHP’li vekillerin kollarına atanlardır. Bu müptezellerin, vaktiyle Doğu Perinçek’in, Arslan Kılıç’a talimat verip, Arslan Kılıç’ında, “Ordu Göreve” pankartıyla bilinen, Nasyonal Sosyalist Gökçe Fırat’ın, “Türk Solu” dergisinde kalem oynatan Turhan Feyizoğlu’na siparişle yazdırdığı, İbo kitabının basımına nasıl cevaz verdikleri bilinir (bu kitap, hiç utanma ve arlanma duyulmaksızın bütün “İbo anma gecelerinde” de maslarda sergilenir). İbo kitabının dayandığı iki iddia vardır: 1. İbrahim Kaypakkaya, TİİKP’den “bir kadın meselesinden ötürü ayrılmıştır”. 2. İbrahim Kaypakkaya, “jiletle intihar etmiştir”. İşin ilginç yanı şudur ki bu çamur kitabın “Önsözü”, gayet övücü sözlerle Muzaffer Oruçoğlu tarafından yazılmıştır. Ve bugün Oruçoğlu konusunda çok hassasiyet sahibi imiş gibi gözüküp, bu iğrenç, alçakça, çamur saldırının başını çekenler tarafından da o dönemde basımına ve dağıtımına onay verilmiştir. Bugün bu iğrenç, alçakça, çamur saldırıyı başlatan bir diğer safra ise, yazdığı 9 sayfalık çamur yazının altına imzasını koyamayacak kadar alçak ve korkaktır. Bu müptezelin davet edilmediği, 2017’de Darmstadt’da buluşan İbocu geleneğin farklı nesillerinin toplantısında, birden ortaya çıktığı ve “Arslan Kılıç, İbrahim’den teorik olarak ileriydi. Ben Arslan ağabey ile konuştum. İbrahim işkence falan görmedi, intihar etti” der demez, nasıl linç edilmekten son anda kurtulduğu ve topuklarını yağlayıp, nasıl sırra kadem bastığı da bilinir. Bugün bu iğrenç, alçakça, çamur saldırıda kullanan TKP/ML 1. Ana Dava Dosyası’nın biz İbocular açısından zerre kadar özgül ve orijinal tek bir yanı yoktur. O dosyanın yegane özelliği, o dönemki kadroların alttan alta önder İbrahim Kaypakkaya’nın 5 Temel Belgesi’ne nasıl ŞÜPHE duymaya başladıklarının göstergesidir. (Zaten onun içindir ki, ortak bir savunma yapılamamaıştır) Bu ŞÜPHE’nin daha sonra 1978’de yapılan 1. Konferans’da verilen “Özeleştiri” ile TEORİLEŞTİRİLDİĞİ ve bugünlere dek uzayıp geldiğni de zaten hepimiz görmekteyiz. Öte yandan bu iğrenç, alçakça, çamur saldırının manidar boyutları da vardır ve ne ilginçdir ki, bir zamanlar Sosyal Emperyalistlerin Türkiye temsilcisi İsmail Bilen ve Haydar Kutlu TKP’sinin kurduğu TÜSTAV arşivinin envanterinde, TKP/ML 1. Ana Dava Dosyası gözükmekle birlikte, çevrim içi bu dosyanın tek bir sayfası dahi dijital olarak TÜSTAV sitesinde BULUNMAZKEN, iğrenç, alçakça, çamur saldırının sorumlusu, bahsi geçen müptezellerine kim veya kimler tarafından SERVİS edildiği ve hatta Türkiye’den Ethem Sancak’ın ortağı olduğu Türk-Rus ortak arama motoru YANDEX’e kim veya kimler tarafından da yüklendiğidir. Dünyanın olası bir 3. Emperyalist savaşla burun buruna geldiği, Türkiye’de islamcı-faşist bir rejimin 20 yıldır kendisini adım adım tahkim ettiği bir ortamda, önder İbrahim Kaypakkaya’ya yapılan bu iğrenç, alçakça, çamur saldırının insanlığa ve devrime zerre kadar faydasının olmadığı son derece aşikardır. Yeni, genç nesiller bu iğrenç, alçakça, çamur saldırıdan ne öğrenecektir? Çamurdan ayaklı bu ahmaklar, İbrahim Kaypakkaya’ya karşı bir kaya kaldırdılar. Hiç kimsenin şüphesi olmasın. Tarihsel olarak şimdiden o kayanın altında kalmışlardır. İnanmayan Hasan Yalçın’a, Gün Zileli’ye, Oral Çalışlar’a, Ferit İlsever’e, Nuri Çolakoğlu’na, Halil Berktay’a, Doğu Perinçek’e, Yaşar Değerli’ye, Orhan Kotan’a, Turhan Feyizoğlu’na baksın. Tüm bu adlar bugün hangi siyasi ideolojilk hela deliğine yuvarlandılarsa bu iğrenç, alçakça, çamur saldırının başını çeken safralar da o deliğe yuvarlanacaklardır...
Sınıf Teorisi - Partizan
Katledilişinin 50. Yılında Komünist Önder İbrahim Kaypakkaya Yol Göstermeye Devam Ediyor! ''Türkiye'nin Geleceği Çelikten Yoğruluyor, Belki Biz Olmayacağız Ama, Bu Çelik Aldığı Suyu Unutmayacak'' İbrahim Kaypakkaya
Türkiye Üzerine : Şark Meselesi
Amerika'da yayınlanan New York Tribune, iki yüz bini aşan tirajıyla, o yıllarda, belki de dünyanın en büyük gazetesiydi. «Türkiye Üzerine» Marx'ın bu gazeteye, «Şark Meselesi» ile ilgili olarak yazdığı makaleleri kapsamaktadır. «Türkiye Üzerine», geçen yüzyılda büyük devletler arasında kurulan politik ilişkilere «Şark Meselesi» açısından ışık tuttuğu gibi, Marx'ın Osmanlı İmparatorluğunun politik durumu ve toplumsal (sosyal) yapısı hakkındaki fikirlerini de dile getirir; bu bakımdan bizi özellikle ilgilendirmektedir. Bu yazılardan bir kısmının tamamen Marx' a ait olmadığı açıklamalar da belirtilmiştir. Biz, karışıklık olmasın diye, geleneğe uyarak, «Marx'ın» dedik. (Bkz. Kitabın sonunda yer alan)